Der Staatsrat bremst die Qualitätsoffensive der Regierung bei der Kinderbetreuung durch Tageseltern. Er fürchtet zu viel Bürokratie

Keinen Formalismus, bitte

d'Lëtzebuerger Land du 24.05.2013

Die Qualität der Kinderbetreuung stärken, die Weiterbildung der Erzieher verbessern – das sind erklärte Ziele des Gesetzespakets „Kindheit und Jugend“, das Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) vergangenes Jahr im Parlament hinterlegt hatte und das nun vom neuen Chef des Familienministeriums, Marc Spautz, ebenfalls CSV, umgesetzt werden muss. Sobald es verabschiedet ist, wohlgemerkt. Das kann noch dauern.

Zu einem Teil davon, den Tagesmüttern und -vätern sowie zur Jugend, hat der Staatsrat inzwischen seine Gutachten vorgelegt. Die Hauptsorge des Hohen Gremiums gilt allerdings weniger der Qualität. Es warnt vor einer Überreglementierung und einem neuen Formalismus im Kinderbetreuungssektor. Die Kritik ist nicht neu, der Rat ist seiner Philosophie treu geblieben, denn ähnliche Bedenken hatte er schon 2007 geäußert, als die damalige schwarz-rote Koalition sich anschickte, den boomenden Betreuungsmarkt der Tagesmütter ansatzweise zu regulieren und erstmals Ausbildungskriterien festzulegen. Ähnlich wie bei den Kindergärtenplätzen ist das Angebot an Tagesmüttern und -vätern hierzulande in den Jahren zwischen 2009 und 2012 massiv gestiegen: von 1 606 im Jahr 2009 auf über 2 200 betreuten Kindern. Inzwischen macht ihr Anteil am Gesamt-Betreuungsmarkt rund 33 Prozent aus. Lag der politische Akzent in der Vergangenheit vorrangig auf der Schaffung von möglichst vielen Betreuungsplätzen, um dem Mangel an außerfamiliären Betreuungsangeboten zu begegnen, will die Regierung nun in einem zweiten Schritt Qualitätsstandards festschreiben. Das ist aber komplizierter, als es zunächst klingt.

Der Staatsrat ist damit grundsätzlich einverstanden, warnt jedoch davor, die „Dynamik im Sektor“ zu ersticken. Immerhin solle der Staat nicht die Eltern und ihre Verantwortung ersetzen, „die in ihrer Wahl frei bleiben“ und die Eltern dürften auch „nicht ihre Verantwortung auf den Staat abschieben“. Doch um wirklich die Wahl zwischen einer besseren und schlechteren Kinderbetreuung zu haben, muss ein Vater, eine Mutter erst einmal wissen, wie denn überhaupt die Qualität der Dienstleistung ist, die er oder sie kauft. Und das ist im bestehenden System nicht beziehungsweise nur sehr eingeschränkt möglich. Mit der Reform sollen sämtliche Betreuungsanbieter, auch die Tageseltern, sich auf allgemein gültige Leitlinien zur Kinderbetreuung verpflichten. Sie erhalten ihre Betriebsgenehmigung nur, wenn sie verschiedene Auflagen erfüllen. Damit sind nicht nur Baunormen und Betreuungsschlüssel gemeint, die gibt es heute schon, sondern zusätzlich pädagogisch-konzeptuelle Vorgaben, etwa ein pädagogisches Konzept zu haben und die Aktivitäten in einem Tätigkeitsbericht zu dokumentieren.

Die Kriterien des nationalen Referenzrahmens, der pädagogische Grundsätze festlegen soll, die alle Kinderbetreuungsanbieter, ob privat oder konventioniert, befolgen müssen, seien unpräzise, kritisiert nun der Staatsrat, der sich ohnehin mit den neuen Definitionen, etwa von Jugend und Kindheit, schwerzutun scheint. Unklar sei auch, welche Rolle die neu geschaffenen regionalen Agenten „Kindheit und Jugend“ spielen sollen. Laut ASFT-Gesetz wacht das Familienministerium darüber, dass Zulassungsbedingungen und Normen eingehalten werden. Das soll offenbar auch in Zukunft so bleiben, zugleich soll der Service national de la jeunesse aber als eine Art Ressourcenzentrum fungieren und das Monitoring des Sektors übernehmen. Nur wie genau dieses Monitoring ablaufen soll und wie die Tageseltern darin einbezogen werden sollen, das erschließt sich dem Staatsrat nicht.

Er plädiert für einen pragmatischen Ansatz und hätte am liebsten so wenig Regulierung wie möglich. Interessanterweise hatte die Handelskammer in ihrem Gutachten zum Gesetz keine solchen Probleme gesehen und über Bürokratie oder zu viel Regulierung verliert sie kein Wort. „Wir reden über Kinder, kleine Kinder zwischen null und vier Jahren. Da muss es gewisse Garantien geben“, sagt Tessy Scholtes. Die CSV-Politikerin ist Berichterstatterin des Entwurfs und sieht noch Nachbesserungsbedarf.

Gerade das Monitoring des Sektors dürfte für Diskussionen sorgen. Schon weil mit dem Aufbau weitere Kosten verbunden sind. Der OGBL sperrt sich in seinem Gutachten mit Händen und Füßen gegen eine Bewertung von außen. Er fürchtet, dass damit eine Evaluation der Mitarbeiter einhergehen könnte. Ähnlich argumentiert übrigens die Lehrersektion des OGBL SEW gegen die geplante Lehrerbewertung. Aber wie sollen Qualitätsmängel behoben werden, wenn nicht auch die Arbeit des Personals überprüft wird? Dass es auch unter pädagogisch ausgebildetem Personal „schwarze Schafe“ geben kann, zeigen Vorkommnisse wie vor einigen Jahren im Escher Centre de l’éducation différenciée, als behinderte Kinder von ihren Betreuern misshandelt respektive grob vernachlässigt wurden. Der kategorische Widerstand des OGBL dürfte bei Eltern auf wenig Verständnis treffen.

Das Gesetzespaket weist weitere Unschärfen auf: Ginge es der Regierung wirklich um mehr Qualität und Sicherheit für die Eltern, wieso schreibt sie dann für die Person, die eine Tagesmutter oder einen Tagesvater im Falle von Urlaub oder Krankheit vertritt, nicht vor, gerade so wie die Tageseltern eine Basisausbildung absolvieren, ein tadelloses polizeiliches Führungszeugnis zu haben sowie ein medizinisches Attest vorzulegen? Der Staatsrat wundert sich auch zu Recht darüber, dass Jugendliche, die im Tageseltern-Haushalt wohnen, nicht ebenfalls polizeilich unbescholten sein müssen. Was ist, wenn im selben Haus ein minderjähriger Jugendlicher wegen Gewalt oder Missbrauch auffällig geworden ist?

Für die Qualität der Betreuung ist vor allem der der Betreuungsschlüssel entscheidend. Er ändert sich mit dem Gesetzespaket, und zwar nicht nur für die Tageseltern. „Wir wollten unterscheiden zwischen Kinder im schulpflichtigen Alter und Kindern, die nicht in die Schule gehen“, sagt Manuel Achten vom Familienministerium. So soll die Anzahl der Kinder, die Tageseltern künftig in einer Wohnung betreuen dürfen, fünf nicht überschreiten. Davon dürfen nur zwei jünger als zwei Jahre alt sein. Experten gehen davon aus, dass jüngere Kinder mehr Betreuung brauchen als ältere. Der Personalschlüssel bei Kindern, die älter als vier Jahre sind und in einer Maison relais untergebracht, soll jedoch von zehn auf elf erhöht werden. Bei den Kleinkindern soll auf eine/n Erzieher/in maximal sechs Kleinkinder kommen. Im aktuellen Gesetz ist der Schlüssel für die Vier- bis Fünfjährigen günstiger: dort kommt ein Betreuuer auf neun Kinder. Der Gesetzentwurf bedeutet „eine Verschlechterung der Betreuungsqualität“, schlussfolgert das Syndikat Gesundheit und Soziales vom OGBL daher. „Wir wollten den Schlüssel für die Kleinen sogar noch günstiger gestalten“, sagt Manuel Achten vom ;inisterium. Das sei aus budgetären Gründen aber nicht möglich gewesen.

223 Millionen Euro gab der Luxemburger Staat 2012 für den Kinderbetreuungssektor aus. Dass dieser Posten angesichts des Staatsdfizits nicht einfach weiter wachsen kann, ist nachvollziehbar. Allerdings werden mit der Qualitätsoffensive womöglich ohnehin Mehrkosten verbunden sein, schon durch die Aus- und Weiterbildungspflicht von 16 Stunden pro Jahr sowie den veränderten Betreuungsschlüssel. Im Gesetzentwurf ist davon aber keine Rede.

Viele offene Fragen also, bevor ein wie auch immer gestaltetes Qualitätskonzept umgesetzt werden wird. Berichterstatterin Tessy Scholtes geht davon aus, dass die zuständige Familienkommission ab Juni weiter beraten wird. „Es ist ein anspruchsvolles Vorhaben mit vielen Details“, sagt die Abgeordnete.

Juni hat auch das Familienministerium als Termin abgegeben, um Antworten auf das Staatsratsgutachten zu geben. Neuer Familienminister hin oder her, dort möchte man das Gesetz am liebsten noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet sehen.

Ines Kurschat
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