Premières amours (luxembourgeois)

d'Lëtzebuerger Land du 20.08.2021

Premières amours, erste Lieben, heißt der neu erschienene Sammelband mit Texten von luxemburgischen Autorinnen und Autoren mit Kurzgeschichten auf Französisch, Deutsch und Englisch. Wenn man an die erste Liebe denkt, denkt man intuitiv an Menschen (oder Erwartungen an „Die (Erste) (Große) Liebe“). Vielleicht denkt man an einen bestimmten Menschen oder eine Situation; an Haut, das Knistern, Gefühle, Begehren oder Respekt, Gedankenversessenheit oder Verliebtheit. An Scheitern oder Dauer, an Erfüllung oder Enttäuschung. An einen Menschen oder verschiedene Menschen, die auf verschiedene Art, nacheinander, nebeneinander, miteinander geliebt wurden. Und daran, was von der ersten Liebe geblieben ist. Doch um gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Wirklich konkret bezieht sich auf diese Bilder und Eindrücke nur ein Text, und zwar Jean Bürlesks Frustratingly Unicorn, der sich mit Verliebtheit und Liebe, Erwartungen vs. Jungfräulichkeit auseinandersetzt, hautnah.

Bei den anderen Texten wird schnell klar: Nicht der eine, symbolisch aufgeladene „premier amour“ steht im Fokus, sondern die „premières amours“. Der Plural gibt den Takt vor, in den zwölf Texten der luxemburgischen Autor/innen trfft Liebe als ein Entbrennen einer Leidenschaft auf etwas immer Neues.

„Premier amour? Je ne l’ai su que plus tard, beaucoup plus tard, je ne l’ai su qu’ au temps du dernier amour, maintenant je sais, tout amour est toujours premier, tout amour est toujours dernier“, schreibt Lambert Schlechter (S. 95), und Ian de Toffoli: „Il n’y a jamais qu’un seul amour, ils sont plutôt – et c’est tant mieux - plusieurs. Et bien divers en genre.“ (S. 63) Oder mit Jean Portantes spitzer Feder:

„Mais à chacune j’ai juré, voilà pour l’autre côté, que c’était mon premier amour. En ajoutant chaque fois, affaire de m’arranger avec ma conscience, mais était-ce nécessaire?, l’adjectif ‚vrai‘ entre ‚premier‘ et ‚amour‘, ou ‚grand‘, ce qui rendait la chose plus crédible, personne ne gobant que, l’âge avancé, je sois resté puceau en la matière“ (S. 87).

In einigen der Texte wird Liebe(n) zum Symbol für eine Leidenschaft oder ein Objekt, das einen in den Bann gezogen hat. Diese Leidenschaft ist nicht romantisch, sondern eine Faszination, für einen Gegenstand, die Musik, die Literatur oder das Schreiben, oder es ist der erste fixe, intensiv erlebte Wunsch, etwas zu besitzen (so in Anja di Bartolomeos humorvoll aus Kinderperspektive erzähltem Text Das Schwein). Carla Lucarelli verbindet die verblassende Erinnerung an die ersten Male Händchenhalten im Bus oder die Verliebtheit im Sommerurlaub mit ihrer erwachenden Liebe zur Kunst, der Entdeckung von Le Rouge et le Noir oder Moderato cantabile. Viele der Texte spielen in der Kindheit, werden gerahmt durch einen älteren, kontextualisierenden Erzähler/innenblick. Unter den Texten aus Kinderperspektive sticht besonders Elise Schmits Liebe Tilly hervor: Die Erzählerin erinnert sich, wie sie als Kind ihre Tante Mathilde fragte, weswegen sie nie geheiratet hat – dabei war „Tante Mathilde überhaupt nicht wunderlich, konnte fabelhaft kochen und war trotzdem ledig.“ (S. 34) (Was, in der kindlichen Wahrnehmung der Welt, die Ausschlusskriterien für die Ehe gewesen wären.) Zwischen Kinderspielen und -vorstellungen von der Welt, Erinnerungen an die eigenen Erwartungen an Heirat, Liebe und den Lauf der Dinge, fragt schließlich die rückblickende Rahmenerzählerin aus ihrem jetzigen Standpunkt heraus: „Hätte ich sie vielleicht besser fragen sollen, ob sie mal verliebt gewesen war? Das hätte ich mich nicht getraut und es ging mich auch nichts an“ (S. 38).

Ähnlich dringt Georges Hausemers Damals, in den Sechzigern in die Kinderperspektive ein: Es ist ein Erinnerungsschnipsel an eine lang aus den Augen verlorene Spielfreundin und so an eine bestimmte, losgelöste, fast vergessene Zeit im Leben. Und Nico Helmingers sehr intensive und berührende Erzählung M oder Erstes Lieben, das auf dem schmalen Grat eines Wellenkamms in m-Form wogt, bereit, jeden Moment hinabzustürzen, in sich zusammenzufallen und als übergriffiges Erlebnis empfunden zu werden. Es überrascht zwar, dass die Pubertät kein dominierendes Thema ist (dazu könnte Lucy Love von Fabienne Hollwege, Kremart 2019, herangezogen werden – und wäre auch eine luxemburgisch-sprachige Ergänzung), aber das mag daran liegen, dass viele Texte den Sprung von einem vorgegebenen Thema in die freie Assoziation gewagt haben, und von der Ersten Liebe beim Lieben gelandet sind. Mal poetisch wie Nathalie Ronvaux‘ Parva Petra, mal süffisant und spielerisch, sind die Geschichten sprachlich so unterschiedlich wie inhaltlich überraschend.

Premières Amours. Aphinités Nr. 8, Éditions Phi (2021). 136 Seiten 16 Euro

Claire Schmartz
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