Österreichs „Zuckerlkoalition“ steht immer noch nicht

Die FPÖ verhindern

d'Lëtzebuerger Land du 20.12.2024

Nach dem Wahlsieg der Freiheitlichen bei der Nationalratswahl im September hatte Noch-Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) relativ schnell beschlossen, es mit den dritt- und viertplatzierten Sozialdemokraten und Neos versuchen zu wollen. Einer Koalition mit den FPÖ und ihrem Parteichef Herbert Kickl hatte er schon vor dem EU-Wahlkampf eine Absage erteilt. Die Partei unter Kickl sei zu radikal. Jetzt versucht er, zusammen mit Neos, die bei der Wahl am jetzigen Koalitionspartner, den Grünen, vorbeizogen, und den Sozialdemokraten einen Reformweg einzuschlagen. Der scheint nötiger denn je, kommen doch fast täglich neue Hiobsbotschaften an die Öffentlichkeit.

Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die scheidende Regierung ein beachtliches Budgetloch hinterlässt: Mit einem Defizit von 4,1 BIP-Prozent Österreich ein Maastricht-Kriterium verletzt. Entsprechend müssten in der kommenden Legislaturperiode entsprechend 24 Milliarden Euro eingespart werden. Hinzu kommen Firmenpleiten und Massenentlassungen. Vor allem in der herstellenden Industrie, deren Betriebe, wie etwa Motorradhersteller KTM, vor riesigen Absatzschwierigkeiten stehen.

Dass Gasprom plötzlich seine Lieferungen an den Energieriesen OMV gestoppt hat, hat ebenfalls für einen kurzen Schock und die erneute Frage gesorgt, wie es künftig mit der Gasversorgung in Österreich weitergehen soll. Der russische Staatskonzern hatte seine Lieferungen, die im September noch 86 Prozent des Bedarfs deckten, Mitte November abrupt eingestellt. Die OMV hatte einen ihr gerichtlich zugesprochenen Schadenersatz für nicht-gelieferte Gasmengen nicht erhalten. Und daraufhin ihre Zahlungen an Gasprom – sozusagen als Ausgleich – gestoppt. Österreich ist trotz EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs immer noch auf russisches Gas angewiesen. Wem das noch nicht Krise genug ist, bekommt zum Drüberstreuen immer neue Details über die Verstrickungen zwischen dem mittlerweile per Haftbefehl gesuchten Immobilien-Tycoon René Benko, heimischen Politikern und Funktionären.

Vor diesen Herausforderungen stehen also die Parteispitzen von SPÖ, Neos und ÖVP. Öffentlich thematisiert wird vor allem der heikelste Punkt, das Budgetdefizit. Dessen Verkleinerung wohl nicht allein mit Einsparungen zu erreichen sei, wie der Wirtschaftsforscher und Vorsitzende des Fiskalrats, Christoph Badelt, kürzlich mahnte. Dabei herrscht noch nicht einmal Einigkeit über die vorgeschlagenen Sparmaßnahmen. Die Sozialdemokraten rücken nicht von ihrem Vorschlag zur Einführung von Vermögenssteuern ab, obwohl dieser Punkt als No-Go für die ÖVP gilt. Zum Treffen der Parteivorsitzenden am Dienstag hatte SPÖ-Chef Andreas Babler die Ergebnisse einer neuen Erhebung des Instituts für empirische Sozialforschung (Ifes) im Gepäck, bei der sich mehr als die Hälfte der Befragten für die Einführung einer „Millionärssteuer“ ausgesprochen haben. Für Verhandlungsführerin ÖVP kommt das allerdings bislang nicht in Frage. Stattdessen stehen etwa die Abschaffung des Klimabonus und der Bildungskarenz zur Debatte. Die sogenannte „Strompreisbremse“, die per staatlicher Subvention vor allem kleine Haushalte in den vergangenen Jahren hoher Inflation und Energiepreise entlastet hat, fällt bereits zum Jahreswechsel weg. Gegen die Bildungskarenz, eine vom Arbeitsmarkservice geförderte Unterbrechung von Arbeitsverhältnissen zu Fort- und Weiterbildungszwecken, wird in Niederösterreich bereits mit medial kolportieren Missbrauchsfällen Stimmung gemacht. Dabei würde die Streichung dieser Maßnahme vor allem ärmere Bevölkerungsschichten treffen, die ohne Hilfe kaum Chancen auf ein berufliches Fortkommen haben.

Sparpotential hätten auch Maßnahmen, auf die sich die bisherige Koalition aus ÖVP und Grünen nicht verständigen konnte. Die Abschaffung des Dieselprivilegs zum Beispiel, also die Erhöhung der bislang geringeren Mineralölsteuer auf Dieseltreibstoff, sowie eine Reform von Pendlerpauschale und Dienstwagenprivileg nach ökologischen Kriterien. Laut der Ökonomin Katharina Rogenhofer vom Kontext-Institut hätte das ein jährliches Sparpotential von einer Milliarde, wie die Oberösterreichischen Nachrichten berichten. Diese Reformen hätten auch positive Effekte auf die Umwelt, weil sie Privilegien für umweltbelastende Fahrzeuge abschaffen und damit den Umstieg auf umweltfreundlichere beziehungsweise öffentliche Verkehrsmittel fördern könnte.

„Aus einem Sparpaket entsteht noch keine Zukunft“, hat der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, den Verhandlern ausgerichtet. Von der eingeforderten aktiven Rolle, die die künftige Regierung jetzt einnehmen müsse, um Österreichs Wettbewerbsfähigkeit nicht noch weiter abrutschen zu lassen, ist allerdings noch wenig wahrnehmbar. Die Ergebnisse der 33 inhaltlichen Arbeitsgruppen werden unter Verschluss gehalten, man wolle über die Feiertage weiterverhandeln und erst an die Öffentlichkeit gehen, wenn es ein Ergebnis vorliegt.

Und so hat die Wahlsiegerin, die Freiheitliche Partei, ein leichtes Spiel, die Verhandler, allen voran Kanzler Nehammer, medial vor sich herzutreiben und vorzuführen. Auch das Umfeld ist mobilisiert, und so treffen sich Anhänger der Freiheitlichen mit Protestlern aus der Verschwörungs- und Corona-Leugnerszene wie schon seit Jahren wieder samstags gerne in Wien, um jetzt eben lautstark gegen eine türkis-rot-pinke Koalition zu protestieren, und ihren „Volkskanzler“ Herbert Kickl einzufordern. Die geübte Oppositionspartei weist zusätzlich in vielen Aussendungen auf Versagen und Versäumnisse der Regierung hin, und hält ihre Anhänger/innen über ihre eigenen Medien und Kanäle bei der Stange.

Im Bundesland Steiermark hat sie erst vor kurzem ihren jüngsten Wahlsieg eingefahren und konnte dort den Anspruch auf Regierungsverantwortung geltend machen. Mit Mario Kunasek führt damit erstmals seit Jörg Haider wieder ein freiheitlicher Landeshauptmann die Regierung eines Bundeslandes, der die Koalitionsgespräche mit dem Juniorpartner ÖVP nach nur drei Wochen abschließen konnte. Der ehemalige Verteidigungsminister der türkis-blauen Regierung (2017-2019) wird gefeiert, die mehrfache Aufhebung seiner Immunität und die Aufnahme von Ermittlungen aufgrund einer Finanzaffäre, sowie seine Nähe zu Personen mit wenig Distanz zu NS-Ideologien haben Kunasek bislang offenbar wenig geschadet.

In vier weiteren Bundesländern sind die Freiheitlichen schon in der Landesregierung. Über Probleme in der Zusammenarbeit erscheinen in der Öffentlichkeit wenig Klagen, auch fragwürdige Entscheidungen tragen die Koalitionspartner mit; wie etwa neulich im Zuge eines Staatsbürgerschaftsverfahrens. Nachdem ein Bewerber bei der Verleihungszeremonie die Hymne nicht mitgesungen hatte, wurde ihm auf Vorschlag des FPÖ-Stellvertreters der Landeshauptfrau die Staatsangehörigkeit per Landtagsentscheid wieder aberkannt.

Vor Jahren schon hat die ÖVP begonnen, blaue Parteikonzepte wie etwa aktive Migrationsabwehr für eigene Programme zu adaptieren. Wohl auch in der Hoffnung, dadurch Wähler aus dem rechten Lager abzuziehen. Dass diese Strategie langfristig nicht aufzugehen scheint, belegen die Wahlergebnisse dieses Jahres, bei denen die FPÖ die ÖPV überholen konnte.

Mitte Januar wird wieder gewählt. Aber auch im letzten von der SPÖ alleinregierten Bundesland, dem Burgenland, deuten Umfragen auf einen deutlichen Stimmenzuwachs für die FPÖ hin, sodass sie als möglicher Koalitionspartner im Frage käme. Mit dem früheren FPÖ-Parteivorsitzenden und dritten Nationalratspräsidenten Norbert Hofer tritt ein bekannter FPÖ-Politiker gegen den angeschlagenen Landeshauptmann Peter Doskozil an. Der ist für parteiinterne Querschüsse bekannt und gilt spätestens seit seiner Niederlage bei der Abstimmung um den SPÖ-Parteivorsitz gegen Andreas Babler vergangenes Jahr nicht mehr als Zukunftshoffnung der Partei.

Von allen Seiten heißt es jetzt: Tempo machen für eine baldige Einigung! Sonst könnte am Ende der Versuch, auf Bundesebene um die Blauen herumzukommen, doch noch scheitern, und der nächste Bundeskanzler Herbert Kickl heißen.

Claudia Schäfer
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