Der neue 215-seitige Bildungsbericht, an dem das Luxembourg Centre for Educational Testing (Lucet) und das Script des Bildungsministeriums gearbeitet haben, ist kein Überraschungsei: Viele gesellschaftliche Realitäten Luxemburgs spiegeln sich weiter im Bildungssystem wider, wobei die Wege, die Claude Meisch die letzten zehn Jahre gegangen ist, um die Ungerechtigkeiten einzudämmen, bisher eher positiv bewertet werden. Insofern kommt der Bericht auch auf die frühkindliche Bildung, die öffentlichen europäischen Grundschulen und die französische Alphabetisierung zurück. Letzteres Projekt hat gezeigt, dass die Kinder insgesamt motivierter sind als die Referenzgruppe, auf Französisch Lesen und Schreiben zu lernen.
Da die Schüler/innen immer diverser und heterogener werden, sowohl was ihren sprachlichen als auch ihren sozioökonomischen Hintergrund angeht, geht es in der Veröffentlichung dann auch um Diversität und Inklusion. Die „gesellschaftliche Vielschichtigkeit“ stelle das System vor „enorme Herausforderungen“, heißt es. Dabei bleibt das Fazit gleich: Die seit 2015 aufgezeigten Ungerechtigkeiten bleiben bestehen. Die Schullaufbahnen von Kindern und Jugendlichen mit migrantischem und niedrigerem sozioökonomischem Status unterscheiden sich teils stark von jenen Schüler/innen, die zuhause Luxemburgisch sprechen und aus bildunsgnahen Familien kommen.
Hervorzuheben sind hier unter anderem die Befunde zum Hörverstehen im Luxemburgischen und Deutschen während des Schriftspracherwerbs. Knapp 6 000 Erstklässler/innen wurden auf ihr Hörverständnis in den beiden Sprachen getestet: Die Leistungsunterschiede im deutschen Sprachverständnis sind bei den Kindern, die zuhause kein Luxemburgisch sprechen, hoch. Das Resultat verstärkt die Theorie, dass Luxemburgisch nur bedingt als Brückensprache für die Alphabetisierung auf Deutsch funktionieren kann. Auch was die Mathematikkompetenzen angeht, fällt es der sozial benachteiligten Kohorte weitaus schwerer, die Mindestkompetenzen im letzten Grundschuljahr zu erreichen. Insgesamt erreichen nur 27 Prozent der Schüler im letzten Zyklus das höhere Niveau in Mathematik – und der Anteil sinkt weiter. Das Jahr zu wiederholen scheint dabei die Kompetenzen der Schüler nicht zu verbessern, weder im Deutsch-Leseverstehen noch in Mathematik. In Hinblick darauf soll weiter untersucht werden, welcher Einfluss die Flexibilisierung der Unterrichtssprache in den öffentlichen europäischen Schulen hat.
Überraschend dann die Feststellung, dass in die Inklusion zwar viel Geld investiert wird, – 2023 doppelt soviel als 2015 –, doch aufgrund von fehlenden Daten, was die Betreuung und das Personal angeht, Forschende keine Evaluierung der équipes de soutien des élèves à besoins éducatifs spécifiques (ESEB) vornehmen können.
In den zeitgleich veröffentlichten Zusatzdokumenten finden sich weitere Zahlen, die die Herausforderungen der Heterogenität unterstreichen: Von den 1 511 neuen Schüler/innen im Schuljahr 2022/23 ist ein Drittel der Kinder im Rahmen einer internationalen Schutzprozedur nach Luxemburg gekommen (499 Kinder). Im Vergleich dazu waren es 2010 lediglich knapp 17 Prozent der Neuankömmlinge; 2016 erreichte der Prozentsatz nach der durch den Syrienkrieg verursachten Flüchtlingsbewegung ihren Höhepunkt (37,02 Prozent der Kinder). Ableiten lässt sich dadurch die Notwendigkeit der emotionalen pädagogischen Unterstützung, die in den Schulen anfällt – und die steigende Überforderung der Lehrkräfte. Denn diese Kinder haben kein behütetes Aufwachsen in einem Öslinger Dorf gehabt, sondern neben dem Eingliedern in ein linguistisch herausforderndes Umfeld mitunter auch Krieg- und Fluchttraumata zu verarbeiten.
Was die Sekundarschule angeht, böten die europäischen Sekundarschulen ihrer Schülerschaft eine „bessere sprachliche Passung“, da sie in ihrer dominanten Sprache weiterlernen könne. Auch die Schullaufbahnen, die sich nach der Grundschule konkretisieren, sind aufschlussreich: Der Prozentsatz der jungen Menschen mit benachteiligtem Hintergrund, die in die Voie Préparatoire orientiert werden, ist seit 2015 um 4,3 Punkte gesunken (von 20,8 auf 16,3). Es sind mehrheitlich Jungs, vor allem jene, die zuhause Portugiesisch sprechen. Sie gehören ebenfalls zur Kohorte, die die Schule am meisten abbricht. Lediglich 14 Prozent sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche werden ins Enseignement classique orientiert. Dabei scheinen die öffentlichen europäischen Schulen eine privilegiertere Klientel anzuziehen; das Durchschnittseinkommen ist dort insgesamt höher als in den traditionellen Schulen. Weiter stellen die Autoren fest, dass insbesondere Menschen zwischen 25 und 44 Jahren, deren Eltern hohe Bildungsabschlüsse haben, ihre Eltern schulisch übertreffen – den umgedrehten Trend kann man bei den niedrigen und mittleren Abschlüssen beobachten: Ihre Situation verschlechtert sich im Vergleich zu ihren Eltern.
Ob die richtigen Schüler derweil von den richtigen Angeboten erreicht werden, bleibe eine „offene Frage“, schreiben die Forscher/innen in ihrer Schlussbemerkung. Die Veränderungen im Schulsystem erreichten momentan nur eine „vergleichsweise geringe Anzahl von Schülerinnen“.