Link, André: Vom Dekadentempel zur Kulturschmiede

Ich bin Dramatiker, lasst mich da heraus!

d'Lëtzebuerger Land du 07.04.2005

Hat das Luxemburger Kino seit einigen Jahren mit Paul Lesch seinen kompetenten und gründlichen Historiker gefunden, wartet das Luxemburger Theater, fast 70 Jahre nach Joseph Hurts detailreichem Theater in Luxemburg, noch immer auf seinen. Die Lücke füllen soll nun der Verlagsangestellte, Wort-Kritiker und selbst Autor dreier Theaterstücke, André Link, mit dem großzügig illustrierten Vom Dekadentempel zur Kulturschmiede. Zweihundert Jahre Theatergeschehen in Luxemburg. Herausgeber sind das seit Jahren durch seine dilettantische Editionspraxis auffallende Institut grand-ducal, section des arts et des lettres und der Sankt-Paulus-Verlag. Bereits im Vorwort weist Link alle wissenschaftlichen Ansprüche von sich, verzichtet also auf literaturhistorische Periodisierung und Analyse. Obwohl das Buch zwei Jahrhunderte Theatergeschichte beschreiben soll, sind zwei Drittel den letzten 30 Jahren gewidmet. Die ersten 150 Jahre werden sogar auf 30 Seiten abgetan: es ist die Geschichte professioneller Gastspiele und revolutionärer "Agitprop"-Spektakel während des Directoire und Kaiserreichs, dann biedermeierlicher Wanderbühnen und Theaterkritiker, nach der Revolution von 1848 schließlich der zur Nationalliteratur aufgebauschten Lokalpossen. Doch das liest man besser und ausführlicher im Original nach bei Hurt und in Fernand Hoffmanns Geschichte der Luxemburger Mundartdichtung. Danach konzentriert sich der Autor - mit einer kurzen Ausnahme der in den Dreißigerjahren aus Deutschland vertriebenen Schauspieler und Kabarettisten - auf die einheimischen Inszenierungen und lässt das Kabarett links liegen. Zu kurz kommt, dass das Theater wie kaum eine andere Kunstform im 19. Jahrhundert politisch umkämpft war von einem liberalen bis freimaurerischen Bürgertum und einer klerikalen Rechten, die Schauspielerei für sittengefährend hielt. Links Theatergeschichte ist in einem ironischen Ton verfasst, den man seit Pierre Grégoire für ausgestorben hielt und der besonders peinlich bei der Darstellung der Kriegsjahre wirkt. Doch das Schwergewicht des Buchs liegt auf der Nachkriegszeit. Sie teilt der Autor in zwei Perioden: die Zugehörigkeit des Theaters zum "Establishment" und ab 1970 der Einzug der Moderne. Nach '45 habe weitgehend eine volkstümliche Vorkriegstradition fortbestanden, bis der Schauspiellehrer Eugène Heinen auch ausländische Autoren zu inszenieren begann und zum Vater des Luxemburger Nachkriegstheaters wurde. Dazwischen seien in Luxemburg und Esch repräsentative Theaterbauten entstanden sowie in Wiltz die vom Autor wegen ihres inzwischen verstaubten Programms kritisierten Festspiele gegründet worden. Bis der vor fast 30 Jahren verstorbene Tun Deutsch zum symbolischen Vatermord an dem heute 91-jährigen Heinen ansetzte. Daraufhin brachte die "Moderne" beziehungsweise die 68-er-Generation neue Autoren und neue Ensembles mit neuen, zeitkritischen Themen in zeitgemäßeren Formen hervor, von denen allerdings nicht alle im Buch erwähnt werden. Am konsequentesten unter ihnen hatte Guy Rewenig dem Autor geschrieben, es sei unannehmbar, dass trotz Nationalen Literaturzentrums  die Literatur- und Theatergeschichte ausschließlich "vun der klerikaler Fraktioun" verfasst werde, und ihn gebeten, "mech aus Ärem Sankt-Paulus-Buch ganz eraus ze loossen" (Journal, 12.11.04). Doch mit politischer und ästhetischer Einseitigkeit hat Link keine Schwierigkeiten, wie seine fortlaufende Auswahlbibliographie in Nos cahiers zeigt. Er zitiert und beschreibt stattdessen achtmal sich selbst als Dramatiker und Kritiker, um sich abschließend zu freuen, dass das Theater "im Moment so tatkräftig aus dem Jungen und Persönlichen schöpft" (S. 183). Doch mit Ausnahme einiger Gastspiele von internationalem Format ist das Theater in Luxemburg derzeit ein ziemlich toter Hund.

André Link: Vom Dekadentempel zur Kulturschmiede. Zweihundert Jahre Theatergeschehen in Luxemburg, Éditions Saint-Paul, Luxemburg, 2004, 199 S., 66 Euro.

 

Romain Hilgert
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