Deutschland

I want my money back!

d'Lëtzebuerger Land du 17.07.2015

Schon wieder alles falsch gemacht. Gründlich vermasselt. Europa zerbrochen. Kaputt gemacht. Auf dem Küchentisch der nationalen Eitelkeit. Und wer trägt Schuld daran? Deutschland. Kalte Macht im Herzen Europas. Kaufmännische Krämerseelen. Ohne Geist. Ohne Seele. Ohne Solidarität. Neoliberale Euro-Spieler. Deutschland steht am Pranger. Nicht nur in Griechenland, sondern vor allem – wenig überraschend – in Italien, Frankreich und – doch überraschend – auch in Luxemburg. „Die Völker Europas verstehen das ständige deutsche Nachlegen nicht“, erklärt Jean-Christophe Cambadélis, Parteichef der französischen Sozialisten. „Einen europäischen Partner zu demütigen, obwohl Griechenland fast alles aufgegeben hat, ist unvorstellbar“, wird Italiens Premier Matteo Renzi von der Tageszeitung Il Messagero zitiert: „Genug ist genug.“ Und auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn äußerte sich kritisch über das deutsche Auftreten bei den Verhandlungen in Brüssel am vergangenen Sonntag.

Was aber verstehen die Europäer, die europäischen Partner an der Berliner Politik nicht? Dass jedes Land sein eigenes paternalistisches Süppchen auf dem Brüsseler Küchentisch zubereitet? So auch Deutschland? Angela Merkel hat doch einzig nach einer Devise gehandelt, die in der Europäischen Union längst sprichwörtlichen Charakter hat: „I want my money back!“ Egal wie. Egal wann. Egal zu welchem Preis. Was der Eisernen Lady recht war, kann der eisernen Kanzlerin nur billig sein. Sie hat handfeste persönliche Interessen, die ganz banal sind: im Amt bleiben, Macht erhalten. Und Deutschland möchte sein Geld zurück – am liebsten in Form der D-Mark, auch wenn diese jetzt Euro heißt. Namen sind Schall und Rauch. Aber was Wert und Wertigkeit von Geld betrifft, versteht man in Berlin nun mal überhaupt keinen Spaß.

Der Euro hat es seit seiner Einführung nicht leicht: Länder mit unterschiedlichen Sozialsystemen, unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit und unterschiedlicher Fiskalpolitik wurden über eine gemeinsame Währung verbunden. Getreu dem Olympischen Motto: Dabei sein ist alles! Die Kosten dieser Ungleichheit wurden Defizitstaaten wie Griechenland aufgebürdet. Die Erfolge fuhren anderen ein, unter anderem Deutschland nachdem es sich zu Beginn des Jahrtausends mit der Agenda 2010 einer wirtschaftspolitischen Rosskur unterzogen hatte.

Als das Ungleichgewicht in der Eurozone ruchbar wurde, machte Angela Merkel eine Milchmädchenrechnung auf: Wer zu viel ausgibt, muss entsprechend sparen. Und wenn man damit das eigene Land, die eigene Gesellschaft, die eigene Wirtschaft zugrunde spart. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hätte dies den Defizitstaaten Anlass und Ansporn genug sein müssen, verkorkste und verkommene Strukturen zu überdenken und zu reformieren, um Schritt halten zu können und die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, nicht nur im Euro-Raum, sondern auf dem globalen Weltmarkt. Denn jedwede Gemeinschaft tut gut daran, sich am stärksten Glied zu orientieren, denn dem schwächsten zu folgen – und zu brechen. Was nicht heißt, dass alles, was der Stärkste macht, goldrichtig und geldwert ist.

Damit das mit dem Sparen auch einfach ist, stellten der Internationale Währungsfond, die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank gerne Kredite bereit und formulierten dafür Bedingungen, die von den Kreditnehmerländern umzusetzen seien. Ganz technokratisch. Ohne mitzureden. Das sei alternativlos, hieß es dazu aus Berlin. Und das wurde ebenso in Stein gemeißelt, wie die Geld-zurück-Garantie. Politische Spielräume blieben kaum und wenn, dann wurden sie vorrangig mit dem Ziel genutzt, die Krise aus dem Bereich der Technokratie in die Sphäre der Politik zurückzuholen. Diese Karte spielte der griechische Premier Alexis Tsipras von Beginn seiner Amtszeit mit einer doch etwas fragwürdigen Rhetorik: von „nationaler Erniedrigung“ sprach er wie von der „Demütigung des griechischen Volkes“ und verbat sich „Einmischungen und Anweisungen aus dem Ausland“. Hinzu kam eine fragwürdige Politik, die an den Wurzeln der griechischen Misere links-nationalistisch vorbei lavierte. Diese Vermischung der Ebenen trug zu einer wesentlichen Verschärfung der Krise bei: So wie man sich von Berlin mehr solidarische Emotion wünschte, erhoffte man sich von Athen solidarische Nüchternheit. Während Berlin in der technokratischen Hülle verharrte, erstarrte der politische Panzer in Athen.

Merkel folgte damit ihrem Bild Europas, das keine politische und keine gesellschaftliche Union ist, sondern einzig und allein ein ökonomischer Zweckverband, der es versäumt hat, sich in den vergangenen 25 Jahren – seit dem Mauerfall – in die politische und gesellschaftliche Ebene zu verwurzeln, zu vertiefen. Stattdessen setzte man auf Erweiterung um den Preis der vernachlässigten Integration. Die Euphorie der ersten drei Dekaden europäischer Integration ist einer nüchterner Gewinn-Verlust-Betrachtung gewichen. In der politischen Sphäre bedeutet dies: Erfolge sind zu nationalisieren, Krisen und Niederlagen zu europäisieren. Der Preis dafür sind das Wiedererstarken links- wie rechtsnationalistischer Parteien, wenn nicht sogar Regierungen, die auf Europa pfeifen. Für die EU kann es deshalb dieser Tage nur ein Mantra geben: „Wir wollen unser Europa zurück!“

Martin Theobald
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