Nicht mal die Gesprächspartner am Gesondheetsdësch verstehen, wie der Ärzteverband sich die künftige Gesundheitslandschaft vorstellt. Zum Beispiel, dass Mediziner Gesellschaften gründen könnten

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d'Lëtzebuerger Land du 09.10.2020

Zunächst ist AMMD-Präsident Alain Schmit ganz offen: Gern erläutere er, wie genau der Ärzteverband sich die Zukunft des Gesundheitswesens vorstellt, mit der Zusammenarbeit zwischen Spitälern und Ärztezentren und was das „nicht nur dem Patienten bringt, sondern auch dem Land“, denn „eine gescheite Vernetzung ist überlebenswichtig“. Doch einen Tag später möchte er Fragen des Land dazu schriftlich haben – zu einem Konzept, das er noch gar nicht erläutert hat.

Auch manche Gesprächspartner am Gesondheetsdësch möchten vom Ärzteverband deutlicher erklärt haben, was er will; in erster Linie der Verband der Spitäler. Vor zwei Wochen tagte drei Stunden lang jene Arbeitsgruppe, die sich mit „Spitälern und außerklinischem Bereich“ beschäftigt. Sie ist die politischste der sechs Gruppen am Tisch. Sie bespricht nicht nur, wer künftig was macht, sondern auch, zu welchen Bedingungen. Und es geht dabei um zusammengenommen rund 1,6 Milliarden Euro an jährlichen Ausgaben der CNS-Krankenversicherung: 1,1 Milliarden für die Spitäler, 500 Millionen für Arzthonorare. „Unser Verband hat auf der Sitzung am 23. September zehn Seiten schriftlich eingereicht“, sagt ein Krankenhausdirektor dem Land. „Die AMMD hat nichts Schriftliches geliefert. Ihr Präsident hat nur ein Powerpoint-Dia an die Wand projiziert und etwas dazu gesagt.“ Dahinter stecke vielleicht eine Methode. Oder die AMMD wisse selber nicht, was sie will.

Die erste Vermutung ist wahrscheinlich richtig: Wer sich nicht ganz festlegt, kann immer neue Attacken führen. Seit gut drei Jahren greift der Ärzteverband das „System“, wie es besteht, an allen möglichen Stellen an. Erst nannte er den Medizinischen Kontrolldienst der Sozialversicherung die Inkarnation einer „Staatsmedizin“. Dann wollte er „das Monopol der CNS brechen“, erzählte dieser aber unter der Hand, die Kampagne richte sich nicht gegen sie, sondern es gehe ums große Ganze. Der Gesondheetsdësch ist die „Systemdebatte“, die die AMMD im Wahljahr 2018 von LSAP-Sozialminister Romain Schneider verlangte und was dieser standhaft ignorierte: Das System, wie es ist, geht vor allem auf die LSAP zurück.

Aber dass die AMMD nicht weiß, was sie will, dürfte nur zum Teil stimmen. Ihr geht es immer um Einfluss, denn die Ärzte sind eine Berufsgruppe mit Wurzeln im Ständestaat. Weil die AMMD weniger alle Ärzte vertritt, als nur die Freiberufler unter ihnen, geht es ihr immer auch um Geld und möglichst wenig Kontrolle. Nach dem Contrôle médical de la Sécurité sociale und der CNS sind nun die Spitäler dran. „Wiem vertrauen ech meng Gesondheet un?“, fragte Philippe Wilmes, AMMD-Vizepräsident und Chirurg am Hôpital de Kirchberg, am 24. September in einem Leserbrief auf rtl.lu, und fuhr fort: „Den Maueren vun groussen Gebai? Den Apparaten an deenen Maueren? Oder dach dem Dokter a senger Equipe, déi mech behandelen an fir eng besser Gesondheet suergen?“

Einen Tag nach der Gesondheetsdësch-Sitzung geschrieben, auf der die AMMD nicht viel gesagt haben soll, löste der Brief in der Szene Erschütterungen aus. Bisher hatte die AMMD verbreitet, sie trete zwar dafür ein, leichtere Aktivitäten aus den Kliniken in Ärztehäuser auszulagern, es solle aber Kooperatio-
nen geben. Die Ärztehäuser, proklamierte sie auf einer Pressekonferenz im vergangenen November, sollten in „Ko-Gestion“ geführt werden – zum einen durch Ärztegesellschaften, die es heute laut Gesetz noch nicht geben kann, zum anderen durch die Spitäler. Vor allem dazu hätte der Krankenhausverband FHL vor zwei Wochen gern mehr erfahren. „Zum Beispiel welchen Anteil die Spitäler an dieser Ko-Gestion genau hätten, und wer da wie viel zu sagen hätte“, erläutert FHL-Präsident Paul Junck.

Vom Vorsitzenden des Ärzteverbands ist dazu per E-Mail ebenfalls nichts zu erfahren. Ein paar Fragen drängen sich ja auf, nachdem die AMMD vor einem Jahr Grundsätze für ihr ambulantes Modell publik gemacht hat. Alain Schmit schreibt aber, dem AMMD-Modell nach würden Spitäler in Zukunft keinen Vertrag mehr mit einem Arzt abschließen, sondern mit einer Ärztegesellschaft. Die stelle den Kliniken dann Mediziner zur Verfügung. Vorstellbar wäre sogar, dass eine Gesellschaft mehreren Spitälern Ärzte liefert: Es gebe nun mal nicht so viele schwere Aktivitäten in den Krankenhäusern, dass dort Ärzte jeder Fachrichtung „voll beschäftigt sind“. Darin liege der Vorteil, wenn man gemeinsam neue Strukturen schafft. Nicht zuletzt käme das den Patienten zugute.

Mangels Informationen, wie sie sich die neue neue Landschaft vorstellt, verdächtigt Junck die AMMD eher, ein neues Geschäftsmodell für Ärzte schaffen zu wollen. „In Deutschland gibt es Behandlungszentren außerhalb der Kliniken. Die haben an manchen Wochentagen von acht bis 20 Uhr geöffnet, an manchen nur bis 14 Uhr und an Wochenenden gar nicht.“ Da bleibe nachts, für Notfälle und Komplikationen doch nur das Spital. „Wer aber arbeitet da, wenn draußen lauter lukrative Optionen geschaffen werden?“ Der Ansatz der AMMD sei „Cherrypicking“.

Der Vorwurf scheint nicht unberechtigt, bedenkt man etwa, dass am Centre hospitalier Emile Mayrisch Anästhesisten nachgefragt haben, in einem noch zu schaffenden Ärztezentrum Vollnarkosen verabreichen zu dürfen – zurzeit ist das nicht erlaubt. Wer sichert dann die Intensivstationen ab? Der AMMD-Präsident entgegnet auf solche Einwände, natürlich müsse die neue Versorgungslandschaft „bis zu einem gewissen Grad geplant“ werden. „Wir brauchen genug, aber nicht zu viele ambulante Strukturen.“

Den ambulanten Bereich stärken zu wollen, ist Konsens am Gesondheetsdësch. Der Kranken-
hausverband würde in erster Linie das ambulante Angebot an den bestehenden Klinikstandorten ausbauen. „Wir könnten, falls es gute Argumente gibt, auch Klinikantennen über Land schaffen“, sagt der FHL-Präsident. Die Klinikmedizin müsse attraktiver gemacht, die Verdienstmöglichkeiten für freiberufliche Klinikärzte verbessert werden. Die AMMD dagegen will mit dem Ambulanten raus aus den Spitälern, Alain Schmit spricht vor allem von „ambulanter Chrirurgie“. Es scheint, als sei die FHL in der Defensive.

Zumal es, wie so oft im Gesundheitsbereich, keine objektiven Angaben darüber gibt, wie viel Ambulantes existiert und was sinnnvollerweise wo im Land neu eingerichtet werden sollte. Die Regierung steht unter Druck, ein Konzept zu liefern, dass Luxemburg attraktiver für Ärzte macht, denn Mangel ist absehbar: In 15 Jahren könnten 70 Prozent der heute aktiven Mediziner in Rente gehen.

Zu den AMMD-Ideen aber scheiden sich auch unter Ärzten die Geister, gerade auch dazu, dass Ärztegesellschaften auch Ärzte einstellen könnten: Der Vorstand des Cercle des médecins-généralistes sprach sich im vergangenen Jahr einstimmig dagegen aus: Freiberufler müssten Freiberufler bleiben. Andererseits gibt es etablierte Mediziner, die sich schon als Geschäftsführer sehen, während junge Ärzte die Arbeit machen.

Der FHL-Präsident sieht in den Ärztegesellschaften noch ein anderes Risiko: „Die AMMD hat erklärt, sie wolle nur Personalgesellschaften für die Ärztezentren, aber keine Kapitalgesellschaften. Das soll Anbieter aus dem Ausland fernhalten. Aber wie passt das zum EU-Recht?“ Ein großer Akteur, etwa aus Deutschland, der sich wirklich für Luxemburg interessiert, sei vermutlich bereit, sich durch sämtliche Instanzen zu klagen, bis der Ärztehäuser-Sektor liberalisiert ist. „So wie das bei den Anwaltsgesellschaften geht, die nun geöffnet werden müssen.“

Peter Feist
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