Die Schaffung des Sonderstatuts der Sociétés d’impact sociétal (SIS) soll die wachsende Branche der Sozial- und Solidarwirtschaft aus der juristischen Grauzone holen, doch daran glauben nicht alle

Gesellschaft mit gesellschaftlichem Zweck

d'Lëtzebuerger Land du 23.09.2016

Sie hätten den festen Willen, aus der Solidarwirtschaft einen Pfeiler der Wirtschaft in Europa zu machen, zitierte das Tageblatt Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP), nachdem er vergangenen Dezember mit fünf europäischen Kollegen eine Erklärung unterschrieben hatte, um von der EU mehr Aufmerksamkeit und Fördergelder für den Sektor zu fordern.

Ganz ohne Ironie ist das nicht. Schließlich war es Nicolas Schmit, der vor Jahren damit begann, bei den Beschäftigungsinitiativen aufzuräumen und schließlich bei der OGBL-nahen Vereinigung Objectif Plein Emploi (OPE) den Stecker zog und bei der christlich-sozialen Konkurrenz den Gewerkschaftspräsidenten und Abgeordneten Robert Weber (CSV) zum Rücktritt zwang. So dass zumindest manche in Frage stellen, wie solidarisch Schmits Absichten sind, auch im Bezug auf den Gesetzentwurf, den er im Frühjahr 2015 hinterlegte und der die Schaffung eines Sonderstatuts für Firmen vorsieht, deren Aktivität zur Förderung des Allgemeinwohls beiträgt, auf Französisch Sociétés d’impact sociétal (SIS) genannt. Denn mit der Vorlage zu den SIS, die privatrechtlich organisierte Gesellschaften sein werden, wird der frühere Traum der Beschäftigungsinitiativen, neben dem staatlichen und dem privaten, einen dritten, solidarwirtschaftlichen Sektor aufzubauen, endgültig begraben.

Bis dahin war es ein langer Weg. Denn gehen die Anfänge der Solidarwirtschaft auf die Stahlkrise zurück, wurde nach den Wahlen 2009 erstmals ein eigenes Regierungsressort für die Solidarwirtschaft geschaffen. Im gleichen Jahr wurde endlich der seit Jahren herumdümpelnde Gesetzentwurf über die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung angenommen, der es den Initiativen erlaubte, die von ihnen betreuten Arbeitslosen definitiv einzustellen, die Finanzierung für sie und ihre Betreuer sicherte, aber auch Zuschüsse an Privatfirmen einführte, falls diese Langzeitarbeitslose einstellten. Romain Schneider (LSAP) erklärte 2009, ein paar Wochen, nachdem er zum Minister für Solidarwirtschaft gekürt wurde, im Land: „Meine Aufgabe wird es sein, den dritten Pfeiler aufzubauen und ihm einen rechtlichen Rahmen zu geben.“ Er dachte damals, nachdem der ehemalige Arbeitsminister François Biltgen (CSV) mit der Schaffung einer neuen Gesellschaftsform am Staatsrat gescheitert war, an die Schaffung einer Association d’intérêt collectif.

Doch dazu kam es nie. Denn im Herbst 2012 wurde das erste der innerhalb der großen Beschäftigungsinitiativen durchgeführten Audits bekannt. Es stellte sich heraus, dass das Verhältnis zwischen den Betreuern und Betreuten bei 1:2 im besten Fall bei 1:3 lag und darüber hinaus OPE beim Arbeitsministerium ein Defizit von fast sechs Millionen Euro angehäuft hatte, nachdem die Initiativen während der großen Wirtschaftskrise immer mehr Arbeitslose zu betreuen und recht kreative Abrechnungen vorgelegt hatten. Im Frühling 2013 war das Experiment OPE zu Ende und über 70 Mitarbeiter standen auf der Straße. Für die Abwicklung einer gemeinnützigen Vereinigung gab es keinen Präzedenzfall; welche Ansprüche die ihrerseits arbeitslos gewordenen Mitarbeiter und die Betreuten stellen konnten, war nicht ganz eindeutig.

Danach wurde umgedacht. 2013 wurde die Union Luxembourgeoise de l’Économie solidaire et sociale (Uless) als Ansprechpartner gegründet und die Definition der nicht ganz klar umrissenen Branche ausgeweitet. Als das Statec ein Jahr später erstmals eine Erhebung des Sektors vorlegte, gehörten dazu neben gemeinnützigen Vereinigungen, Stiftungen, Kooperativen und Privatgesellschaften, die auch in anderen Bereichen der Personenbetreuung aktiv sind, beispielsweise in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in Tagesstätten und Maisons relais, aber auch in der Seniorenbetreuung. Weil einerseits durch die Dienstleistungsschecks Nachfrage und Angebot nach Betreuungsplätzen explodiert ist, und andererseits durch die demografische Entwicklung die Seniorenpflege eine Wachstumsbranche ist, ist die Eingliederung von Arbeitslosen in der mittlerweile als Sozial- und Solidarwirtschaft bezeichneten Branche zur Nischenaktivität geschrumpft. Von den nahezu 28 000 Beschäftigten in der Boom-Branche, deren Mitarbeiterzahl sich zwischen 2000 und 2012 mehr als verdoppelt hat, und die vor allem Frauen beschäftigt, kümmern sich viele um Kinder und Alte. Zwei Drittel der Arbeitgeber funktionieren als gemeinnützige Vereinigungen und beschäftigen weniger als zehn Mitarbeiter. Doch auch die großen Player, mit teils mehreren Hundert Mitarbeitern, sind Associations sans but lucratif (Asbl) und befinden sich damit rechtlich ein wenig in der Grauzone, die mit dem Entwurf zur Schaffung der SIS aufgelöst werden soll.

Der Entwurf sieht vor, dass privatrechtliche Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Kapitalgesellschaften das Zusatzstatut der SIS beantragen können. Dazu müssen sie im Gesellschaftszweck definieren, wie sie zum Gemeinwohl beitragen, und Leistungsindikatoren festlegen, von denen der Erhalt des SIS-Statuts abhängt. Die Anteile solcher Gesellschaften sind aufgeteilt in „Impakt-Anteile“ und „Rendite-Anteile“. Dadurch soll es privaten Investoren ermöglicht werden, in die Sozial- und Solidarwirtschaft zu investieren, wobei ihre Beteiligung 50 Prozent nicht übersteigen darf, auch nicht durch die Vergabe von Krediten an die Gesellschaft, und ihnen eine Rendite erst dann ausbezahlt werden darf, wenn die in den Leistungsindikatoren festgelegten Ziele erreicht sind.

Die gemeinnützigen Vereinigungen würden sich demnach als privatrechtliche Gesellschaften neu gründen und das SIS-Statut beantragen. In Punkto Finanzierung soll sich für die Träger, die Konventionen mit dem Staat haben, nichts ändern. Die Konten der SIS sollen jährlich von einem Buchprüfer begutachtet werden, der, wie das für die Sozial- und Solidarwirtschaft zuständige Ministerium, von einer Beratungskommission flankiert, auch über die Einhaltung der Leistungskriterien wacht. Ist das nicht der Fall, wird das SIS-Statut entzogen und die Abwicklung eingeleitet.

Offen will das niemand so sagen, doch hinter vorgehaltener Hand herrscht Einigkeit darüber, dass der SIS-Entwurf eigentlich ein „Anti-OPE-Gesetz“ ist, das dafür sorgen soll, dass ein solches Fiasko sich nicht wiederholt. Zum einen sollen die gemeinnützigen Leistungsträger als privatrechtliche Firmen die für ihre als Nebenprodukt ausgeführten Wirtschaftsaktivitäten notwendigen Genehmigungen nach dem Niederlassungs- und Handelsrecht einholen. Und andererseits Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen erhalten, der ihnen bislang verwehrt war, obwohl es auf EU-Ebene Reformen in diesem Bereich gibt, die darauf abzielen, bei Ausschreibungen auch soziale Kriterien, nicht nur finanzielle, zu berücksichtigen.

Wie die verschiedenen Akteure der sehr heterogenen Branche reagieren werden, scheint derzeit noch nicht absehbar zu sein. Jean-Christophe Burkel, Direktor der Uless, spricht von „großen Verwandlungsanstrengungen“, die der Branche bevorstehen: Die Neugründung als Firma, dann die Beantragung des SIS-Statuts. Für kleine Vereine, die eine Maison relais oder einen Kinderhort betreiben, bedeute das viel Aufwand. Netty Klein, Direktionsmitglied bei der Copas, dem Verband der Pflege- und Sozialbetriebe, betont, dass es aufgrund der Vielfalt an juristischen Formen unter den Mitgliedern — Kapitalgesellschaften, gemeinnützige Vereinigungen, Kooperativen, Stiftungen und öffentlichen Zweckeinrichtungen – unmöglich gewesen sei, eine einheitliche Stellungnahme abzugeben. Zumal man nicht wisse, wie die ebenfalls seit Jahren geplante Reform des Statuts der ASBL ausgehen werde, also nicht klar ist, was gemeinnützige Vereinigungen nach der Reform dürfen und was nicht.

Für Burkel von der Uless sowie für Gérard Albers von Arcus ist allerdings jetzt schon klar, dass die ASBL als Rahmen für viele Dienstleistungsträger nicht mehr angepasst ist. Arcus ist das Ergebnis eines Zusammenschlusses fünf kleinerer ASBL im Jahr 2008, betreibt Kinderheime, bietet Jugendlichen Strukturen zum betreuten Wohnen, leistet Familienberatung und Erziehungshilfe. Arcus beschäftigt 700 Mitarbeiter und macht einen Jahresumsatz von 45 Millionen Euro. Dass sich eine ASBL nicht mehr eigne, um einen solchen Betrieb zu führen, liegt für Albers auf der Hand. Zumal sich in den vergangenen Jahren das Risiko verschoben habe, weg vom Staat, hin zu den Trägern. Denn wurde früher der Fehlbetrag bei den Trägern am Ende des Jahres vom Staat beglichen, werde in allen Bereichen mittlerweile nach Leistung gezahlt, sei es in der Pflege oder in der Kinderbetreuung, wo die Betreuungsstunden abgerechnet werden. Geht am Ende die Rechnung nicht auf, sind bei einer ASBL in letzter Linie die Mitglieder im Verwaltungsrat persönlich haftbar. Über 50 Prozent des Marktes der Kinderbetreuung seien in privater Hand, sagt Albers. Deshalb gehe es für die anderen auch darum zu klären, wie sie sich für die Zukunft aufstellen. Private und konventionierte Anbieter werden unterschiedlich finanziert, sagt er. Bei Ersteren gibt es keinen Kollektivvertrag, bei Letzteren schon.

Ob es zu einer Konsolidierungsbewegung unter den kleineren Akteuren kommen wird? Albers beantwortet diese Frage nur indirekt, mit dem Hinweis, dass Arcus 2008 gegründet wurde, um zu verhindern, dass jede einzelne der fünf zusammengeschlossenen Vereinigungen einen eigenen Wasserkopf ausbaue, um Verwaltung und Logistik zu sichern. Seine ASBL bietet auch Ausbildungen an und arbeitet Konzepte für andere Träger aus, reine Dienstleistungen, bei denen sich die Frage nach der Abrechnung der Mehrwertsteuer stellt. Müssten eventuell erwirtschaftete Gewinne versteuert werden? All das sind Fragen, deren Klärung sich Albers durch die Schaffung einer eindeutigen Rechtsform ebenso erhofft, wie dass dabei die professionelle Ethik und Deontologie nicht dem Renditezwang zum Opfer fällt. Er ist wohl nicht der einzige, denn obwohl die Copas keine Stellungnahme abgegeben hat, sei das Interesse der Mitglieder „sehr groß“, wie Netty Klein sagt.

Die SIS-Vorlage erntet aber längst nicht überall Beifall. Die Mitglieder der Handwerkskammer und der Handelskammer beschwerten sich in der Vergangenheit immer wieder über unlautere Konkurrenz durch die Beschäftigungsinitiativen, wenn diese versuchten, wenig qualifizierte Arbeitslose mit Garten-, kleinen Reparatur- oder Malerarbeiten zu beschäftigen, die „normale“ Firmen, mangels Gewinnaussicht, nicht durchführen wollten. Sie glauben nicht an das Versprechen der Autoren des Gesetzentwurfs oder auch der Uless, dass durch das SIS-Statut der Wettbewerb gerechter werde. Im Gegenteil. Auch wenn Handels-und Handwerkskammer das Bemühen um größere Transparenz grundsätzlich begrüßen, fordert die Handelskammer in ihrem Gutachten, dass alle Akteure „mit gleichen Waffen“ um Aufträge kämpfen sollen. Dass dem so sein wird, bezweifelt Marc Gross von der Handwerkskammer. Die Vorteile, in deren Genuss die SIS künftig kommen würden, seien vielschichtig und deren Häufung könne auch in Zukunft zu Wettbewerbsverzerrungen führen, so die Zusammenfassung von Gross. Zwar könnten auch rein privatrechtliche Firmen Zuschüsse zur Einstellung von Arbeitslosen anfordern. Doch in der Praxis habe sich gezeigt, dass ihnen Personal und Strukturen fehlen um sogenannte „arbeitsmarktfremde“ Personen in den alltäglichen Betrieb einzugliedern, die bei der nicht-privaten Konkurrenz bezuschusst werden. Weil die SIS auch von steuerlichen Vorteilen profitieren sollen, meint er, dass die SIS über ein besseres Waffenarsenal verfügen als herkömmliche Handwerksbetriebe.

Der Konkurrenzrat sieht das in seinem Gutachten zum Gesetzentwurf ähnlich. Zumal die Änderungsanträge, die erst diese Woche veröffentlicht wurden und nun dem Staatsrat vorgelegt werden, vorsehen, dass SIS, die zu 100 Prozent aus „Impakt-Anteilen“ bestehen, also eventuelle Gewinne immer zurück in ihre Aktivitäten investieren, von der Körperschafts-, der kommunalen Gewerbe- und der Vermögenssteuer befreit werden. „Il est donc indéniable que l’exemption fiscale préconisée dans le projet de loi crée une distortion de concurrence dès lors que les entreprises jouissant de cette exemption poursuivent des activités sur des marchés qui sont également disputés par des enttreprises traditionelles“, schreibt der Konkurrenzrat.

Nicht einmal zehn Prozent der Branche seien in der Wiedereingliederung von Arbeitslosen aktiv, es gehe um kaum 2 000 Beschäftigte gibt Jean-Christophe Burkel von der Aless zu bedenken. Das soll heißen, dass auf der anderen Seite 26 000 Beschäftigte – und wenn der Sektor weiter wächst, wie bisher, bald mehr – stehen, die von der Einführung des SIS-Statuts profitieren könnten. Ob das Parlament noch dieses Jahr über die Vorlage abstimmen kann, hänge davon ab, wie schnell der Staatsrat sein zweites Gutachten zu den Änderungsanträgen vorlegt, so Berichterstatter Georges Engel (LSAP).

Michèle Sinner
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