Manderscheid, Roger: Kühe im Nebel

Jede Menge Nebel um Kühe und andere Menschen

d'Lëtzebuerger Land du 04.12.2003

In seinen schamlos egomanen "Notizen zur Entwicklung der Luxemburger Literatur", die die éditions phi unter dem Titel Der Aufstand der Luxemburger Allliteraten zur Feier seines 70. Geburtstages im Merscher Literaturhaus beigesteuert hatten, war's bereits dumpf zu erahnen: Die in Luxemburger Literatursprache überwiegend magistral gemeisterte Romantrilogie Schacko Klak, De Papagei um Käschtebaam und Feier a Flam hat auf Roger Manderscheids Umgang mit der ehedem meist nicht minder gut gehandhabten deutschen Sprache verderbliche Nachwirkungen gezeitigt. Der unlängst im Manderscheid [&] Co leibgeschneiderten "Verlag" ultimomondo (Nospelt) erschienene Roman Kühe im Nebel ist, gemessen am Lebenswerk des Nestors der Luxemburger Gegenwartsliteratur, ein sprachlicher GAU = größter anzunehmender Unfall.

Der Rezensent gesteht freimütig, er hat als unverbesserlicher, unheilbarer Formalist und Ästhet, aber auch als langjähriger Bewunderer und - warum es verschweigen? - als nicht nur gelegentlicher Förderer des Autors den Masochismus nicht auf die Spitze treiben wollen, d.h. bei der Lektüre dieses (buchstäblich bemühten) Machwerkes - was er sich nur schlimmstenfalls durchgehen lässt - nur bis knapp vor Seite 100 durchgehalten, danach jedoch nur mehr Anlauf genommen, querzulesen: Vergebens! Denn weniger die Kühe aus dem immerhin noch reizvollen Titel als die hinter dem (Öslinger) Rindvieh sich duckenden Menschen aus lauter bedrucktem Papier werden von einem wörtlich so atemberaubend dichten Sprachnebel geschluckt, dass einem umgehend die Lust vergeht, mehr über sie zu erfahren, als der den Seelenkitsch arg konkurrenzierende Erzählstil hergibt.

Weshalb Episoden und "Abenteuer" aus dem Leben der in die Hauptstadt verschlagenen Paola Moritz geschiedenen Schuster aus dem Öslinger Dorf Derenbach unbedingt unter dem Titel Kühe im Nebel erzählt werden müssen, ist an sich schon fragwürdig und wohl auch im Ansatz und als Motiv für einen ausgewachsenen und in sich kohärenten Roman verfehlt. Es gebe, heißt es, kein richtiges Leben im falschen Bewusstsein, und so duldet es denn auch neben dieser Paola aus der Schreibstubenretorte in dieser Geschichte kaum weitere Menschen aus Fleisch und Blut: Weder Paolas (lebende) Tochter Linda, noch ihre tödlich verunglückte Schwester Magali, weder Paolas geschiedener Mann, der Trinker Schuster, noch ihr hündisch verliebter Gelegenheitsbeischläfer, der Maler Wellington (!), weder Paolas Derenbacher Eltern, der Vater Schreiner, die gebärfreudige Mutter Lehrerin, noch der merkwürdig sprachenbegabte Nebenerzähler, der Portugiese (!) Rico, gewinnen auf diesen redseligen 300 "Roman"-Seiten eine ihre Papierform sprengende Kontur.

Im ersten Kapitel, das, in Luxemburgs Stadtpark und in "Stadtgassen" angesiedelt, den rätselhaften Titel "niagara" führt, darf insgeheim noch eine von ihrem ferneren Lebensweg her wild phantasmierende Frau mittleren Alters erblickt werden, danach freilich mäandert und ufert ihre Geschichte mächtig aus in Vor- und Rückblenden. Der Erzähler Manderscheid dürfte sogar selber erfühlt haben, dass und wie ihm der Stoff unterhand zerbröselte. Deshalb versucht er, was unter günstigeren Voraussetzungen episch durchaus legitim gewesen wäre, dem Erzählmaterial zusätzliche Streben z.B. in Form von geschwätzig langen (Liebes-) und (Bekenner-)Briefen des Malers Wellington an die immer wieder angebaggerte Geliebte einzuziehen, nur, leider verschlimmbessert er auf diese (unbewältigte) Weise nur sein Anliegen, ein gar nicht so unbanales Luxemburger Frauenschicksal gestalten zu wollen.

Mit dem Inhalt von Kühe im Nebel könnte man zur Not noch etwas duldsamer ins Gericht gehen, auch und gerade einem Roger Manderscheid dürfte man unter Umständen sogar durchgehen lassen, dass er auch heuer wieder mordikus die allmählich  ideologisch überstrapazierte Erzählperspektive des "kleinen Mannes" gehobenen Luxemburger Bourgeois gegenüber zu wahren versucht, wäre er doch literarisch in der Sprachform, an die er uns Jahrzehnte lang gewöhnt hat. Allein, der für eine Rezension zu Gebote stehende Zeitungsraum würde hoffnungslos gesprengt, wollte man an dieser Stelle die zahllosen ab- und erschreckenden Beispiele einer total schiefen, nervend und nölend verunglückten, bisweilen rührend "lëtzebuergerdäitschen" Schreibweise aufführen. Jawohl, die Stillosigkeit der Kühe im Nebel hat fast schon wieder Stil und Konsequenz wenn es z.B. heißt: "meine kleine verliebtheit versteckte sich. kroch aus dem versteck hervor, / als shina ihre brüste aus den kapseln (!) ihres bhs befreite... klein waren die brustzwillinge, fest. gefielen mir. viens, sagte sie und öffnete beide arme in meine richtung. hier wird uns niemand stören, lächelte sie vielsagend / man fällt auf die eignen füsse zurück..."

Als sei es möglich, auf fremde Füße zurückzufallen! Deshalb sei der Qual durch ein immer wieder dicht am Kitsch vorbeistelzendes Schulaufsatzdeutsch vorzeitig ein Ende gesetzt mit dem Zitat der letzthin irgendwo aufgelesenen Spruchweisheit: Es kommt nicht darauf an, wie weit ein Roman geht, sondern wie er weit geht!

 

Roger Manderscheid: Kühe im Nebel; Roman; Ultimomondo, 2003, 13 Euro.

 

 

 

Michel Raus
© 2024 d’Lëtzebuerger Land