Der große Schwesternstreit

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d'Lëtzebuerger Land du 22.06.2018

Markus Söder mag nicht gerne teilen. Seitdem er im Frühjahr Horst Seehofer im Machtkampf um die bayerische Staatskanzlei niedergerungen hat, giert er jetzt auch noch auf das Amt, das Seehofer verblieb – nachdem dieser sich als Heimatminister in die Bundespolitik verabschiedete: der Posten des Parteivorsitzenden der CSU. Dazu ist Söder jedes Mittel recht. Jedes Thema sowieso.

Der bayerische Ministerpräsident selbst ist ein Getriebener. Seit Wochen vermelden die Meinungsforschungsinstitute, dass die Christsozialen bei den bayerischen Landtagswahlen im September die absolute Mehrheit verlieren werden. Vor allem werden Stimmen an die rechtspopulistische AfD gehen. Söder nimmt wahr, dass das wichtigste, wenn nicht sogar einzige Thema der AfD die Flüchtlingskrise ist. Also liegt nichts näher, als die Krise wieder auf die politische Agenda zu hieven. Mit aller Macht. Zeigte doch auch eine Analyse der vergangenen Bundestagswahl, dass das damalige Einknicken der CSU in der Flüchtlingsfrage zum schlechten Ergebnis der Partei führte. Eilends wurde ein „Masterplan“ zur Flüchtlingspolitik aufgesetzt, den die bayerischen Politiker nun durchpauken möchten. Auf Bundesebene. Damit sich die Partei als „starker Mann“ in der Republik etablieren kann. Allen voran Markus Söder. Er tritt aufs Tempo, bringt die CSU-Abgeordneten im Bundestag auf Linie, provoziert den Streit mit der Schwesterpartei CDU. Um Landtagswahlen zu gewinnen, nimmt der die ganze Republik, wenn nicht sogar die ganze Europäische Union in Geiselhaft. Denn die Macht, mit der Söder das Thema vorantreibt, offenbart vor allen Dingen die Ohnmacht von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Dabei diskutieren die konservativen Schwesterparteien über einen Masterplan, den noch nicht viele gesehen haben. Der US-amerikanische Präsident Donald Trump wohl schon, denn er lobte ihn bereits über den Kurznachrichtendienst Twitter. 63 Punkte umfasst der Plan. Mit 62 könne sie leben, zitiert das Nachrichtenmagazin Der Spiegel Kanzlerin Merkel. Mit einem jedoch nicht: Flüchtlinge, die bereits in anderen Mitgliedsstaaten der EU registriert sind, sollen an der deutschen Grenze abgewiesen werden. Merkel sucht nach einer europäischen Lösung, die eine Abweisung von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze vorsieht sowie eine Verteilung der Migranten nach einer festgelegten Quote. Doch die Kanzlerin findet für ihren Plan kaum Verbündete in Europa. Es rächt sich nun, dass Merkel nicht schon früher in der Krise ihre europäischen Kolleginnen und Kollegen einbezogen hat – oder auch in anderen Themen deutsche Interessen über europäische stellte. Nun sucht sie ein wenig verzweifelt den Schulterschluss in der Union. Etwa mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit dem sie am Dienstag dieser Woche ein milliardenschweres Investitionsprogramm aufsetzte und Reformen für die Euro-Zone anstieß. Merkel weiß, dass sie Europa nun mehr denn je braucht. Nicht nur zum eigenen politischen Leben und Überleben, sondern auch um Europa nicht zum Spielball geopolitischer Machtspiele werden zu lassen.

Markus Söder, Horst Seehofer und Jens Spahn hingegen ist das Hemd näher als die Hose. Seehofer hat noch keine Gelegenheit ausgelassen, Merkel einen Tritt zu verpassen. Spahn stellte sich im Streit zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingspolitik demonstrativ gegen Merkel. Und Söder erliegt seiner eigenen Hybris. Alle drei sähen es offenkundig gern, wenn Angela Merkel stürzen würde. Doch wer sollte Merkel im Amt folgen? Christsoziale Politiker sind kaum in das Spitzenamt zu vermitteln, da sie schlichtweg zu konservativ oder bayerisch sind. Jens Spahn läuft sich warm, doch dem rechten Hardliner möchte so recht niemand die Gefolgschaft schwören. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hat zu wenig Erfahrung mit dem Berliner Politikbetrieb und ihre Referenz als saarländische Ministerpräsidentin verfängt bundespolitisch kaum. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyer ist vollends mit der maroden Bundeswehr beschäftigt. Bleibt der Blick auf die regierenden christdemokratischen Ministerpräsidenten: Volker Bouffier in Hessen sehnt sich nach dem Altersruhesitz. Und Daniel Günther, Shootingstar in Schleswig-Holstein, ist noch zu unbekannt. Angela Merkel ist derzeit „alternativlos“. Und das ist gut für Europa. Denn immerhin scheint sie inzwischen ihrer Politik auch eine europäische Dimension, wenn nicht sogar Perspektive zu geben.

Doch in diesen Dimensionen denkt Markus Söder nicht. Stürzt Angela Merkel, dann ist auch Horst Seehofer seinen Ministerposten am Berliner Kabinettstisch wie auch seinen Parteivorsitz los. Und Söder vereint wieder beide Ämter in einer Person: seiner. Deshalb gilt: „Bei der Zuwanderung dürfen wir keine halben Sachen mehr machen“, so Söder am vergangenen Donnerstag vor den CSU-Bundestagsabgeordneten in Berlin. Für ihn ist Merkel ein rotes Tuch und mit ein Grund, dass die Macht der Christsozialen in Bayern zur Disposition steht. Der Aufwind der AfD speist sich aus einem nicht versiegenden Hass auf Angela Merkel. Im vergangenen Bundestagswahlkampf absolvierte Merkel einige Termine in Bayern. Doch das Finale auf dem Münchner Marienplatz geriet damals zum Desaster. Merkel und Seehofer konnten sich nicht gegen eine grölende und ätzende Menge durchsetzen. Im jetzigen Landtagswahlkampf sind deshalb keine Termine mit der Kanzlerin in Bayern geplant.

Söder plant ohnehin für die Zeit ohne Merkel. Und hat dafür bereits seine Getreuen beisammen: Spahn, FDP-Chef Christian Lindner und auch der österreichische Kanzler Sebastian Kurz. Sie geben das Epizentrum des deutschsprachigen Rechtskonservativismus, der sich kaum vom Rechtspopulismus der AfD wie anderer europäischer Rechtsaußen-Parteien abgrenzt. Lindner trug auch pflichtschuldigst sein Scherflein zum innerfraktionären Konflikt zwischen CDU und CSU bei: Seine Partei formulierte einen Antrag für eine namentliche Abstimmung im Bundestag über die Frage, wer denn Seehofers Asyl-Masterplan unterstützt. Dann wäre klar geworden, wer Freund und Feind ist. In den eigenen Reihen. Bei CDU und CSU. Der Antrag konnte jedoch von der Großen Koalition abgeräumt werden.

Bis zur bayerischen Landtagswahl im September wird die Flüchtlingskrise Deutschland wie Europa lähmen. Weil eine Regionalpartei es so will. Meinungsumfragen in Deutschland zeigen, dass die Bürger dem Thema überdrüssig werden. Zum einen sind die Flüchtlingszahlen gesunken, zum anderen ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Die deutsche Wirtschaft ist skandalgebeutelt, die Innovationskraft sinkt, die Digitalisierung hinkt. Der Pflegenotstand wird in Zahlen greifbar: Bis zu 80 000 Pflegekräfte fehlen. Die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten ist dramatisch. Und dann sind da noch die geopolitischen Machtverschiebungen. Alles das ficht eine Regionalpartei im Süden Deutschlands nicht an. Sie will Randale. Sonst nix.

Martin Theobald
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