Die kleine Zeitzeugin

Das kalte Herz

d'Lëtzebuerger Land du 17.07.2015

Ach, Hybris, so jung und übermütig und kindisch cool, Hemd aus der Hose, Motorrad, große Sprüche, große Gedanken, aber kein Kleingeld. Und dann in die eiskalte Höhle des Löwen, der gar keiner ist. Ein goldenes Kalb hält dort Hof, im Bund mit dem großen Minotaurus. Der Finanzminister, der flugs ein Ex-Finanzminister ist, hat diesen erkannt, beim Namen genannt. Der Jüngste Müllerssohn wagt es gar, sich mit der bösen Königin anzulegen.

Die böse Königin ist raffiniert getarnt als legendäre deutsche Mutti, sie hat in ihrem Wohnwagen Klopapierrollen mit gehäkelten Bezügen, und sonntagnachmittags gibt es Bienenstich zum Kaffeekännchen. Außen ist sie puddingweich, sie trägt Jäckchen in aufmunternden Farben. Viele wollen von Mutti adoptiert werden. Sie sind nicht widerspenstig und machen ihre Hausaufgaben, ohne zu klagen. Arm, aber sauber, sie machen jede Drecksarbeit. Muttis kleine Streber_innen sind sehr froh, in Muttis Familie aufgenommen worden zu sein. Ein anderes Monster macht ihnen nämlich Mega-Angst, da sind Mutti und ihre Schwarze Eminenz gar nichts dagegen, davon sind sie überzeugt. Die Schwarze Eminenz betet die Schwarze Null an, aber selbst diesen Pakt gehen sie ein. Sonst könnten sie ja noch in einem schwarzen Loch verschwinden!

Alle stellen sich in der bösen Schlange an, um umarmt zu werden, und lecken schnurrend Speichel. Das Mutti-Monster, das manche auch noch ehrfürchtig als eine Art Euro-Sphinx beschreiben, der sie devot hinterher rätseln, deren narkotisierende Banalitäten sie als Orakel deuten; das Mutti-Monster, das sie an seinem Busen erdrücken wird, am watteweichen, dass sie alsbald erbleichen, es geht über Leichen, wie der Müllerssohn und seine Freunde warnen. Aber das wollen sie gar nicht wahr haben. Sie melden sich freiwillig zu allen möglichen Prüfungen an, die sie bestehen wollen.

Andernfalls könnten sie nicht bestehen, das wiederholen sie immer wieder. Immer wieder wiederholen sie ihr Euro-Mantra. Wie jede gute Tyrannin hat Mutti ihnen eingebläut, es gebe keine Alternative. Weil die Welt groß und böse ist und überall Gefahren lauern, globale gar.

Damoklesschwerter schweben, Maßnahmen werden verschärft, die Daumenschrauben weiter angedreht. Muttis Musterschüler_innen meutern, das schwarze Schaf, ein knallrotes, soll verstoßen werden. Das wäre wohl das Beste. Zu seinem Besten. Der faule Apfel muss raus.

Game over, sagt die Schwarze Eminenz und dreht an der Schwarzen Null. Der Müllerssohn kämpft indessen löwenherzig. Er steigt in den Ring, alle schauen zu und schließen Wetten ab. Die Prüfungen werden härter, jetzt soll er Stroh zu Gold spinnen, ganz schnell, und es ganz schnell abliefern. Er bricht zusammen, zuckt er noch, oder muckt er bloß wieder auf? Noch ein Tritt, den endgültigen, den Tritt hinaus? Soll er hängen, Volk? Lassen wir ihn hängen? Er rappelt sich hoch, die Scharfrichter lassen Gnade walten, einmal noch darf er sich eine Qual auswählen; es gibt neue Foltern im Angebot, wir leben in einer freien Spießgesellschaft. Es gibt ja so viele Unmöglichkeiten, wie in einer griechischen Sage.

Er sei auf Be-Währung, sagen Momos graue Herren und graue Damen. Sie schnappen nach Luft, sie haben Augenringe, metertiefe Falten, sind um Jahrtausende gealtert. Sie delirieren in Zahlen und Qualen, beinahe kollabieren sie, vielleicht sind sie doch Menschen. Der Müllerssohn und der Motorradfahrer haben sie zum Wahnsinn getrieben, alles muss man für sie machen, sie quälen, Tag und Nacht, wo ist der Dank?

Einer hat sich wacker geschlagen, Wunden davon getragen, die ihn schmücken. Die Sieger kriegen noch immer nicht genug, sie haben Blut gewittert. Sie haben ihm das Herz noch nicht lebendig aus dem Leib gebissen. Die Seele kriegen sie sowieso nicht, der Geist ist frei. Das beunruhigt die Sieger. Sehr.

Einer hat das Monster beim Namen genannt und sich ihm gestellt. Da hat das Monster sich gezeigt. Demonstration des Monsters. Es hat sein wahres Gesicht gezeigt.

Es hat keines.

Michèle Thoma
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