Wer vor rund 15 Jahren die Grabenkämpfe um die Besetzung des Presserats, um die Einflussnahme auf den Inhalt des Pressegesetzes und die Spaltung der Journalistengewerkschaft ALJ miterlebte, hätte dies kaum für möglich gehalten. Am vergangenen Donnerstag wurde Danièle Fonck, ehemalige Tageblatt-Chefredakteurin und Editpress-Generaldirektorin, mit einer „sympathischen Feierstunde“ in den Ruhestand verabschiedet, wie es im Tageblatt hieß. Auf der Bilderstrecke der Feier war Jean-Lou Siweck zu sehen, der eine kurze Ansprache für seine Amtsvorgängerin hielt. Siweck, der noch vor einem Jahr Chefredakteur beim Luxemburger Wort war und nach einer kurzen Abkühlungsperiode im Staatsministerium nun die Seiten gewechselt hat.
Ein solcher Wandel – nicht der vom Beamtenstatut in den Journalistenstand, sondern der vom Bistums- zum Gewerkschaftsverlag – wäre noch vor ein paar Jahren völlig undenkbar gewesen. Ein Wechsel über diese Fronten hinweg war ein Schritt, den lediglich überzeugungs- und rückgratlose Wirtschaftsredakteure vollzogen, die mit ihren Beiträgen Werbekunden im Handel gewinnen und einen Rahmen für die lukrativen Nettoinventarwertberechnungen der Investmentfonds schreiben sollten. Für sie galt auf beiden Seiten eine weitreichende Ausnahmeregelung von der auf den Innen- und Außenpolitikseiten gültigen Redaktionslinie. Zumindest bis der ehemalige CSV-Finanzminister und heutige Sankt-Paulus-Verwaltungsratspräsident Luc Frieden vor einem Jahr fand, die Berichterstattung der Wort-Wirtschaftsredaktion über die Panama-Papiere und die Luxleaks-Akten sei in einem für Geschäftsanwälte unerträglichen Maß von der katholischen Morallehre durchtränkt und Jean-Lou Siweck sich einen neuen Job suchte.
Das wirft eine ganze Reihe von Fragen auf, die Jean-Lou Siweck aber vor der Rentrée, wenn er sich in der Escher Kanalstraße eingearbeitet hat, nicht beantworten will. Zum Beispiel, welche Folgen sein Einzug in die Editpress-Chefetage auf die redaktionelle Linie im Tageblatt haben wird? Was er diesbezüglich mit den Editpress-Aktionären ausgehandelt hat? Ob sie akzeptieren würden, wenn auf den Lokalseiten das Protokoll der lokalen OGBL-Sektion irgendeiner Südgemeinde nicht mehr abgedruckt würde? Beziehungsweise wenn die OGBL-linientreue Berichterstattung in der Innenpolitik angepasst würde? Oder ob er einen weiteren Jobwechsel riskiert, wenn er, wie er es dem Land nach seinem Amtsantritt beim Wort gesagt hatte, auch bei Editpress eine Professionalisierung herbeiführen will? Wie sich die Aufgabenteilung zwischen ihm und Administrateur-Délégué Alvin Sold gestaltet? Und letztlich die Frage, ob er in der Kanalstraße die Ressourcen vorfindet, personell und finanziell, um aus dem Tageblatt, der „Raison d’être“ von Editpress, wie er es in einem Interview mit seinem beigeordneten Chefredakteur Dhiraj Sabharwal Anfang Juni nannte, wieder eine lesenswerte Zeitung zu machen.
Lesenswert findet aber das Tageblatt nur noch ein Bruchteil der Bevölkerung. In der TNS-Plurimedia-Umfrage fiel die ehedem zweitgrößte Tageszeitung im Land von einer Leserschaft von 16,4 Prozent der über 15-Jährigen 2006 auf weniger als die Hälfte, knapp acht Prozent 2017. Sicher haben auch andere Zeitungen in den vergangenen Jahren gelitten, weil sich die Leser angewöhnt haben, ihre Nachrichten gratis Online zu lesen. Doch das Wort erreicht immerhin noch 31,4 Prozent der Bevölkerung mit seinem Angebot, während mehr Leute Paperjam (10,3 Prozent) lesen als Tageblatt. Der Vergleich zwischen dem gratis verteilten Wirtschaftsmagazin und der Tageszeitung hinkt nur auf den ersten Blick. Denn Editpress bläht seit Jahren seine Auflage mit der Gratisverteilung seiner Zeitungen auf. Den Zahlen des belgischen Centre d’informations sur les médias (CIM) zufolge meldete das Tageblatt 2015 eine Auflage von 22 057 Zeitungen. Davon wurden aber nur 11 257 verkauft. Die Hälfte wurde gratis verteilt oder wieder eingestampft. Die Gratiszeitung aus dem eigenen Hause, die im Joint Venture mit dem Schweizer Medienkonzern Tamedia herausgegebene Pendlerzeitung L’Essentiel hat das Tageblatt in der TNS-Plurimedia-Studie längst überholt: 2017 gaben 25,1 Prozent der Bevölkerung an, die Gratiszeitung zu lesen. Auch sie kämpft mit dem Leserschwund; 2012 erreichte sie noch 30 Prozent der Zeitungsleser.
Dass das Flagschiff Tageblatt Schlagseite hat, die Leser ihm den Rücken kehren, obwohl sich die Zeitung brüstet, die modernste in Europa zu sein, liegt nicht nur am strukturellen Wandel, den die Zeitungsbranche insgesamt durchmacht. Einen ersten herben Rückschlag in punkto Leserattraktivität erlitt das Tageblatt schon vor Jahren, als es aufhören musste, die Todesanzeigen aus dem Wort zu kopieren. Doch die Todesanzeigen sind ein Nachrichtenmarkt, der mehr noch als die Heirats- und Geburtenanzeigen besonders für die einheimische Bevölkerung wichtig ist und noch nicht ganz von Sozialmedien wie Facebook und Twitter übernommen wurde. Wo, außer im Wort, erfährt der Luxemburger, wer gestorben ist, wer die Kinder und Kindskinder sind, wem eine Beileidskarte geschickt, an welche gemeinnützige Organisation eine steuerlich absetzbare Überweisung gemacht werden muss?
Aber auch auf den redaktionellen Seiten hat das Tageblatt in den vergangenen Jahren inhaltlich abgebaut. Beim Geheimdienstskandal und in der Bombenleger-Affäre hatte sich die Redaktion genauso abhängen lassen, wie bei den Luxleaks-Akten und den Panama-Papieren. Die Berichterstattung über diese, das politische und wirtschaftliche Leben Luxemburgs bestimmenden Dossiers hinkte der Konkurrenz dermaßen hinterher, dass mitunter sogar verpasst wurde, die Nachrichten bei RTL zu hören, um zumindest halbwegs aktuell zu bleiben. Von eigener Recherche, von exklusiven Berichten konnte keine Rede sein.
Das hat an erster Stelle damit zu tun, dass Danièle
Fonck ihr Luxemburger Medienhaus führte, als sei es an einem Pariser Boulevard angesiedelt, nicht in der Escher Kanalstraße. Das inhaltliche Angebot der von ihr geleiteten Zeitungen war über die Jahre zunehmend auf ihre persönlichen Interessen ausgerichtet. Zusammengefasst ergab sich daraus eine Mischung aus französischer Innenpolitik, internationalen diplomatischen Beziehungen und den Galakonzerten der Escher Musik- und Gesangsvereine – Letzteres ein persönliches Anliegen von Foncks Vorgänger Alvin Sold, dem deswegen auf den Seiten von Le Jeudi weniger Aufmerksamkeit zuteil wurde. So blieb es zunehmend den Editpress-Produkten Le Quotidien und L’Essentiel überlassen, die nationale und die lokale Aktualität abzudecken, also den Inhalt zu bieten, der den Kauf einer Luxemburger Zeitung überhaupt rechtfertigen würde.
Tageblatt, Le Jeudi, Le Quotidien, L’Essentiel, Revue – die Vielfalt der Titel macht die Geschäftsführung von Editpress zu einer viel größeren Herausforderung als die der über die Jahre wieder auf das Wort reduzierten vergleichsweise einfachen Organisation im Sankt-Paulus-Verlag. Einfacher wird das alles nicht, weil sich die Redaktionen gegenseitig nicht grün sind. Dass dem so ist, konnte man am Freitag zwischen des Zeilen des Abschiedsberichts für Fonck im Tageblatt lesen. Der war bezeichnenderweise nicht signiert, so als ob niemand dafür Verantwortung übernehmen wolle. Und ihm war zu entnehmen, dass ausschließlich feste und freie Mitarbeiter des Le Jeudi, ihrem persönlichen Lieblingsprojekt, ihr Festreden hielten.
In ihren 40 Jahren bei Editpress hatte sich die ehemalige Chefredakteurin im Zusammenspiel mit ihrem Mentor und Vorgänger, Alvin Sold, ein System an Abhängigkeiten und Seilschaften aufgebaut, über das ein neuer Chef schnell zu stolpern riskiert. Damit verknüpft sind auch strategische (Fehl-)entscheidungen. Ein Beispiel: Während Konkurrenzverlage daran tüftelten, ihr französisches, portugiesisches oder gar englisches Angebot auszubauen, um auf die demografische Zusammensetzung der Bevölkerung zu reagieren, konnte man Tageblatt.lu zeitweilig auf russisch aufrufen. Zwar gab es dafür wahrscheinlich eine begrenzte Leserschaft. Aber die Frau eines engen Fonck-Mitarbeiters konnte die Seite betreuen.
Dieses Willkür-System ist eine der Ursachen dafür, warum viele Mitarbeiter, die jung und voller Idealismus zur Gewerkschaftszeitung kamen, in den vergangenen Jahren wieder gingen. Beigeordnete Chefredakteure, die sich beruflich umorientierten, hatte das Tageblatt in den vergangenen Jahren einige. Die Mitarbeiter, die geblieben sind, haben sich in den vergangenen Monaten Sorgen um ihren Job gemacht. Sollte Jean-Lou Siweck der Mann sein, den die Aktionäre in die Kanalstraße schickten, um zu restrukturieren? Denn finanziell sieht es nicht gut aus beim Editpress-Konzern, wie der Blick in die Bilanzen verrät, wo die Geschäftsführung die Veröffentlichung der Gewinn- und Verlustrechnung beim Firmenregister systematisch unterlässt und aus „strategischen“ Ursachen keine Angaben zu den Firmenbeteiligungen macht. Der letzten beim Firmenregister verfügbaren Bilanz zufolge schloss Editpress das Geschäftsjahr 2016 mit einem Gewinn von 394 837 Euro ab. Die Konzernzentrale schiebt aber 1,8 Millionen Euro Verluste aus vergangenen Jahren vor sich her und einen Berg von 17,4 Millionen Euro Schulden. Lumedia, 50-prozentige Filiale und Herausgeberin von Le Quotidien, schleppt sieben Millionen Euro Verluste mit sich herum und hat 4,6 Millionen Euro Schulden. Sogar Edita, das L’Essentiel-Joint-Venture, hat 4,6 Millionen Euro Schulden. Würde Editpress in seiner Bilanz Angaben zu den Filialen machen, würde auffallen, dass sie durch die Beteiligungen an L’Essentiel und Eldoradio mehr Dividenden kassiert hat, als an Gewinn übrig bleibt. Und die Millionen an Pressehilfe ebenfalls vollkommen aufgefressen werden.
„Il est permis d’affirmer raisonnablement qu’Editpress a de bonnes chances de réussir mieux que d’autres groupes luxembourgeois et étrangers la mutation de la pure maison de presse en une vraie maison pluri- et crossmédias, publiant sur papier et sur web, sans négliger la radio et la vidéo“, schreibt Fonck im Management-Bericht 2016 angesichts der Zahlen realitätsfremd. Doch von einem radikalen Plan, einer Zusammenlegung der verschiedenen Redaktionen in eine, wie sie verschiedenen Mitarbeiter in den vergangenen Monaten befürchtet hatten, wurde Land-Informationen zufolge bei der Anlegerversammlung Abstand genommen.