Manderscheid, Roger: Polaroid

"wortologe, silbenfuchs, kapitelverbrecher"

d'Lëtzebuerger Land du 17.10.2002

Lieber Roger Manderscheid,

 

in Deinem neuen Buch widmest Du mir die Kurzgeschichte "trockenzeit", das ehrt mich, freut mich - sei herzlich bedankt! (Obwohl Du der Völkerverständigung zuliebe meinen Lieblingsfluss, die Mosel, austrocknen lässt). Ungeachtet des gebührlichen Dankes fordert Freundschaft auch in aller Offenheit Einwände. 

Wer, zum Teufel, kam auf die abwegige Idee, diese reichhaltige Textsammlung Polaroid zu betiteln, ergänzt um den nicht minder irreführenden Zusatz "instant texte"? Mit beiden Formulierungen verbindet man rasch verfertigte Erzeugnisse minderer Qualität. Was soll diese Tiefstapelei, wo jeder Beitrag von Deiner besessenen Schreibarbeit, Deinem artistischen Kalkül und Deiner sorgfältigen Themenauswahl zeugt? 

Die Gesamtkomposition aus selbstkritisch-ironischen "interviews" zur Autorschaft, gefeilten "ungehaltenen grabreden" für zumeist einfache Zeitgenossen/innen, aus ionescoid mit Banalität spielenden „ping-pong-dialogen" belegt Deinen kunstvollen Umgang mit Sprache, ganz zu schweigen von Deinen fantasievollen "Neusätzen", Gedichten zauberhafter Wortschöpfungen, die um so überzeugender sind, je weniger sie "jandln" oder sich auf Dada zurückbesinnen. Du scheust nicht das Wagnis, unter Deine fiktiven Miniaturen, Anekdoten, Skizzen, Notizen, deren Erzählkern meist auf "faits divers" beruhen, einige "textes trouvés" zu mischen. 

Das wirft die spannende Frage auf, wie sich Fiktion und Realitätsbeschreibung journalistischer Prägung konkurrierend zu einander verhalten. Kann sich zum Beispiel "regenzeit", einer Deiner stärksten Texte, gegenüber dem im Spiegel gefundenen Bericht "Keulungen" behaupten, der bittermakabren Satire gegen Tierquälerei? Insgesamt obsiegt Deine Erfindungskraft, so dass Dein rhythmisch mitreißendes Langpoem "gesang eines finsterlings" poetischer wirkt als die schönste Benutzungsmetapher in "Datograpf von Lange".

Im Innentitel kündigst Du mit Nachdruck an, keinen "aforismus" anzubieten, ein Vorsatz, der mit Deiner Furcht vorm Moralisieren zusammenhängen mag. In "der nichtaforistiker" distanzierst Du Dich energisch von diesem Genre: "leute, die aforismen erfinden und dann auch noch veröffentlichen, sind leute, die glauben, im besitz d e r wahrheit zu sein". Stattdessen hälst Du offenbar mehr von Aussagen wie "hier ist die luft in der luft". 

Lieber Roger, das ist wieder so eine Deiner Bescheidenheit entsprungene Tiefstapelei; sie endet im schlimmsten Fall in der Selbstbezichtigung, "zum kalauernden schreibhund mutiert" zu sein. Mindestens einige Deiner Miniaturen strafen Dich Lügen, denn sie laufen auf eine aphoristische Pointe hinaus: "das leben ist nicht lächerlich, aber der tod". 

Du willst, mit Fug und Recht, keinen "intimballast als poesie vermarkten". Aber Du kannst dennoch nicht aus Deiner Moralistenhaut schlüpfen; das spüre ich, lesend auch und zumal zwischen den Zeilen. Wie anders erklärte sich auch Deine Empathie für eine ungarische Asylantin, Dein Abscheu gegenüber KZ-Lagerkommandant Höss, Dein Aufdecken spießbürgerlicher Heuchelei oder Dein einem "grenzgänger" in den Mund gelegter spöttischer Seitenhieb auf die widersprüchliche Mentalität Deiner Landsleute in "o diese luxemburger"? 

Nein, Roger, mich kannst Du nicht von Deinen "Botschaften" ablenken, indem Du Dich zum naiven "blaublumenzüchter" oder "wolkenvermesser" erklärst. Du bleibst für mich ein "schreiberlinker", ein Nachfahr der Aufklärungsutopie, der mich mit diesem "Lesebuch" stark an Johann Peter Hebels Schatzkästlein erinnert, auch er von unstillbarem Besserungswillen angetrieben. 

Sogar eine seiner zentralen poetologischen Aussagen möchte ich auf Dein Schreiben insgesamt, auch auf Polaroid übertragen: "So leicht alles hingegossen scheint, so gehört bekanntlich viel mehr dazu, etwas zu schreiben, dem man die Kunst und den Fleiß nicht ansieht, als etwas, dem man sie ansieht, und das in der nämlichen Form um den Beifall der Gebildeten zugleich und der Ungebildeten ringt".

Ist das eine "demokratische" schriftstellerische Grundeinstellung? Wie dem auch sei: Du sitzt keineswegs versnobt im Elfenbeinturm, schaust lutheranisch "dem Volk aufs Maul", weißt, was die Menschen umtreibt, setzt Erfahrungen, Träume, Fantasmen um in verständliche, dennoch anspruchsvolle Sprachbilder und -rhythmen. Und deshalb halte ich Dich, ob Du mich darob verdammst oder nicht, für einen leibhaftigen Volksschriftsteller - darüber sollten wir einmal auf der Place d'Armes bei guten Moseltropfen diskutieren!

 

Beste Grüße,

Fritz Werf

 

Roger Manderscheid: Polaroid. instant texte. ein lesebuch. 136 S. Reihe Graphiti. Editions Phi 2002, 12 Euro

 

 

 

Fritz Werf
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