„We the people“

d'Lëtzebuerger Land du 20.12.2024

Warum wohl ausgerechnet die Financial Times ein Buch über degrowth zum Buch des Jahres gekürt hat? Less Is More ist gut geschrieben und sein Autor Jason Hickel trifft einen Punkt: Wenn wir weiter so wachsen wie bisher, und mit „wir“ meint er die reichen Länder, sind wir nicht zu retten.

So pointiert wie er schreibt, redet der britische Wirtschaftsanthropologe, Professor an der Autonomen Universität Barcelona, auch. Am Montag auf Einladung des Mouvement écologique vor einem vollen Saal im Hotel Parc Belle-Vue. Es gehe nicht nur um die Klimakrise, sagt Hickel. Sondern auch um Artenschwund und Biotopverlust, den steigenden Verbrauch von Energie und von Rohstoffen. Letzterer etwa liege in armen Ländern bei um die zwei Tonnen pro Kopf, in den reichsten bei 30 Tonnen. Damit stelle sich eine Gerechtigskeitsfrage. Sie stelle sich auch rund ums Klima: Müssten alle Länder dieselben Anstrengungen gegen die Erderwärmung unternehmen und beziehe man die Treibhausgasemissionen seit Beginn der Industrialisierung ein, hätte Deutschland den „fairen“ Emissionsanteil, um das 1,5-Grad-Limit nicht zu überschreiten, schon 1950 erreicht. China dagegen würde sich ihm jetzt erst nähern.

Degrowth heißt für Hickel, nicht länger zu produzieren, was „unnötig ist“: SUV zum Beispiel, Privatflugzeuge, Billigkleider, die man schnell wegwirft, und „the military-industrial complex“. Stattdessen Investitionen dorthin zu lenken, wo sie „nötig“ wären: in die Wiederherstellung von Natur, erneuerbare Energien, öffentliche Gesundheitssysteme oder erschwingliches Wohnen. Es gebe keine „falsche Konsumption“. Die Produktion sei fehlgeleitet. Es gebe nicht nur viele ökologische Krisen, sondern auch eine soziale. Nimmt die Verarmung doch ausgerechnet in den reichen Ländern zu, die eigentlich die Kapazitäten hätten, für alles zu sorgen, was nützlich ist. Ändern lasse sich das nur durch „demokratische Einflussnahme“ auf die Industrie und auf die Kreditvergabe durch die Banken. Nicht mehr das Kapital dürfe bestimmen, in welche Bereiche investiert wird, weil das den meisten Profit abwirft, sondern „we the people“. Essenziell sei, in der dann einsetzenden Transition zwei Dinge zu garantieren: eine Arbeit für jeden im öffentlichen Sektor der „nötigen“ Aktivitäten; und die Garantie dieser Leistungen als Gemeingüter für alle. Der Gratistransport in Luxemburg sei ein schönes Beispiel.

Ist das nicht Kommunismus?, will einer aus dem Publikum wissen. Hickel sagt, nein. Er sei nicht gegen Privateigentum an Produktionsmitteln. „Business, markets, trade, they’re all fine!“ Man müsse sie nur steuern. Dahin zu kommen, setze natürlich eine politische Bewegung voraus. Umweltschützer und Grüne dürften keine Politik „against the working class“ machen. Sonst kämen aus dieser Gegenbewegungen wie die gilets jaunes vor sechs Jahren in Frankreich. Gewerkschaften müssten sich ökologischen Fragen öffnen und die Bedeutung gemeinnütziger Leistungen verstehen und für sie eintreten. Daraus könne eine Bewegung entstehen. Die mit einer Portion Populismus argumentiert – nur so könne sie repräsentieren, wie die Krisen empfunden werden. Vor allem die soziale.

Anders als der Schweizer DegrowthÖkonom Timothée Parrique, der vor acht Wochen an einem vom Nachhaltigkeitsrat organisierten Rundtisch teilnahm und sich anhören musste, seine Thesen seien weltfremd, ist Jason Hickel Alleinunterhalter und sein Publikum eher links oder grün. Niemand widerspricht der „Demokratisierung der Wirtschaft“ und dass „Mitbestimmung der Arbeiter in den Betrieben das Mindeste“ sein sollte.

Am Ende demontiert Hickel sich ein wenig selber, als er gefragt wird, was er von der „Taxonomie“ hält, mit der in der EU grüne Investitionen markiert werden. Ist das der Anfang einer Lenkung hin zum „Nötigen“? Hickel entgegnet, von der Taxonomie habe er noch nie gehört. Was für einen in einem EU-Land lebenden Wirtschaftsprofessor zumindest seltsam ist.

Peter Feist
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