EU-Effizienzrichtlinie

Zu wenig zu spät?

d'Lëtzebuerger Land du 20.04.2012

Europas Energiekommissar Günther Oettinger schlug schon im Januar 2011 Alarm. Wenn es so weitergehe, werde die EU ihr Ziel, bis 2020 20 Prozent weniger Primärenergie zu verbrauchen nur zur Hälfte erreichen. Dieses Ziel war 2007 in der EU-Klimastrategie 2020 unverbindlich festgelegt worden. Um ihren Beitrag dazu zu leisten, den weltweiten Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu begrenzen, will die EU bis 2020 20 Prozent CO2, 20 Prozent Primärenergie einsparen und 20 Prozent des Endenergieverbrauchs durch erneuerbare Energien erzeugen.

Die Einsparungen beim Primärenergieverbrauch laufen unter dem Stichwort Energieeffizienz. Oettinger hat mit der Vorlage einer Richtlinie im Sommer 2011 seine Ankündigung wahrgemacht, dass man den EU-Staaten in Sachen Energieeffizienz auf die Sprünge helfen müsse. Der grüne Luxemburger Europaabgeordnete Claude Turmes hatte die Federführung beim Bericht des Europäischen Parlaments. Mit großer Mehrheit hat der Industrieausschuss Ende Februar seinen Bericht angenommen. Weil die Zeit drängt, will man sich bereits vor der ersten Lesung im Europäischen Parlament mit dem Ministerrat einigen. Seit vergangener Woche laufen die Verhandlungen.

Laut Turmes liegt in einer größeren Energieeffizienz das größte und kostengünstigste Potenzial zur Erreichung der EU-Klimaschutzziele. Kernstück der Energieeffizienzrichtlinie sind bindende Einsparziele für jedes Land. Die Vorlage der Kommission sah trotz anderer Ankündigungen von Oettinger immer noch keine verpflichtenden Ziele vor. Da das mit Abstand größte Einsparpotential beim Heizen und Kühlen von Gebäuden erzielt werden kann, sollen ab 2014 alle Mitgliedstaaten 2,5 Prozent ihrer öffentlichen Gebäude renovieren oder Maßnahmen einleiten, die das dort realisierbare Einsparvolumen anderswo erzielen. Energieversorger sollen dazu verpflichtet werden, jährlich 1,5 Prozent Energie beim Endverbrauch einzusparen und ihre Kunden bei Sparmaßnahmen zu unterstützen. Auch hier können Mitgliedstaaten alternative Wege beschreiten. Große Unternehmen sollen sich alle vier Jahre einem Energieaudit unterziehen und die Regierungen sollen ab 2015 nationale Heizungs- und Kühlungs-Roadmaps vorlegen sowie erleichterte Finanzierungen von Energieeffizienzmaßnahmen sicherstellen. Energieeffizienz soll zu einem Kriterium der öffentlichen Beschaffung werden. Im Sommer 2014 soll die EU-Kommission neue Einsparziele bis 2030 festlegen.

Ziel all dieser Maßnahmen ist es auch, neben der Energieeinsparung einen verlässlichen Markt für die dort engagierten Unternehmen zu schaffen. Noch ist Europa technologisch auf diesem Markt führend, muss aber um seine Vormachtstellung kämpfen. Kommission und Parlament sehen Investitionen in Energieeffizienz als Königsweg aus der ökonomischen Krise, denn die Investitionen würden sich durch Einsparungen bei den Energiekosten schnell amortisieren und gleichzeitig viele regionale Arbeitsplätze schaffen.

Claude Turmes hofft, die Verhandlungen mit dem Ministerrat bis Ende Juni abschließen zu können. Gelingt das, könnte das EU-Parlament die Richtlinie im September abstimmen und die Mitgliedstaaten sie bis Ende 2013 in nationale Gesetze fassen. Knackpunkte werden die Verbindlichkeit der Einsparziele pro Land sein, die Möglichkeit Einsparziele auch außerhalb des eigenen Landes zu erzielen, wie das Luxemburg wegen seines Tanktourismus befürwortet, und die Frage ob als Bezugsgröße der gesamte Primärenergieverbrach festgelegt wird oder die Bereiche Transport und Industrie ausgenommen werden. Letzteres befürwortet nach Angaben von Claude Turmes vor allem Frankreich. Die osteuropäischen Länder sieht er als Verbündete: „Polen zum Beispiel hat eingesehen, dass es beim Energieeinsatz ineffektiv ist und modernisieren muss.“ Probleme gebe es mit Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien. Einerseits besitzen diese Staaten besonders viel Einsparpotenzial, da sie in Sachen Effektivität gegenüber dem Durchschnitt abfallen, andererseits wird ihnen die Finanzierung von Maßnahmen schwerfallen. Der Rückgriff auf EU-Strukturfondsmittel und Erleichterungen bei der Kofinanzierung dieser Mittel sollen ihnen helfen.

Grundsatzkritik an der Richtlinie übt der deutsche liberale Europaabgeordnete Holger Krahmer. Er stört sich daran, dass alle Länder beim Prozentsatz der Einsparungen über einen Kamm geschoren werden, unabhängig davon, wie viel sie in Effizienz investiert haben. Er rechnet mit einer Durchlöcherung der Richtlinie durch den Ministerrat und sieht in der Verordnung pauschaler Einsparziele Planwirtschaft am Werk, die einen sinnvollen Wettbewerb beim Gebäudemanagement beeinträchtige. Und obwohl ein fester Prozentsatz bei Sanierungen nur für öffentliche Gebäude festgeschrieben werden soll, sieht er die Gefahr, dass Eigentümer zu Zwangssanierungen verdonnert werden könnten. Im Artikel 3a steht, dass die Mitgliedstaaten bis 2050 den Ehrgeiz entwickeln sollen, den Energiebedarf des gesamten Gebäudebestandes um 80 Prozent verglichen mit 2010 zu reduzieren.

Derweil könnte ein, auch weltpolitisch bedingter, ungebremster Anstieg der Energiepreise ungewollt viel Druck aus der politischen Diskussion nehmen. Erstens würde der Zwang zum Sparen auch ohne EU-Vorgaben dadurch enorm steigen und zweitens könnte das 20-Prozent-Ziel schon deshalb leichter erreicht werden, weil sich die Bevölkerung das Autofahren einfach nicht mehr leisten kann.

Christoph Nick
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