Was tun gegen die absehbare Überlastung der Mobilfunknetze?

Der Himmel voller Daten

d'Lëtzebuerger Land du 28.04.2011

Musik hören, den Herzschlag messen, Landkarten absuchen, Filme gucken, ganze Bücher lesen und Telefonieren: das Handy ist zum Universalgerät geworden. Das ist praktisch. Es verbraucht aber auch viel Übertragungskapazität: Ein einziges YouTube-Video benötigt ungefähr so viel Bandbreite wie 100 Telefonanrufe oder 500 000 SMS-Botschaften. Seit im Jahr 2007 Datendienste die Sprachdienste überholten, kommen die Mobilfunknetze zunehmend an ihre Leistungsgrenze. Schwarzseher warnen schon für 2013 vor einem „Mobilfunk-Kollaps“.

„Wir stehen vor einer Datenexplosion im mobilen Internet“, sagte Matthias Kurth, der Präsident der deutschen Bundesnetzagentur, als er im vergangenen April den Jahresbericht 2009 seiner Behörde vorstellte. Damals hatten in Deutschland rund 108 Millionen Mobilfunk-Geräte 33,5 Millionen Gigabyte Daten übertragen – zwar viel weniger als die 2,6 Milliarden Gigabyte des Festnetzes, aber fast drei Mal mehr als im Jahr 2008 und zehn Mal mehr als noch 2007. Der neuste Bericht der Bundesnetzagentur verzeichnet nun für das vergangene Jahr ein Festnetz-Datenvolumen von 3,2 Milliarden Gigabyte im Festnetz und 65 Millionen Gigabyte für den Mobilfunk. Die Menge der drahtlos verschickten Daten hat sich also 2010 glatt verdoppelt.

Zu Stoßzeiten sind einzelne Funkzellen, etwa Messegelände, heute schon überlastet. Wie kann der Stau im Äther verhindert werden? Die EU-Kommission setzt auf einen neuen Mobilfunk-Standard, der GMS und UMTS ablösen und Übertragungsraten von bis zu 150 Megabit pro Sekunde bewältigen soll – wesentlich mehr als kabelgebundenes DSL. Die EU förderte die Entwicklung der LTE Advanced (siehe Seite 16) genannten Ausbaustufe im vergangenen Jahr mit 18 Millionen Euro. „Millionen neuer Nutzer werden mit ihren mobilen Geräten von dem Ultra-Hochgeschwindigkeits-Internetzugang profitieren“, schwärmte die EU-Kommissarin Viviane Reding: „Das schafft ungeheure Möglichkeiten und ein enormes Wachstumspotenzial für die digitale Wirtschaft.“

Für LTE lassen sich die vorhandenen Funkmasten nutzen, sie müssen aber erst aufgerüstet werden. Die Unternehmensberatung Booz [&] Co schätzt, dass das bis 2014 weltweit mindestens 20 Milliarden Euro kosten wird. Anders als UMTS unterstützt LTE verschiedene Bandbreiten und kann flexibel eingesetzt werden. Deutschland hat dafür als erster EU-Staat Funkfrequenzen freigegeben, die wegen der Umstellung auf Digitaltechnik nicht mehr für Fernsehen und Radio benötigt werden. Bei der Versteigerung im vergangenen Frühjahr war besonders der Bereich um 800 Megahertz begehrt; insgesamt zahlten Netzbetreiber 4,4 Milliarden Euro für die Lizenzen. Eine der Vergabebedingungen war, dass damit zuerst die „weißen Breitband-Flecken“ besei­tigt, das heißt, abgelegene Dörfer ans schnelle Internet angeschlossen werden. Die Telekom stellte deshalb ihren ersten LTE-Sendemast im Landkreis Ostprignitz-Ruppin auf. Vodafone bietet „Menschen im ländlichen Raum“ schon seit Dezember einen LTE-Stick zum Internet-Surfen an. LTE-Handys werden dagegen erst für nächstes Jahr erwartet.

Ein schnellerer Ausweg wären neuartige Sender. Das heißt, ganz viele kleine Mobilfunk-Basisstationen: Die Femtozellen genannten Kästchen können praktisch überall installiert werden, wo sie an eine Breitband-Leitung angeschlossen werden können. Alcatel-Lucent stellte im Februar ein derartiges System unter dem Namen LightRadio vor: Die schwach strahlenden Minisender können große Antennen-Masten überflüssig machen, was nicht nur Energieverbrauch und Betriebskosten um die Hälfte senken, sondern auch die Mobilfunkerei aus dem Blickfeld besorgter Bürgerinitiativen bringen soll. Ein weiterer Vorteil, jedenfalls aus Sicht der Unternehmen: Die Kunden würden den Netzausbau direkt selbst bezahlen.

Vielleicht kommt es aber auch ganz anders. Der Tüftler Kamal Alavi hat mit Schweizer Forschern eine 20 Millionen Euro teure Sendestation entwickelt, die in 21 Kilometer Höhe an einem großen, durch solargetriebene Propeller stationär gehaltenen Zeppelin aufgehängt werden soll: Da aus dieser Höhe eine direkte Sichtverbindung zu den Empfängern bestehe, könne die Sendeleistung viel geringer sein als heute – 20 Sender würden für ganz Europa reichen. Nur an eine einfache, untechnische Lösung denkt niemand: die Flatrate-Tarife wieder abschaffen. Das würde das Datenaufkommen sofort und drastisch verringern.

Martin Ebner
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