„Relativ geordnet“, konnte Finanzminister Pierre Gramegna am Mittwoch feststellen, haben die Märkte bisher darauf reagiert, dass Athen die Rückzahlung von 1,6 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) am Dienstag verstreichen ließ. Auch deshalb können die Euroländer, wie sie während ihrer Telefonkonferenz am Mittwoch beschlossen, das Ergebnis des Referendums am Sonntag abwarten, ohne eingreifen zu müssen. Tatsächlich scheint die „Ansteckungsgefahr“, die noch vor zwei Jahren von Griechenland ausging, in der Zwischenzeit gebannt. Wie Yves Nosbusch, Chef-Volkswirt von BGL-BNP Paribas, am Dienstag festellte, sind die Zinsen auf den Anleihen anderer ehemals gefährdeten Euroländer nur marginal angestiegen. Die Reaktion an den Börsen, sei „nicht außergewöhnlich“.
Der Euro hat keine größeren Kursverluste im Vergleich zu anderen Währungen zu verzeichnen. Dass das allerlei technische Ursachen haben könnte, konnte aber auch Nosbusch nicht ausschließen. Beispielsweise könnte der Kurs auch dadurch gestützt werden, dass Händler ihre Positionen auflösten. Die Schweizer Zentralbank griff diese Woche ein, um zu verhindern, dass der Franken allzu stark ansteige.
Dass sich die Folgen der Insolvenz Griechenlands bisher in Grenzen halten, ist auch eine Frage der Semantik. Der IWF hat Griechenland nicht als säumig (default) erklärt, sondern festgestellt, dass das Land mit der Rückzahlung von Krediten in Verzug ist (arrears).
Auch die Europäer sind bisher zurückhaltend. Der europäische Rettungsschirm ESM stellte am Mittwoch die „Nicht-Zahlung“ an den IWF fest, und dass dies für seinen Vorgänger EFSF, aus dem die Griechenlandhilfen gezahlt wurden, als „default“ gelte. Dem EFSF stehen nun drei Optionen offen: Er kann seine Kredite sofort zurückfordern, dieses Recht aufgeben oder sich vorbehalten, es zu einem späteren Zeitpunkt geltend zu machen. Pierre Gramegna erklärte am Mittwoch, den Euroländern, die Griechenland auch bilaterale Kredite gegeben haben, stünden die gleichen Optionen offen. Man werde sich unter Euroländern auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Luxemburg hat sich mit insgesamt 521 Millionen Euro gegenüber Griechenland engagiert, wiederholte der Finanzminister. Einerseits bürgt Luxemburg in Höhe von 381 Millionen Euro für den EFSF und hat anderseits einen direkten Kredit über 140 Millionen Euro gewährt.
Die Luxemburger Banken haben keine Griechenlandanleihen mehr im Portfolio, sagt ABBL-Chef Serge de Cilia. Luxemburger Banken haben griechischen Banken 300 Millionen Euro Kredit gewährt. De Cilia will sich dazu nicht weiter äußern, aber dieses Risiko dürfte sich bei einigen wenigen Banken konzentrieren. Deshalb hat die neuerliche Zuspitzung der Krise dem Direktor der Bankenvereinigung zufolge, „keine direkten negativen Folgen für den Finanzplatz Luxemburg“. „Luxemburg hat nur sehr geringfügige wirtschaftliche Beziehungen mit Griechenland“, fügt er hinzu.
Ob daraus folgt, dass ein eventueller Austritt aus dem Euro hauptsächlich ein Problem für die Griechen darstellt, nicht aber für die anderen Euroländer? Wenn die Situation kurzfristig unter Kontrolle scheint, heißt das nicht, dass es keine langfristigen Folgen gibt. Was den Verantwortlichen der Europäischen Union, allen voran EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, dessen politische Karriere mit dem Aufbau des Euro eng verstrickt ist, Sorgen bereiten dürfte, ist die Grundsatzfrage: Ist der Euro reversibel, wenn ein Land ausscheiden kann? Das würde im Allgemeinen Fragen über die Glaubwürdigkeit des Euro als Währung aufwerfen. Was, wenn ein Land mit größerem Wirtschaftsgewicht als Griechenland die Währung verlassen wollte?
Dabei ist gar nicht klar, ob und wie Griechenland überhaupt aus der Währungsunion ausscheiden könnte – weshalb Juncker am Montag vage davon sprach, die Griechen sollten „Ja“ zur Europäischen Union sagen. Einen Austritt aus dem Euro sehen die Verträge nicht vor. Weshalb Pierre Gramegna am Mittwoch die lobenswerte Ausnahme unter den europäischen Politikern bildete, als er sagte, ein negatives Referendumsergebnis würde noch nicht zu einem Austritt aus der Eurozone führen (siehe auch Seite 5). Denn nur das Zurückziehen aus der EU, aus konstitutionellen Gründen, ist in den Europäischen Verträgen vorgesehen. Ein Rauswurf aufgrund der Verletzung der Menschenrechte, der Demokratie oder der Rechtsstaatlichkeit ist im Europäischen Verfassungsvertrag vorgesehen – nicht aber auf Basis der Nichterstattung von Schulden.
Sollten die Griechen am Sonntag mit „Ja“ stimmen, so habe er keine Zweifel daran, dass die Verantwortlichen der Eurozone die Mittel finden würden, um ihre Engagements einzuhalten sagte Benoît Cœuré, französisches Mitglied des EZB-Rates in einem Interview mit Les Echos. Seine Aussagen klingen wie das Echo von EZB-Chef Mario Draghis Ansage im Sommer 2012, man werde tun, was nötig sei. Es waren weit mehr diese Worte als die Hilfsprogramme für die Problemländer oder die Verschärfung der Haushaltsregeln, die dazu geführt hatten, dass sich die Schuldenkrise überhaupt erst beruhigt hatte.
Nach einem „Nein“ am Sonntag aber, glaubt Yves Nosbusch, müsste Athen relativ schnell eine Parallelwährung einführen, um die Liquiditätsengpässe zu überbrücken. Damit wäre der Euro in Griechenland allerdings noch nicht abgeschafft. Mit der Zeit würde der stärkere Euro die schwächere Ersatzwährung wahrscheinlich wieder verdrängen, glaubt Nosbusch. Davon abgesehen gibt es in direkter Nachbarschaft von Griechenland einige Länder, die den Euro ganz ohne Mitgliedschaft in der Europäischen Union als Hauptwährung benutzen – doch darüber sprechen die Verantwortlichen der Eurozone nur ungern.
Dass ein Austritt aus dem Euro die Erlösung für die Griechen sei, wie in Deutschland manch prominenter Ökonom behauptet, glaubt Nosbusch indes nicht. Im Gegenteil ist er überzeugt, dass die Kosten für Griechenland sehr hoch wären. Die Investitionen und die Kreditvergabe würden schrumpfen, wegen der Abwertung der neuen Währung die Importe teuerer werden. Ohnehin habe Griechenland nur beschränkte Möglichkeiten, von einer Abwertung zu profitieren, weil es nur wenig exportiere. Branchen wie die Tourismusindustrie könnten davon auch nicht profitieren, da sie kurzfristig nicht die Kapazitäten erhöhen könnten – die Hotels seien in den vergangenen Saisons bereits gut ausgelastet gewesen.