Die Regierung will das Rauchverbot auf E-Zigaretten ausdehnen. Doch spricht viel dafür, dass deren Gesundheitsrisiko deutlich geringer ist

Kampf dem Dampf

d'Lëtzebuerger Land du 19.08.2016

Vielleicht liegt es daran, dass die Nachricht drei Tage vor offiziellem Ferienstart kam und viele in Gedanken schon im Sommerurlaub waren. Oder daran, dass das „Dampfen“ der E-Zigaretten in Luxemburg noch nicht sehr verbreitet ist. Vielleicht aber liegt es bloß an der allgemeinen Debattierfaulheit. Jedenfalls titelten die Zeitungen nach der Vorstellung des neuen Anti-Tabak-Aktionsplans der DP-LSAP-Grüne-Regierung müde, „keine Werbung für die E-Zigarette“ und „E-Zigarette gleich Zigarette“. Die Ruhe verwundert, denn in anderen Ländern wird der Kampf um die Deutungshoheit der E-Zigarette mit viel mehr Feuer, Dampf und leider auch mit ordentlich Nebelwerfern geführt, so dass man meinen könnte, die gesamte bisherige Anti-Tabak-Politik stehe auf dem Spiel.

Dazu später mehr. Der überarbeitete Aktionsplan von Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) sieht jedenfalls, neben der Ausdehnung des Rauchverbots auf Spielplätze und aufs eigene Auto, sofern Kinder unter zwölf Jahren mitfahren, sowie einem Verbot von Aroma-Zigaretten (ab 2020) neuerdings auch ein Verbot für batteriebetriebene Zigaretten vor. Also kein Dampfen in öffentlichen Gebäuden, und auch nicht in Restaurants oder Diskos.

Mit dem Vorschlag reagiert die Sozialistin auf eine Vorlage der EU-Kommission. Sie hatte den Mitgliedstaaten bis Mai Zeit gegeben, eine entsprechende Richtlinie umzusetzen. Die Nachfrage nach dem E-Verdampfer ist in Deutschland, Frankreich und anderen Ländern der EU in den vergangenen Jahren exponentiell gestiegen. In den batteriebetriebenen Geräten wird kein Tabak verbrannt, sondern eine nikotinhaltige Flüssigkeit verdampft. Der Dampf wird in die Lunge gesogen und sorgt für einen ähnlichen Kick wie Tabak, ohne den schädlichen Rauch.

Harmlos ist der Dampf dennoch nicht, und Mutsch begründet ihren Schritt denn auch mit dem Gesundheitsrisiko, das mit dem Inhalieren des Dampfes verbunden sei. Die Gesundheitsgefahren insbesondere für Jugendliche nennt auch Lucienne Thommes, Direktorin der Fondation Cancer als Hauptmotiv, warum sie die Initiative der Regierung „zu hundert Prozent“ unterstützt. „Die E-Zigarette ist vielleicht etwas weniger schädlich, aber die Langzeitwirkungen sind völlig unbekannt“, warnt Thommes. Die Regierung will, bevor sie den Entwurf hinterlegt, noch wissenschaftliche Ergebnisse zum Gefährdungspotenzial abwarten. Eben darum tobt in der Forschung seit einigen Jahren ein heftiger Streit. Anstatt sachlich das Für und Wider abzuwägen, dies gestützt auf wissenschaftlichen Beweisen, verweisen Befürworter – und Gegner – eines Verbots auf Studien, die vor allem ihre Argumente stützen. Die Links, die das Gesundheitsministerium zum Thema auf Anfrage verschickt, sind allesamt E-Zigaretten-skeptisch.

Wer die Studien durchliest, wird bemerken, dass sie oft sehr kleine Fallzahlen betreffen, so dass belastbare Aussagen nicht zu treffen sind. So viel ist unstrittig: Wer eine herkömmliche Zigarette raucht, nimmt rund 4 800 Stoffe auf, darunter krebserregendes Teer, Kohlenmonoxid, Ammoniak und Benzol. Wer an einer E-Zigarette zieht, atmet vor allem giftiges, süchtig machendes Nikotin und Trägersubstanzen wie Propylenglykol ein. Sowie chemische Zusatzstoffe, die in den Liquids zur Geschmacksverstärkung enthalten sind. Derzeit befinden sich über 7 000 Geschmacksrichtungen auf dem Markt, die unter anderem Diacetyl beinhalten. Es wird verdächtigt, Entzündungen der Atemwege zu verursachen. Gleichwohl lassen sich auf eine Nutzungsdauer von zwei Jahren bislang keine erhöhten Gesundheitsrisiken für Konsumenten nachweisen, so das Wissenschaftler-Netzwerk Cochrane, das als seriös und unabhängig gilt.

Nicht selten sind Forscher und Gesundheitsexperten jedoch befangen, weil sie als Berater für die eine oder andere Seite tätig sind oder waren, oder Medikamente von bestimmten Pharmaunternehmen bevorzugen. Forscher der britischen Wissenschaftsorganisation Public Health England (PHE) wurde vorgeworfen, nicht neutral zu sein, nachdem sie 2015 in einem im Wissenschaftsjournal The Lancet erschienenen Bericht ausrechneten, dass E-Zigaretten ein um 95 Prozent geringeres Gesundheitsrisiko trügen als die Tabakalternative. PHE-Studienleiter David Nutt bezeichnete den batteriebetriebenen Verdampfer gar als „größten medizinischen Fortschritt seit der Entdeckung von Impfstoffen“. Kurz darauf distanzierte sich die Fachzeitschrift in einem Editorial von den Ergebnissen. Allerdings ihrerseits ohne Angabe der Autoren, sodass Beobachter über eine Einflussnahme der Anti-Tabak-Lobby spekulierten. Die unwürdige Auseinandersetzung zeigt, wie heftig und ideologisch mittlerweile auch um die E-Zigarette gerungen wird.

„Wir sehen ein Verbot als präventive Maßnahme“, betont derweil Lucienne Thommes. Das ist für ihre Stiftung, die sich seit Jahrzehnten im Kampf gegen Krebs engagiert, legitim. Erst recht, wenn es um Jugendliche geht. Jugendliche befinden sich in der Entwicklung, ihr Körper reagiert empfindlicher auf Suchtstoffe und ihre Nebenwirkungen. Um ihre Gesundheit besser zu schützen, will die Regierung das Mindestalter, um Zigaretten zu kaufen, künftig von 16 auf 18 Jahren heraufsetzen. Fragt sich bloß, warum die Altersgrenze für den Erwerb von Alkohol unverändert bei 16 Jahren bleibt. Schließlich ist dort seit Jahren ein ganz ähnlicher Trend im Gang: Mit poppigen Mixgetränken versuchen Alkoholhersteller gezielt, junge Konsumenten anzulocken. Ein logischer Bruch in der sonst strengen Verbotspolitik, wie Thommes bekräftigt. Doch die Direktorin der Fondation Cancer beharrt darauf, der Gesetzgeber müsse reagieren, „ehe der Karren im Dreck steckt“, die E-Zigarette „zum neuen Hype wird“ und „Nikotin wieder salonfähig“.

Das ist wohl der eigentliche Grund, warum Brüssel und nun Luxemburg die E-Zigarette vorsorglich verbannen. Sie hat das Potenzial, die bisherige Null-Toleranz-Politik kräftig durcheinanderzuwirbeln. Tabakgegner warnen bereits vor einer „Renaissance“ der Tabakindustrie und des Glimm-stengels. In den vergangenen Jahrzehnten hatte die Anti-Tabak-Lobby beachtliche Erfolge erzielt und die Marktmacht der Tabakkonzerne immer weiter beschnitten. Erst wurde Werbung für Tabakprodukte verboten, dann das Rauchen in Cafés und in öffentlichen Räumen – künftig im eigenen Familienwagen. Warnhinweise auf Zigarettenpackungen wurden immer größer, Rauchen ist gesellschaftlich geradezu geächtet. Zu Recht insofern, als Tabak nicht nur das Leben des Rauchers gefährdet, sondern die Gesundheit seiner Mitmenschen ebenso. Die (oft tödlichen) Folgen des blauen Dunsts schlagen sich in immensen Kosten für die Gesundheitsversorgung nieder, die Mehrausgaben für rauchbedingte Herz- und Kreislaufkrankheiten, für Lungenkrebs und Raucherbein tragen Nichtraucher über die solidarisch finanzierte Krankenversicherung mit.

Doch indem sie ihre Verbotspolitik vorbehaltlos auf die E-Zigarette übertragen, bremsen Tabakgegner womöglich einen anderen Effekt aus: Suchtexperten trauen den Verdampfern großes Potenzial bei der Rauchentwöhnung zu, möglicherweise sind sie sogar Nikotinpflastern überlegen. Das Cochrane-Netzwerk hat bisherige Untersuchungen unter die Lupe genommen, wonach E-Zigaretten Rauchern geholfen haben, ihren Tabakkonsum erheblich zu reduzieren oder ganz damit aufzuhören. Einer italienischen Studie zufolge qualmte jeder zweite Teilnehmer nach sechs Monaten E-Zigaretten-Konsum nur noch die Hälfte der herkömmlichen Zigaretten. Allerdings sind die Fallzahlen klein und fehlen auch hier Langzeitstudien.

Trotzdem scheint dieser mögliche Vorteil der Verdampfer bei der Gefahrenanalyse kaum eine Rolle zu spielen. Obwohl sie wahrscheinlich das bedeutend kleinere Übel gegenüber Tabakzigaretten darstellen. Selbst Medizinerin Lucienne Thommes streitet das nicht ab: „Wenn jemand alles probiert hat, um aufzuhören, würde ich als letztes Mittel wohl die E-Zigarette empfehlen.“ Letztendlich sei egal, „wie man aufhört: Hauptsache, man hört auf“.

Doch die Alles-oder-nichts-Sichtweise läuft Gefahr, die Bedeutung der E-Zigarette für die Risikominderung zu untergraben. Dahinter steht die Auffassung, Abstinenz von Süchten sei der gesündeste und daher einzig richtige Weg zu leben (über das eigene tägliche Glas Wein gucken manche dabei großzügig hinweg). Doch zum einen mag es gute Gründe geben, sich zu berauschen, und versteht jede/r unter schönem Leben etwas anderes. Autoabgase sind ähnlich gesundheitsschädigend wie das Rauchen und dennoch gibt es kein allgemeines Emissionsverbot und tun sich Regierungen mit Regulierungen der Autoindustrie auffällig schwer, wie der Dieselabgasskandal zeigt. Zum anderen ist die Minderung von Gesundheitsschäden bei der Suchtbekämpfung erklärtes politisches Ziel und beruhen ein Teil der nationalen Drogenpolitik sowie Hilfsangebote genau darauf: dass demjenigen, der seine Sucht nicht aufgeben kann oder mag, notfalls mit Ersatzmitteln geholfen wird, um so wenn schon nicht die Sucht, dann wenigstens das schlimmste Gesundheitsrisiko zu mildern. Und im Kampf gegen Lungenkrebs und Nikotinsucht soll dieser Ansatz plötzlich falsch sein? Neue Ideen im Kampf gegen den blauen Dunst sind dringend geboten. Ein Rauchverbot allein hilft nämlich nur bedingt. 2015 sind einer von der Fondation Cancer beim Meinungsforschungsinstitut TNS Ilres in Auftrag gegebenen Studie zufolge die Rauchgewohnheiten der Luxemburger Bevölkerung nahezu unverändert geblieben. Etwa jeder Fünfte greift zum Glimmstengel, das entspricht rund 98 500 Einwohner, 15 Prozent täglich.

Es gibt noch einen Widerspruch in der nationalen Anti-Tabak-Politik: Während vieles dafür spricht, dass die Gesundheitsrisiken der E-Zigarette deutlich geringer sind als bei der Tabakalternative, gilt es unter Wissenschaftlern als ausgemacht, dass im Kampf gegen gesundheitsschädigende Suchtmittel der Preis ein wichtiger Faktor und Hebel ist.

Ausgerechnet ihn will die Regierung nicht nutzen. Luxemburg bildet im EU-Vergleich trauriges Schlusslicht, wenn es darum geht, wie viel ihres Einkommens Bürger für den Kauf von Zigaretten ausgeben müssten. Will heißen, Tabak ist hierzulande vergleichsweise preiswert zu haben. Der Staat kassiert kräftig mit: Von den rund 630 Millionen Euro, die der Staat durch die Tabaksteuer einnimmt, stammt der überwiegende Teil von Grenzgängern, die hier im Land die Ware billig einkaufen. Schon Thommes’ Vorgängerin, Martine Neyen, hatte die Haltung der Regierung daher als heuchlerisch angeprangert. Legendär ihr Ausspruch, Luxemburg exportiere mit seiner Tabaksteuerpolitik Krebs ins benachbarte Ausland. Offenbar liegt der blau-rot-grünen Regierung wenig daran, dies zu ändern. Steuereinnahmen können offenbar auch abhängig machen.

Ines Kurschat
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