Die Gesundheitsministerin will den Markt nicht-dringender Krankentransporte künftig regulieren. Seit Jahren herrscht dort Wildwuchs

Transporteurs de malades

2022 wurden 14 964 nicht-dringende Transporte in einer Ambulanz durchgeführt
Photo: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land du 07.04.2023

Am 6. Juni 2021 zahlte ein/e Patient/in für eine Fahrt mit einem Ambulanzentaxi vom Chem in die rue Charly Gaul in Esch/Alzette 160,44 Euro. Eine Woche später waren es für die gleiche Fahrt 110,44 Euro. Am 20. Juni waren es 165,44 Euro und am 11. Juli 105,44 Euro. Die Distanz für diese Strecke beträgt weniger als zwei Kilometer. Jedesmal wurde eine Pauschale von 100 bis 140 Euro für eine Fahrt von bis zu 30 Kilometern berechnet und zusätzlich eine Gebühr zwischen fünf und 25 Euro für Fahrzeugreinigung und Patientenbetreuung erhoben.. In anderen Fällen von 2019 aus der Stadt Luxemburg wurde die 30-Kilometer-Pauschale für eine Strecke von unter zehn Kilometern mit 50 bis 55 Euro fakturiert. Die Patientevertriedung stellte diese Beispiele vor anderthalb Jahren auf einer Pressekonferenz vor, um zu illustrieren, wie willkürlich die Preise im Sektor der privaten Krankentransporte berechnet werden. Wie repräsentativ sie sind, ob es sich um Ausnahmen handelt oder ob es gängige Preise sind, ist schwer zu sagen. Einheitliche und transparente Tarife sind in dem Sektor Fehlanzeige. Jede Firma hat ihre eigenen Preise, auf ihren Internetseiten oder anderswo einsehbar sind sie jedoch nicht.

Wenn es sich um Unternehmen handelt, die über ein agrément von der Gesundheitskasse verfügen, und der Patient eine entsprechende ärztliche Verordnung vorweisen kann, erstattet die CNS einen Teil der Fahrtkosten zurück. Im Code de la sécurité sociale wird unterschieden zwischen „Taxis“ und „Ambulanzen“, ohne dass gesetzlich definiert ist, was unter den Begriffen zu verstehen ist. Für Taxis hat die CNS einen Basistarif festgesetzt, der für Hin- und Rückfahrt zu einer medizinischen Einrichtung aktuell bei 0,82 Cent pro Kilometer liegt. Für private Krankenwagen liegt er (ab einem Mindestbetrag von 38 Euro) bei 1,29 Euro pro Kilometer, von denen die CNS 70 Prozent zurückerstattet. Für die Wartezeit dürfen die Betreiber noch zusätzlich rund 30 Cent pro Minute berechnen und falls die ärztliche Verordnung die Desinfektion des Fahrzeugs vorsieht, dürfen sie dafür weitere 115 Euro in Rechnung stellen. Alles, was über diesen Basistarif hinaus berechnet wird, müsste der Patient selber zahlen, was insbesondere für Haushalte mit geringem Einkommen oder niedriger Rente bisweilen teuer werden könne, betont die Patientenvertretung. Andere aus dem Sektor behaupten, dass die CNS bei Ambulanzentransporten fast immer 70 Prozent der Rechnung rückerstatte, ohne zu kontrollieren, ob der Kilometertarif korrekt angewandt wurde. Fakt ist, dass die Nettoausgaben der Krankenversicherung für private Ambulanzentransporte sich 2019 auf 1,65 Millionen Euro beliefen, 2020 waren es 1,75 Millionen, 2022 über zwei Millionen Euro – Transporte zwischen Krankenhäusern nicht inbegriffen. Laut Angaben der CNS wurden 2021 15 447 nicht-dringende Transporte in einer Ambulanz durchgeführt, 2022 waren es deren 14 964 – durchschnittlich über 40 pro Tag.

Die Tarife der CNS seien „lachhaft“, sagt Annick Waaijenberg, Direktorin von Luxambulance. Sie reichten niemals, um einen Fahrer und einen Betreuer einer Ambulanz zu bezahlen. Waaijenberg ist Präsidentin der Fédération nationale des transporteurs de malades du Grand-Duché de Luxembourg, die die zehn größten privaten Anbieter von Ambulanzendiensten und die Croix-Rouge vertritt. Der Verband war eigenen Aussagen zufolge maßgeblich an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beteiligt, den Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) vor zwei Wochen in der Abgeordnetenkammer hinterlegt hat. Er soll die Bedingungen für die Organisation der sogenannten „transports sanitaires terrestres non urgents“, sowohl zwischen Krankenhäusern als auch zwischen medizinischen Einrichtungen und dem Zuhause von Patient/innen festlegen. In dem Entwurf geht nicht mehr pauschal von „Taxi“ und „Ambulanz“ die Rede, sondern es wird zwischen „véhicule sanitaire léger“ und „véhicule sanitaire terrestre“ unterschieden. Der Begriff „Ambulance“ ist gesetzlich schon seit 1955 geschützt und bezeichnet Fahrzeuge, die dringende Krankentransporte durchführen. Diese Aufgabe ist und bleibt auch künftig dem CGDIS vorbehalten. 

In „véhicules sanitaires terrestres“ muss der Patient liegend transportiert werden können, der Gesetzentwurf sieht eine Reihe an Mindestanforderungen zu sanitärer und medizinischer Ausrüstung vor, die per Verordnung noch näher definiert werden sollen. Neben einem in Erster Hilfe ausgebildeten Fahrer muss auch ein Betreuer bei diesen Transporten anwesend sein, der ein Mindestmaß an theoretischer und praktischer Ausbildung in Bereichen wie Anatomie, Physiologie, Ethik, Hygiene und Patiententransport absolviert hat. Für „véhicules sanitaires légers“ – den sogenannten „Caddies“ –, in denen der Patient sitzend transportiert wird, sind die Anforderungen weniger streng: Wenn der Fahrer einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert hat, ist eine Begleitperson nicht zwingend notwendig. Darüber hinaus soll das Personal einheitliche weiß-rote Uniformen tragen, damit sie zwar als Sanitäter erkennbar sind, aber nicht mit dem CGDIS-Personal verwechselt werden können. Die Einhaltung der Regeln soll stärker kontrolliert, Verstöße sollen bestraft werden. Die Frage, ob die Fahrzeuge künftig mit einer Art Taxometer oder einem GPS-Tracker ausgestattet werden sollen, wie beispielsweise die Patientenvertretung fordert, wollten das Gesundheits- und das Sozialministerium in dieser Woche nicht beantworten.

Der Gesetzentwurf soll den Rahmen zur Aushandlung einer Konvention zwischen CNS und dem repräsentativen Verband bilden, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt wurde, bestätigte das Ministerium für soziale Sicherheit auf Nachfrage. Wie eine solche Konvention aussehen könnte und welche Tarife künftig gelten sollen, dazu wollten weder das Ministerium, noch die CNS sich in dieser Woche äußern. Die Verhandlungen dürften nicht leicht werden. Die Schwierigkeiten könnten schon damit beginnen, einen repräsentativen Verband zu finden: Neben der Fédération nationale des transporteurs de malades will auch die Alliance des taxis, voitures de location et ambulances sich an den Verhandlungen beteiligen. Die Fédération des taxis, voitures de location et ambulances fühlt sich hingegen nicht zuständig. Darüber hinaus müssen die in der Konvention vereinbarten Tarife einerseits den Firmen Rentabilität gewährleisten, andererseits dürfen sie das Budget der Krankenkasse nicht sprengen. Wie schwer es ist, einen solchen Kompromiss zu finden, hatte sich erst kürzlich bei den Verhandlungen über die Rückerstattung der Psychotherapie-Kosten gezeigt. Ob das Gesetz zur Regulierung der Krankentransporte überhaupt noch vor den Wahlen in Kraft treten kann, ist jedoch fraglich. Dafür hat die Gesundheitsministerin es wohl zu spät deponiert.

In Abwesenheit einer Konvention verteilt die CNS schon seit über zehn Jahren agréments. An die Erfüllung von Qualitätskriterien sind sie nicht gebunden, im Grunde genommen reicht es, eine Handelsermächtigung zu haben. Die CNS führt aktuell zwei Listen mit von ihr approbierten Anbietern. Die der Taxis enthält über 90 Firmen, die der Ambulanzen zählt neben den assoziativen Rettungsdiensten des Malteserordens und der Croix-Rouge 23 Firmen.

Trotz der Vielfalt an privaten Anbietern wird der Markt der Privatambulanzen von weniger als einem halben Dutzend Unternehmen dominiert. Das wohl größte ist Luxambulance, das seinen Hauptsitz in der Stadt Luxemburg hat und Filialen in Grosbous und Wiltz betreibt. Luxambulance beschäftigt 50 Mitarbeiter/innen- und erwirtschaftete 2021 einen Gewinn von rund 460 000 Euro. Dahinter kommen noch drei Unternehmen (Pascoal, Eurolux, Winandy) mit 20 bis 30 Mitarbeiter/innen, deren Margen weniger als halb so hoch sind. Für die kleinen Firmen, die den größten Anteil der Anbieter ausmachen, ist das Geschäft selten sonderlich rentabel. Insbesondere im Segment der Ambulanzen ist es für sie schwer, sich zu behaupten. Der nicht regulierte Markt zieht aber offenbar viele Taxiunternehmer an, die sich davon das große Geschäft erhoffen. Von den 23 Firmen auf der am 20. März aktualisierten Liste der CNS wurde ein Drittel erst in den vergangenen fünf Jahren gegründet, vier haben in den vergangenen Monaten Konkurs angemeldet. Um unseriöse Anbieter fernzuhalten, haben manche Krankenhäuser mit größeren Anbietern eigene Verträge abgeschlossen (ob es sich um formelle Verträge oder informelle Absprachen handelt, ist unklar). Im Gegenzug verpflichten diese sich dazu, bestimmte Qualitätskriterien zu erfüllen, die von Krankenhausmitarbeiter/innen auch stichprobenartig geprüft würden, heißt es aus dem Sektor. 

Die „seriösen“ Anbieter erfüllen eigenen Angaben zufolge schon jetzt die Qualitätskriterien, die Paulette Lenert gesetzlich festlegen will. Ihre Fahrer/innen und Betreuer/innen verfügen über Diplome, die teilweise denen entsprechen, die auch für freiwillige Rettungssanitäter und Betreuer des CGDIS (SAP1/SAP2) gelten. Viele der Beschäftigten seien Nicht-Luxemburger/innen, die eine ähnliche Ausbildung im Ausland absolviert hätten, sagt ein Mitarbeiter einer Ambulanzenfirma dem Land. Allerdings liegen die Gehälter der privaten Rettungssanitäter weit unter denen, die das CGDIS zahlt. Die, die über eine Ausbildung verfügen, verdienen selten mehr als den qualifizierten Mindestlohn, die anderen den unqualifizierten. Die Anzahl der Urlaubstage entspricht häufig dem gesetzlichen Minimum, obwohl die Arbeit anstrengend ist. Eine ihrer Hauptaufgaben bestehe darin, „nuets d’Urgencen eidel ze maachen“, erzählt ein Sanitäter.
Um die Arbeitsbedingungen im privaten Ambulanz-ensektor zu stärken, möchten die Gewerkschaften einen Branchen-Tarifvertrag aushandeln. Den gibt es bislang nur für Taxifahrer, nicht aber für Mitarbeiter/innen von Privatambulanzen. Da der Sektor aber vor allem aus kleinen Firmen bestehe und nur die wenigsten mehr als 15 Mitarbeiter/innen zählen, sei es für die Gewerkschaften nicht leicht, Fuß zu fassen, sagt Sveinn Graas vom OGBL-Syndikat Straßentransport dem Land. Vielleicht wird sich mit dem neuen Gesetz auch daran etwas ändern – schon alleine deswegen, weil der Nachweis von Diplomen und Ausbildungen sich unweigerlich auf die Lohnstruktur auswirken wird.

Luc Laboulle
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