Er wolle sich im Moment lieber nicht äußern, wich Michel Cloos von der Lehrergewerkschaft SNE Interview-Anfragen am Mittwoch aus. Der Kompromissvorschlag für die höhere Einstufung der Grundschullehrer sei noch nicht unterzeichnet, der mit Bankenkrise und Budget beschäftigte Premierminister Jean-Claude Juncker telefonisch nicht zu erreichen. Nachdem sich nach langem zähem Ringen eine Lehrermehrheit für die Regierungsofferte – und damit gegen einen Streik – ausgesprochen hatte, ist der SNE-Präsident bemüht, Gras über die Aufregungen der vergangenen Wochen wachsen zu lassen und die Gehälterdebatte aus den Schlagzeilen herauszuhalten.
Geredet wird über sie trotzdem, wenngleich weniger von Journalisten. Noch immer trudeln bei RTL, in Redaktionen, sogar bei den Gewerkschaften erboste Post von Lesern ein, die gegen das Verhandlungsergebnis wettern. Darunter sind viele polemische Zuschriften, deren Schreiber sich über „all sechs Wochen Vakanz“ mokieren oder pauschal „Diskriminatioun“ anprangern, aber auch aufrichtig empörte wie die eines Elternteils, dessen Tochter eine Gewerkschaftsmitteilung nach Hause brachte. Insbesondere der Widerstand vieler Lehrer, im Gegenzug für eine Gehaltserhöhung von bis zu 1 000 Euro brutto monatlich, 180 Stunden im Jahr mehr in der Schule zu arbeiten, stößt auf Unverständnis. Die Elternorganisation Fapel hat sich bisher offiziell nicht geäußert, aber im Gespräch mit dem Land zeigt sich Präsidentin Michèle Retter „enttäuscht“ darüber, dass vor allem die 54 zusätzlichen Schüler-Förderstunden bei den Gewerkschaften das Fass zum Überlaufen brachten. Die Gewerkschaftsspitzen dagegen spielen den schwarzen Peter den Medien zu, die mit Negativberichten miese Stimmung gegen die Lehrer gemacht hätten – und werfen insbesondere Jean-Claude Juncker vor, die Atmosphäre weiter angeheizt zu haben.
Dem Premier sei es gelungen, die Gewerkschaften zu spalten, schimpfte Monique Adam vom SEW nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses am vergangenen Wochenende. Bei der OGBL-nahen Gewerkschaft, die ihre Mitgliederzahl lieber nicht nennt, stimmten 60 Prozent mit Nein – bei 316 Zuschriften. Rechnet man die 38 Prozent des SNE hinzu, wird klar, dass zwar die besonnenen Lehrerstimmen überwiegen. Zugleich zeigt sich aber ein tiefer Riss, der mitten durch beide Gewerkschaftslager geht. Er ist nur zum Teil auf die Zermürbungstaktik seitens der Regierung zurückzuführen, sondern auf Veränderungen innerhalb der Lehrerschaft, die vor allem von der einen Streik befürwortenden SEW-Präsidentin Monique Adam unterschätzt wurden. Immer mehr Lehrer sehen die Notwendigkeit grundlegender Schulreformen ein und engagieren sich längst über die Regel-Arbeitszeit von 23 Stunden hinaus in Modellversuchen wie Eis Schoul, Teamteaching oder kompetenzbasierter Bewertung, darunter nicht wenige Gewerkschaftsmitglieder. Von ihren Berufsorganisationen fühlen sie sich schon länger nicht mehr richtig vertreten. „Dass sich ausgerechnet unsere Gewerkschaft mehrheitlich gegen Förderstunden für Schüler ausspricht, stimmt mich traurig“, sagt ein SEW-Mitglied, das seinen Namen wegen der angeheizten Debatte nicht in der Zeitung lesen will. Auch die Entscheidung der SEW-Spitze, Informationen zu einem möglichen Streik den Schülern mit nach Hause zu geben, kam bei vielen gar nicht gut an.
Ein ramponiertes Image und eine wachsende Zerrissenheit in den eigenen Reihen machen aber nur einen Teil des hohen Preises aus, den die Lehrergewerkschaften jetzt für die – berechtigte – Einstufung in die höhere Beamtenlaufbahn zahlen müssen. Eine weitere Zerreißprobe kündigt sich an – in der Konfrontation mit anderen Berufsvertretungen. Die Sekundarschullehrervereinigung Apess wehrt sich gegen „Neid“ und „ungenierte Desinformation“. Besonders verschnupft sind die „Proffen“ darüber, dass unzufriedene Grundschullehrer ihre Lohnforderungen mit den höheren Löhnen der Kollegen aus dem Sekundarschulunterricht rechtfertigten. Dabei soll um jeden Preis der Eindruck vermieden werden, sie könnten zu viel verdienen. Auch die Vereinigung der Sozialpädagogen Apeg ist empört über den Kompromiss: Ihre Ausbildung dauert ebenfalls drei Jahre, sie erledigen zum Teil recht ähnliche Arbeiten wie die Pädagogen und bekommen trotz 40-Stunden Präsenzzeit und weniger Ferien viel weniger Lohn. Besonders wurmt sie, dass ihr Kampf für eine gerechte Bezahlung ebenso lange währt wie der der Lehrer – angesichts der 20 Millionen Mehrkosten für den Lehrerkompromiss aber kaum Aussicht auf Erfolg hat. Denn einen Dominoeffekt – auch die Redakteure beim Staat, das Pflegepersonal und die Ärzte wollen mehr Geld – will die wegen der Bankenkrise mit teuren Rettungsplänen beschäftigte Regierung unbedingt vermeiden.
Es sei nun Schluss, polterte der Premier vergangene Woche, wohl wissend, dass es mit der relativen Ruhe bald vorbei sein wird – wenn die Nachricht des Lehrerabkommens bei der CGFP-Basis angekommen ist. Bisher wurde der mächtige Beamtendachverband mit seiner Forderung nach einer allgemeinen Gehälterrevision auf nach den Wahlen vertröstet. Mit dem Lehrerpaket aber hat die Regierung Neuerungen durchgesetzt, die für den Staatsdienst insgesamt Signalwirkung haben könnten. Tritt das Abkommen wie geplant am 1. September 2009 in Kraft, werden Lehrerdebütanten zunächst weniger verdienen als ihre älteren Kollegen. Staatsminister Juncker hatte in der Vergangenheit mehrfach angekündigt, die hohen Anfangsgehälter im öffentlichen Dienst senken zu wollen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist gemacht.
Und das ist nicht alles. Mit dem lissage bekommen Lehrer, die vor der Rente stehen, nicht mehr wie bisher ihre Pension nach dem letzten Gehalt berechnet. Als Bemessungsgrundlage gelten dann die Gehälter der vergangenen fünf Jahre. Für SEW-Präsidentin Adam ein „gefährlicher Präzedenzfall“ und ein „Fouss hannenbäi“ für die älteren Kollegen. Sie hat die SEW-Mitglieder aufgerufen, sich trotz negativem Streikvotum „heftig zu wehren“. Ein riskantes Spiel, bei dem die Gewerkschaft ihr einst fortschrittliches Image endgültig ruinieren könnte – und das der anderen, auf eine Gehälterrevision drängenden Gleichgesinnten gleich mit: Angesichts der Banken-Dauerkrise und staatlicher Finanz-Nothilfen in Milliardenhöhe, deren Folgen für den Steuerzahler noch gar nicht abzuschätzen sind, dürfte nicht nur bei der Regierung der Geduldsfaden ein seidener sein.Texte