Kinderkriegen

Mama!

d'Lëtzebuerger Land du 06.06.2014

Gibt es sie noch, diese Wesen, die von einer Horde kleiner Banditen verfolgt werden (ein Bandit tut es auch schon), die nicht aufhören, sie mit Mama anzuschreien? Die sich stolz mit drolligen, possierlichen Geschöpfchen abschleppen, die sabbern und in die Hose machen? Die Unendlichkeiten lang Kuchen aus Sand backen, bis zehn zählen, wilde Stämme bei so genannten Kinderfesten zähmen, Latein Mathe Liebeskummer durchmachen, und noch mal, und noch mal?

Dekaden lang gelten sie als vermisst, durch Pamper-Canyons robbend, verschollen zwischen Wäsche- und Geschirrbergen. Um sich dann Mutanten gegenüber zu sehen, die nur selten, von primären Bedürfnissen getrieben, aus Parallelwelten auftauchen. Prinzessinnen, die auf die andere Straßenseite wechseln, weil sie kommt. Bärtige Männer, die laut darüber nach denken, inwieweit sie Schuld an allem ist.

Komisch, man könnte meinen, diese Gattung würde aussterben, allmählich, das Modell werde nicht mehr nachgefragt, es gibt ja so viel anderes auf dem Markt. Was man nicht alles unternehmen kann im Leben, Karriere machen zum Beispiel, Heilpflanzen in der Antarktis erforschen oder sich einem nobelpreisverdächtigen Werk widmen. Warum soll eine Wöchnerin werden statt Trend-Scoutin oder Lobbyistin? Warum soll eine Gänsefüßchen um Gänsefüßchen mit tobenden Tyrannen an endlosen Mäuerchen entlang trotten, mit kleinen Wiederholungstäterinnen Treppen steigen, jeden Tag Hausaufgaben machen und höchst selten zusammenhängende Gespräche mit Menschen über zwölf führen? Warum eigentlich?

Aber es gibt Freiwillige. Sie sterben, die Natur ist wirklich zäh, nicht aus. Sie hören plötzlich auf eine Pille zu schlucken, um all das zu verhindern. Sie wollen sich bekindern, hier und heute und trotz aller Schauergeschichten, die man über die Fortpflanzung und ihre Konsequenzen erzählt. Sie haben keine Angst vor kleinen Kindern, die dann, huch, immer größer werden. Sie geben alles auf, ihr Liebesleben, das Geld, die Freiheit, den Freundeskreis. Ab jetzt geht die Reise ins Kinderhotel.

Sie sind Freiwillige.

In einer Kunstgalerie steht eine junge Dame in einem schwarzweißen Designeranzug. Sie trägt eine bunte, poppige Tasche, perfektes Accessoire. Beruflich managt und designt sie, oder beides, und macht was mit Medien. Plötzlich kriegt sie weiche Augen, sie erblickt ein an eine Männerbrust geschmiegtes winziges Wesen, so eins will sie auch. Ganz plötzlich. Angeödet schaut sie auf die Kunst, wie tot das alles ist! Das winzige, lebendige Wesen schreit, eine Frau kommt angehastet, sie bekommt es ohne Widerstand ausgehändigt. Die Frau verzieht sich mit dem Wesen in ein Winkelchen, man hört ein schmatzendes Geräusch.

Die junge Dame sieht sich einen Kinderwagen durch die Groussgaass schieben, die Marke ist ihr momentan egal, außerdem kennt sie sich da noch nicht aus, im Kinderwagen thront ein niedliches Geschöpf, das wonniglich vor sich hin lallt.

Die junge Dame wird ihr Projekt in Angriff nehmen. Sie wird ihren Freund motivieren müssen, der vorerst noch die Karriereleiter höher steigen und sein Leben genießen will, weil mit so winzigen Wesen, die sich einem an die Rockschöße klammern, ist es vielleicht ungenießbar. Außerdem strebt er ein adäquateres Wohnumfeld an. Es wird nicht leicht sein, ihn von der anstehenden Fortpflanzung zu überzeugen. Alle anderen Verhaltensvarianten lehnt sie leider strikt ab. Der Freund braucht aber keine Nachkommen, um sein Feld zu bestellen und ihm später die Grütze ans Bett zu bringen. Um ehrlich zu sein, weiß er eigentlich nicht genau, wozu ... Während sie ihm etwas näher bringen will, was ihm vollkommen artfremd ist, empfindet sie das Ticken der biologischen Uhr als ohrenbetäubend.

Zu gleicher Zeit gibt es Herren, Damen, Menschenkinder aller Art, Freiwillige, die zwar auch kein Feld bestellen, aber sich dennoch freuen würden, einem kleinen Menschen ein Lätzchen umzubinden und ein Bauernhofbilderbuch mit ihm anzuschauen. Die Rechtsgelehrten müssen aber noch jede Menge Folianten wälzen, die Psychologinnen Soziologen Genetikerinnen Philosophen müssen noch in die Talkshows. Die Pfaffen erzählen von Adam und Eva.

Keinesfalls eine Heile-Welt-Geschichte.

Michèle Thoma
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