French for Cartridge, CD We Humans

Catherine pustet Staub von alten Büchern

d'Lëtzebuerger Land du 27.06.2014

French for Cartridge sind nicht wie andere Bands. Sie touren durch Bibliotheken, spielen in mittelalterlichen Kirchtürmen und lieben skurrile Kostüme. Doch was die in Band von allen anderen unterscheidet, ist ihre psychoaktive Mischung aus Indie-Pop, klassischen Arrangements und ausgeflippten Konzepten.

Der finnische Gitarrist Henri Växby und die Luxemburger Pianistin und Komponistin Catherine Kontz lernten sich während ihres Musikstudiums in London kennen. Wenn beide nicht gerade an Opern schreiben oder Rockalben mit anderen Projekten aufnehmen, kreieren sie unter dem Namen French for Cartridge in ihrer Wahlheimat London sehr exzentrischen Indie-Pop. Auf ihrem neuen Album We Humans tauchen Ohrwürmer unangekündigt auf, verkriechen sich dann aber schnell wieder hinter ausgetüftelten Songstrukturen, die ganz neue Welten eröffnen. Parasol, einer der Höhepunkte der Platte, beginnt sehr rockig, mit stark fuzziger Gitarre und rhythmischem Gesang. Doch dann läutet Henri Växby einen warmen Übergang ein, der eine komplette Stimmungsänderung mit sich bringt. Der Songtext über brennende Sonnenstrahlen passt zum einhüllenden Sound dieses Abschnittes genauso wie zum bedrohlicheren Teil (wer einmal beim Sonnenbaden eingedöst ist, weiß was gemeint ist). Das sehr theatralische Bonsai Times purzelt walzend mit sehr hohem Gesang von Catherine voran, umarmt einen mit zuckersüßen Melodien und erinnert ein wenig an ein lustiges Schueberfouer-Karussell, das sich plötzlich ein wenig schneller dreht.

Doch genau wie beim Ritt auf Topspin, Breakdance und Co. sollte man auch beim Avant Pop von French for Cartridge das Schwindelgefühl akzeptieren und sich einfach gehen lassen, den Rausch genießen. Denn We Humans macht ungeheuren Spaß, wenn man sich auf die verspielten Strukturen und Stimmungswechsel einlässt. Man könnte sich sogar ein wenig aus dem Fenster lehnen und die Band als sanftere, poetische Version von Fantomas beschreiben. Die Pianomelodien von The Puddle könnten aus einem Psychothriller stammen, auch die stark verzerrte Gitarre scheint ein Unheil anzukündigen. Doch der Refrain explodiert in eine melancholische Liebeserklärung, getragen von einem dichten Teppich von Gitarren und Piano. Spiders, einer der kürzesten Songs der Platte, kratzt mit Gitarrenfeedback unbequem daher, der erlösende Refrain kommt leider allerdings nur einmal vor.

Die Texte auf We Humans sind meistens so einfallsreich wie die Musik. Der Opener We Humans ist eine Art dystopische Horrorvorstellung, in der Produktivität und Effizienz durch eine Behandlung mit virtueller Realität angekurbelt werden. Ein Streichorchester untermalt diese Vorstellung mit einem wundervollen Arrangement. Der Einfallsreichtum dieses Stückes erinnert ein wenig an die isländische Kollegin Björk. Die melancholische Stimmung in Old Books ähnelt PJ Harveys introspektiver White Chalk-Phase. Catherine pustet Staub von den alten Büchern, die nun ein zweites Leben beginnen – ein sehr poetischer Kampfschrei gegen das Bibliothekensterben, das die umstrittenen Budgetkürzungen in Großbritannien mit sich gebracht haben. Die Liebe zum geschrieben Wort hat die Band letztes Jahr zu einer Library Tour durch England bewegt, wo sie ihren Avant Pop an Leseratten brachten.

Einige Stücke der Platte sind überraschend schnörkellos. Das lässige Soap, mit seinen abgehackten Gitarrenriffs und 80-er-Synthie-Melodien, beweist dass French for Cartridge auch robusten Indie-Rock beherrscht. Dieses Stück erinnert vor allem wegen Henri Växbys klarer Stimme an die jüngeren Stücke von David Bowie. Auch Next Addict ist ein perfekter Popsong, dem ein Banjo-Riff etwas Erdiges verleiht. Hot Air Balloon ist ein angenehm ruhiges Stück, dessen warme Gitarren und poppige Pianomelodien Songs von Yo La Tengo in nichts nachstehen.

Das Duo weiß, dass weniger manchmal mehr ist und nicht jedes Stück Streichorchester oder komplexe Stimmungswechsel braucht. Das unterscheidet die beiden professionellen Musiker von weniger erfahrenen Bands, deren Songs, wie ein überladener Weihnachtsbaum, manchmal unter der Last des Schmucks zusammenbrechen. Wenn French for Cartridge Chaos und Tonwechsel anzetteln, ist das stets bis ins letzte Detail durchdacht und passt trotz Dissonanz immer perfekt.

Avant Pop ist trotzdem nicht jedermanns Tasse Tee. We Humans fordert die totale Aufmerksamkeit vom Zuhörer, eine Arbeit die es jedoch sehr großzügig belohnt. Experimentierfreudige sollten diesen Trip nicht verpassen.

Claire Barthelemy
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