Theater

Fische an Land

d'Lëtzebuerger Land du 24.01.2020

Blau in blau erstrahlt die von Anouk Schiltz entworfene Bühne: blauer Teppichboden, blaue Wände, blaue Vorhänge, blaue Badewanne, blauer Tisch, blauer Sessel, blauer Ottomane. Diese Gegenstände werden von der jungen Heldin genauestens inventarisiert, als sie zum ersten Mal die durch sie dargestellte Behausung betritt. Die Wohnung gehört einer Zufallsbekanntschaft, einem älteren Mann, den das Mädchen geradezu genötigt hat, sie mit nach Hause zu nehmen, nachdem ihre Eltern nicht aufgetaucht sind, um sie abzuholen. Widerwillig nimmt der griesgrämige „Grande monsieur“ die forsche „Petit fille“ bei sich auf. Er möchte sie schnellstmöglich wieder loswerden, während sie inständig darum bittet und gewieft darüber verhandelt, nur noch ein bisschen bleiben zu dürfen.

Léonore Confinos Le Poisson belge, 2015 in Paris uraufgeführt, handelt von zwei ungleichen Menschen, die sich ähnlicher sind, als man auf den ersten Blick meinen würde. Sie behauptet, nur unter Wasser atmen zu können, und entblößt als Beweis dafür vermeintliche Kiemen auf ihren Hüften. Er ist längst untergetaucht und hat sich ins Aquarium seiner kleinen Wohnung zurückgezogen. Beide heißen sie in Wahrheit Claude. Unter der feinfühligen, zurückhaltenden Regie von Aude-Laurence Biver spielen Juliette Allain und Régis Laroche über neunzig Minuten Annäherungsversuche durch, an den Anderen und an das eigene Selbst.

Zu Beginn gibt es viel Zögerlichkeit, viele Missverständnisse, kleine Erpressungen und Lügen. Das Mädchen droht damit, den Mann als Pädophilen anzuzeigen. Er versucht, heimlich ihre Eltern anzurufen, während sie schläft. Kurz bevor die Situation eskaliert, fangen sich die beiden aber immer wieder ein. Das liegt zum Großteil an der entwaffnenden Naivität der „Petit fille“, die etwa auf die Bemerkung des „Grande monsieur“, andere Männer würden ganz andere Dinge mit ihr anstellen, erwidert, „des choses vers le bas“ seien schlichtweg nicht ihr Ding. Gelegenheit zur Verbrüderung bietet derweil der Anruf eines Versicherungsverkäufers: Die Junge zeigt dem Alten, wie man solche Leute ganz leicht los wird, indem man sich als geistig behindert ausgibt.

Mit seinen pfiffigen Dialogen und seinem zarten Gespür für Charaktere ist Le Poisson belge eine kurzweilige Reflektion über Themen wie Verlust, Vereinsamung und Anderssein. Durchweg clever genutzt wird das Motiv des Wassers, das die Tol-Produktion zum bestimmenden Prinzip für Bühne, Kostüme, Licht und Musik macht und im Text beständig variiert wird. „Grande monsieur“ wird etwa als „désséché“ bezeichnet, ernährt sich von getrockneten Pilzen und wird durch den Kontakt mit „Petit fille“ aufgeweicht und vitalisiert. Diese wiederum fürchtet sich vor Seemonstern und ertrinkt um ein Haar in der Badewanne, wo sie vorgibt, von einem Kraken angegriffen worden zu sein – Momente, in denen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen.

Langsam taucht das Stück in die Psyche und die Vorgeschichte seiner Figuren ein. In der vielleicht stärksten Szene gibt Juliette Alain ein Streitgespräch von Claudes Eltern wieder, das auf groteske Weise eskaliert und die aktuelle Verfassung der Tochter nachvollziehbar macht. Régis Laroche ist kaum weniger beeindruckend, wenn er als der andere Claude mit lädiertem Gesicht auftaucht und erklärt, dass er sich von flüchtigen Internetbekanntschaften schlagen lässt, nachdem er, weil er gerne Frauenkleider trägt, sein gesamtes soziales Umfeld verloren hat. So finden die beiden Außenseiter nach und nach zusammen und verbünden sich nicht mehr nur beim Abwimmeln lästiger Telemarketer.

Im letzten Drittel wird Léonore Confinos Textvorlage dann allerdings zunehmend rührseliger und kommt gefährlich nahe an einen jener sentimentalen Filme heran, die vollmundig verkünden, dass sich jedes noch tief sitzenden Trauma bewältigen lässt und es nie zu spät ist, sein Leben zu ändern. Erst wird ein Goldfisch gewissermaßen zur dritten Figur des Stücks gemacht, dann eine große Reise über einen großen Teich geplant. Aude-Laurence Biver und ihr Team ziehen mit und machen das Beste daraus, aber die eigensinnige Atmosphäre, die das Stück bis dato ausmachte, ist dahin. Wegen der herausragenden Leistungen des Schauspielerduos Allain und Laroche, die gerade in ihrer Gegensätzlichkeit wunderbar harmonieren, und der stimmigen Inszenierung lohnt sich der Besuch im Tol aber dennoch.

Le Poisson belge von Léonore Confino, Regie: Aude-Laurence Biver; Bühne: Anouk Schiltz; Musik: Benjamin Zana; mit Juliette Allain und Régis Laroche. Die Premiere war am 16. Januar 2020 im Théâtre Ouvert Luxembourg. Weitere Vorstellungen am 28., 29. und 31. Januar, und am 6., 7., 12. und 13. Februar jeweils um 20 Uhr; am 30. Januar, 8. und 14. Februar. um 19 Uhr und am 9. Februar um 17:30 Uhr; Informationen und Tickets: www.tol.lu.

Jeff Thoss
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