Die Geschichte der Bruchlandung in Findel von Dienstagabend, die die Verantwortlichen von Lux-Airport, Administration de la navigation aérienne (Ana), Direction de l’aviation civile (Dac) und Luxair am Mittwochmorgen erzählten, ist so unwahrscheinlich, dass sie als Drehbuchszenario wahrscheinlich als zu unrealistisch durchfallen würde.
Kurz vor neun, so François Mathieu von der Ana, meldete ein Einwohner aus Cessingen der Ana telefonisch, er habe etwas „Seltsames“ gesehen, ein kleines Flugzeug, das ohne Licht und viel zu tief fliegen würde. Da begann das Rätselraten und die Suche. Denn die Ana hatte keinen Kontakt zu einem Flugzeug in Not, kein Funksignal bekommen, nichts auf dem Radar und nichts im Blick. Sie hatte aber Kontakt zu einer Ryanair-Maschine, die eben gestartet war. Also baten die Ana-Lotsen die Piloten der Ryanair über Funk, doch bitte Ausschau zu halten, fragten, ob sie etwas sehen würden. Doch auch sie konnten beim Blick aus dem Fenster nichts entdecken.
Gegen halb zehn setzte das Sportflugzeug auf der Rasenfläche neben dem östlichen Teil der Start- und Landpiste in Findel auf. Ob es dabei, aus Cessingen kommend, sowohl am Tower als an den Passagieren, die in der Abflughalle auf ihr Boarding warteten, vorbeiflog? Die Ana hatte die Piper auf jeden Fall immer noch nicht lokalisiert. Weil die Elektronik der Maschine einen Totalausfall hatte, wie er aufgrund doppelt und dreifacher Systeme im der Fliegerei eigentlich nicht vorkommen können soll, war weder Funkkontakt möglich, noch sendete der Flugzeugtransponder ein Signal, das der Bodenradar in Findel hätte empfangen können.
Der Pilot, alleine an Bord und unverletzt, stieg nach seiner unangemeldeten Notlandung ohne Fahrgestell aus der Maschine. Dann marschierte er zu Fuß zum nächsten Wachposten, um Bescheid zu sagen, dass er da sei. Ab da setzte der Notfallplan in Findel ein, die Feuerwehr fuhr los, Starts und Landungen wurden ausgesetzt. Eine halbe Stunde später und eine Stunde nach dem Anruf des aufmerksamen Cessingers wurde gegen 22 Uhr die Notam, die Notification to Airmen, von der Ana verschickt, womit die Piste offiziell gesperrt war. Erst einmal für zwei Stunden, dachten die Verantwortlichen. Doch die Arbeiten der Untersuchungskommission, zur Bergung des manövrierunfähigen Flugzeugs und um sicherzustellen, dass keine Teile auf der Piste seien, die anderen Maschinen bei Start und Landung gefährlich werden könnten, dauerten an. Erst um 01.45 Uhr wurde die Piste wieder freigegeben. Deshalb mussten eine ganze Reihe von Flügen der Luxair nach Hahn und nach Lüttich umgeleitet werden. Andere Flüge von Ryanair und Easyjet konnten nicht starten.
Um 23.53 aber durfte eine Falcon 7 trotz gesperrter Piste abheben. Darin saßen der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und seine Delegation, die am Abend den Großherzog sowie den Staatsminister Xavier Bettel (DP) besucht hatten. Die Ana-Verantwortlichen ruderten am Mittwochmorgen hin und her, um zu erklären, warum Macron abheben durfte, die Low-Cost-Passagiere hingegen die Nacht auf Feldbetten im Flughafen verbringen mussten. Hatte Mathieu erst gemeint, es sei Wunsch der Regierung gewesen, dass der französische Präsident nach Hause könne, korrigierte er sich bald, um zu erklären, natürlich sei die Entscheidung allein aufgrund der Sicherheitslage getroffen worden und in Zusammenarbeit mit allen Akteuren vor Ort. Macrons Flugzeug sei kleiner als die Linienmaschinen, so der Ana-Mitarbeiter, und habe deshalb am südwestlichen Ende der Piste, außerhalb der Gefahrenzone um das verunglückte Sportflugzeug, starten können. Zwar sei es ein offizieller Staatsbesuch gewesen, so Mathieu, aber die Regierung, fügte er noch einmal ausdrücklich hinzu, habe gar die Macht, eine solche Entscheidung zu treffen.
Neben Matthieu saß während der Pressekonferenz der Vertreter von Lux-Airport und zwei Stühle weiter Pierre Jaeger, Direktor der Dac. Jaeger dürfte besonders aufmerksam zugehört haben. Nicht nur, weil es Aufgabe der Dac ist, den Bericht über den Vorfall zu erstellen. Sondern auch, weil er gerade aus einer Mediationssitzung zwischen Ana-Personalvertretern und Infrastrukturministerium kam. Denn genau darum, wer „die Macht“ hat, die Piste zu schließen und zu öffnen, die Hoheit über Piste und Rollfeld in Findel, die Ana oder Lux-Airport, darüber streiten die Gewerkschaften OGBL und CGFP seit einem Jahr mit Infrastrukturminister François Bausch (déi Gréng), aber auch mit Jaeger, und deshalb ist die Bruchlandung mehr als nur eine Anekdote.
Vor einem Jahr, gerade hatten Bausch und die Fluglotsen ihren Streit darum beigelegt, ob die An- und Abflugkontrolle an die Deutsche Flugsicherung ausgelagert werden sollte oder nicht (sie wurde nicht ausgelagert), entschied der Minister zur anstehenden Zertifizierung des Flughafens im Rahmen der EU-Verordnungen über die Flughafenzertifizierung, den Flughafenbetreiber Lux-Airport auch als Flugplatzbetreiber, als „airport operator“ einzusetzen, nicht die Ana. Damit würde die Gesellschaft Lux-Airport fortan nicht nur kommerzieller Betreiber der Flughafenimmobilien, der die Geschäfte in der Abflughalle und im Frachtzentrum leitet, Ausschreibungen für Handling-Agenten und Geschäftsflächen auslobt, Werbeverträge abschließt, Parkhausgebühren festsetzt und neue Fluggesellschaften ansiedelt, sondern im Sinne der EU-Gesetzgebung verantwortlich für Operationen am Boden, die bis dahin von der staatlichen Verwaltung Ana überwacht wurden: Das, was auf der Piste und auf dem Rollfeld daneben geschieht, von der Bewegung der Flugzeuge über die Koordination von Baustellen hin zur Frage, wann die Piste offen und wann sie geschlossen ist, beispielsweise, weil dort ein Tier herumläuft, Nebel herrscht oder eben ein Sportflieger notgelandet ist.
Die Ana-Mitarbeiter fürchteten nichts weniger als die Abschaffung ihrer Verwaltung, beziehungsweise eine Privatisierung ihrer Dienste, sollten sie Lux-Airport als Subunternehmer zuarbeiten müssen. Ganz unberechtigt waren ihre Ängste nicht. Erstens aufgrund des Gebots der EU, die Flughäfen zu privatisieren. Weil die Passagier- und Frachtzahlen in Findel stetig steigen, steht auch der Luxemburger Flughafen unter Druck, einen rentablen Betrieb zu führen, um sich selbst und künftige Infrastrukturarbeiten zu finanzieren, da der Anteil sinkt, den der Staat bei solchen Arbeiten zuschießen darf. Solche Investitionen könnten deshalb nur schwierig über eine staatliche Verwaltung wie die Ana als Flughafenoperateur aus dem Staatshaushalt finanziert werden, ohne dass Brüssel wegen illegaler Staatsbeihilfen einschreiten würde, so das Argument, das mittlerweile auch Ana-Mitarbeiter akzeptieren. Und weil Bausch zweitens seine Entscheidung, Lux-Airport statt der Ana als Flugplatzbetreiber zu designieren, vor einem Jahr damit begründete, dass es für die privatrechtliche Firma einfacher sei, die zur Zertifizierung notwendigen Kompetenzen von außen, via Beraterverträge anzumieten als dies für die Ana als Verwaltung.
Aus Angst um die Hoheit auf Piste und Rollwegen, drohte noch vor wenigen Wochen OGBL-Sekretär Hubert Hollerich mit Streik, sollte die Ana nicht neben Lux-Airport Ko-Betreiberin des Flughafens bleiben. Dabei wurde schon seit Monaten nicht nur um die Rollenverteilung zwischen Lux-Airport und Ana, sondern auch um ein Abkommen zwischen den beiden gefeilscht, das diese Rollenverteilung vertraglich festhalten würde. Die Ana-Personalvertreter sahen sich als Verteidiger der Sicherheit in Findel. Für die anderen war es nur noch eine Frage der Semantik – dass die Ana genau die Aktivitäten, und zwar als Verwaltung, weiterführen sollte, die sie bisher ausgeführt hat, darüber waren sich beide Seiten schon länger einig. Die strittige Frage war, wie dies im Abkommen formuliert würde. Ob dort am Ende der Entscheidungskette Lux-Airport als verantwortliche Einheit stehen würde, oder die Ana. In der Praxis, so diejenigen, für die der Streit nur noch ein Wortgefecht war, würde Lux-Airport sich nicht über eine Entscheidung der Ana-Mitarbeiter hinwegsetzten, Piste oder Rollfeld aus Sicherheitsgründen zu schließen; der Flughafenbetreiber habe kein Personal, das kompetent sei, in solchen Fragen zu bestimmen. Doch damit wollten sich die Ana-Vertreter in der Schlichtung nicht zufrieden geben.
Ebensowenig Dac-Direktor Pierre Jaeger, der vergangene Woche die vorübergehende Einigung zwischen Minister und Ana-Personal kippte, in dem er wiederholte, die EU-Verordnungen ließen kein Ko-Betreiben eines Flughafens durch zwei Operateure zu, es könne nur einen geben. Denn als übergeordnete und unabhängige Instanz für Sicherheitsfragen obliegt es der Dac zu prüfen, ob die nationalen Bestimmungen den europäischen entsprechen.
In der Schlichtungsitzung am Mittwoch kamen sich die Streitparteien wieder näher. Es ist Punkt 8 der Präambel der EU-Verordnung 139/2014 zur Festlegung von Anforderungen und Verwaltungsverfahren in Bezug auf Flugplätze, der beiden Seiten eine Lösung bietet, bei der sie ihr Gesicht nicht komplett verlieren1. Demnach soll der Betreiber, in diesem Fall Lux-Airport, nicht nur Aufgaben auslagern können, in diesem Fall an die Ana, und dafür die Verantwortung abgeben, wenn er geprüft hat, dass dort alle Bedingungen erfüllt sind, damit diese Aktivitäten richtig durchgeführt werden können. Nach der Sitzung freuten sich die Streitparteien, nun endlich einen Text gefunden zu haben, der vorsieht, dass erstens Lux-Airport alleiniger Flugplatzbetreiber ist, zweitens die Ana aber für ihre Arbeit verantwortlich bleibt, und drittens den EU-Verordnungen gerecht wird.
Doch Pierre Jaeger verlangte auch am Mittwoch noch kleine Nachbesserungen. Dabei geht es nicht darum, wer die Piste schließt oder öffnet, sondern um das „Wie“, also die Prozedur, nach der die Ana Lux-Airport mitteilt, dass sie offen oder zu ist. Am 24. Oktober soll die nächste Sitzung beim Schlichter stattfinden. Doch vielleicht stehen die Chancen dann eine endgültige Lösung zu finden, jetzt besonders gut, weil man sich, unter steigendem öffentlichen Druck aufgrund der Frage, warum die französische Präsidenten-Maschine starten durfte, die Billigflieger aber nicht, die Verantwortung lieber teilen wollte, als sie für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Ein Streik wäre dann endgültig abgewendet. Die Zertifizierungsprozedur, die Ende des Jahres abgeschlossen sein muss, wenn der Flughafenbetrieb im neuen Jahr gewährleistet sein soll, soll in zwei Wochen beginnen.