Der Bierkonsum in Europa sinkt und dadurch verändert sich der Markt – auch in Luxemburg. Die Brauereien reagieren unterschiedlich auf die Herausforderung

Aus der Kneipe auf die Couch

d'Lëtzebuerger Land du 17.02.2012

„Die Leute feiern weniger“, bedauerte der selbst immer fröhliche und umtriebige Georges Lentz am Montag. Die Wirtschaftskrise in Europa drückt auf Stimmung und Portemonnaie. Das sind schlechte Nachrichten für die europäische Brauereiindustrie. Seit 2008 ist der Bierkonsum in Europa um 8,82 Prozent gefallen. Wurden 2008 noch 374 Millionen Hektoliter Bier getrunken, waren es 2010 343 Millionen Hektoliter. Dabei stieg die Zahl der Brauereien in Europa noch an. Von 3 071 im Jahr 2008 auf aktuell 3 638. „Es gibt enorme Überkapazitäten in Europa“, erklärte Lentz, Verwaltungsratsvorsitzender der Brasserie nationale (BN), die in Niederkerschen die Marken Bofferding und Battin braut. Weshalb Schließungen vorprogrammiert sind.

Denn Wachstum erwartet die internationale Bierindustrie nur in Asien und Afrika. Während der Konsum in Europa bei guten Margen zurückgeht, steigt dort der Konsum, aber die Margen sind schlecht. Für die großen Brauereikonzerne in Europa und Nordamerika kommt erschwerend hinzu, dass vor allem die Chinesen ihr Bier zunehmend selbst brauen. In den Top-Ten der weltweit größten Brauereien klassierten sich 2010 mit China Resources Enterprises, Tsingtao und Yan Jing drei chinesische Firmen, das meistgetrunkene Bier der Welt mit 72 Mil-lionen Hektoliter ist die 1993 erstmals gebraute Marke Snow.

Auch in Luxemburg ist der Konsum rückläufig. Lag der Procapita-Konsum den Schätzungen der BN zufolge 2007 noch knapp über 100 Liter im Jahr, waren es 2010 knapp unter 100 Liter jährlich. Glaubt man den Unternehmensberatern von Ernst[&]Young, die vergangenes Jahr für die Europäischen Brauer eine Art Bier-Report über den Beitrag der Branche zur europäischen Wirtschaft erstellten, trinkt der Luxemburger mit im Schnitt 85 Litern jährlich noch weniger. Innerhalb eines Jahrzehnts fielen die Bierverkäufe in Luxemburg von 511 000 Hektolitern im Jahr 2000 auf 420 000 Hektoliter 2011, schätzt die Brasserie nationale. Die Menge an getrunkenem Bier fiel in der gleichen Zeit von 410 0000 auf 320 000 Hektoliter.

Dabei trinken die Europäer nicht nur weniger, sie trinken auch anders. Vor allem im Gaststättengewerbe (Horeca) sinkt der Bierkonsum laut Angaben der BN, die am Montag ihre Geschäftzahlen für 2011 vorstellte, um 15 Prozent seit 2008. Dafür wird mehr Bier im Einzelhandel verkauft. Es gibt sozusagen eine Konsumverlagerung aus der Kneipe aufs eigene Sofa, erklärt Simon Wuestenberg, Direktor der Brauerei Diekirch. Eine Entwicklung, die man seit zehn, fünfzehn Jahren beobachte, sagt Frédéric de Radiguès, Direktor der BN-Munhowen-Gruppe, die sich aber in den letzten fünf bis sieben Jahren verstärkt habe. „Auf Luxemburg trifft das bisher in geringem Maße zu als auf andere Länder“, in denen das Rauchverbot auch in Kneipen gilt, wirft Wuestenberg ein. Das Rauchverbot in den belgischen Kneipen habe zu einem Einbruch von acht Prozent geführt, quantifiziert de Radiguès den Impakt. Doch dass auch hierzulande weniger Bier im Bistrot, dafür eher zuhause getrunken wird, daran glaubt er fest. Das Problem, da sind sich beide einig: Zuhause wird weniger Bier getrunken als in der Kneipe. Das heißt, auch wenn die Verkäufe im Supermarkt steigen, kann das den Ausfall im Horeca-Sektor nicht kompensieren.

Woran es liegt, dass eher allein daheim gepichelt wird als in Gesellschaft Gleichgesinnter in der Kneipe, darüber gehen die Meinungen auseinander. Betty Fontaine, Direktorin der Brasserie Simon aus Wiltz, die vergangenes Jahr rund 15 000 Hektoliter verkaufte, sieht als Hauptursache die Verkehrskontrollen. Um nicht auf dem Heimweg wegen Alkohols am Steuer den Führerschein zu verlieren, blieben die Bierkonsumenten lieber gleich zu Hause. Insgesamt seien die Leute häuslicher geworden.

Frédéric de Radiguès sieht einen tieferen gesellschaftlichen Wandel als Ursache. Einerseits gebe es immer weniger Kneipen, dafür mehr Restaurants, in denen weniger Bier getrunken werde. „Andererseits verlagern sich die Haushaltsausgaben“, sagt er. Statt ihr Geld in Kneipen und Restaurants zu tragen, investierten die Leute mehr in verlängerte Wochenenden oder Urlaube. Hinzu kommt der Kostenfaktor: Dem Bier-Report von Ernst[&]Young zufolge beträgt der Preis für einen Liter Bier in Luxemburger Gaststätten sechs Euro inklusive Mehrwertsteuer, während er im Handel für 1,90 Euro zu haben ist. Die Luxemburger, glauben die Unternehmensberater, trinken 55 Prozent ihres Biers in der Kneipe oder im Restaurant, hätten somit 2010 104,6 Millionen Euro an der Biertheke investiert. Demnach seien 45 Prozent des konsumierten Biers im Handel veräußert worden, für 27,1 Millionen Euro.

Weil sich die Brauereien in Luxemburg die Kneipen mit Exklusiv-Linzenzen untereinander aufteilen und dort jeweils nur den Verkauf der eigenen Marken zulassen, dürfte diese Entwicklung nicht ohne Folgen auf den Konsum ausländischer Marken bleiben. „Weil im Supermarkt das Angebot (an Biermarken, Anmerkung der Redaktion) größer ist, ist es verständlich, dass der Verkauf von Import-Bieren steigt“, meint Betty Fontaine. Rund 185 000 Hektoliter Bier wurden 2010 laut Ernst[&]Young importiert und im Gegenzug 72 500 Hektoliter exportiert. Ein Anteil, der laut Brasserie nationale 2011 auf 90 000 Hektoliter stieg, wobei ein Teil des importierten Biers, beispielsweise das belgische Jupiler, nur eingeführt wird, um sofort wieder an der belgischen Grenze verkauft und von den Konsumenten zurück ins Ursprungsland transportiert zu werden.

So schrumpft der Heimatmarkt langsam, aber stetig, worauf die Brauer unterschiedlich reagieren. Die Strategie, welche die Brasserie nationale seit einigen Jahren verfolgt, besteht darin, den „Heimatmarkt“ in die Groß[-]region, nach Belgien und Frank[-]reich, zu erweitern. Eine Strategie, die mit einem gewissen Erfolg umgesetzt wird. Die Brauerei steigerte ihre Produktion von 154 000 Hektolitern 2010 auf 160 000 Hektoliter 2011 und baut in Niederkerschen aus, um die Produktionskapazitäten um rund 50 000 Liter auf 210 000 bis 220 000 Hektoliter jährlich zu erhöhen. Im Hinblick darauf, dass die Exporte gesteigert werden. Knapp unter 32 000 Hektoliter Bofferding und Battin wurden 2011 im nahen Ausland verkauft. Über neun Jahre gesehen, wurden die Exporte im Schnitt jährlich um 25 Prozent gesteigert. In der Zwischenzeit gehen 23 Prozent der Produktion in den Export. Mittelfristig will Direktor de Radiguès den Exportanteil auf 50 Prozent steigern. Dafür wurde, seit er vor einigen Jahren vom Branchenriesen AB Inbev zur vergleichsweise kleinen BN wechselte, die Zahl der Handelsvertreter von drei auf neun verdreifacht.

Doch noch ist die Marke nicht bekannt genug, um über das direkte Grenzgebiet hinaus, die nötigen Absätze in Supermärkten zu gewährleisten, damit Bofferding und Battin überhaupt ins Sortiment aufgenommen werden. „In Luxemburg ist jedem klar, dass Bofferding Bier ist. Aber in Frankreich fragt man, ob es sich dabei um Autoreifen handelt“, erklärt er. Deswegen arbeitet die BN über die Ausweitung des Kneipennetzwerks erst einmal am Aufbau der Marke. Große Marketingbudgets werden dazu nicht eingesetzt. Kampagnen, die, damit sie die breite belgische oder französische Öffentlichkeit überhaupt wahrnehmen, Millionen kosten würden, kann sich das Unternehmen, das 2011 ein Ergebnis vor Steuern und Abschreibungen von 5,5 Millionen Euro (plus 7,4 Prozent gegenüber 2010) erwirtschaftete, nicht leisten.

Während Betty Fontaine innerhalb des heimischen Marktes auf Nischenprodukte setzt und neben Simon Pils, Dinkelbier und Bier-Crémant-Mischungen im Sortiment hat sowie die Marken Ourdaller und Okult braut, um den Marktanteil bei um die sieben Prozent stabil zu halten, sieht Simon Wuestenberg von Diekirch die Lage auf dem heimischen Biermarkt weniger pessimistisch als die Konkurrenten aus Niederkerschen.

Zwar sinke der Prokopf-Verbrauch, doch im Immigrationsland Luxemburg wachse die Bevölkerung stetig, werde internationaler und trinke deswegen auch zunehmend internationale Marken. Für Wuestenberg, im Dienste des Großkonzerns AB Inbev zu dem die Brauerei Diekirch gehört, besteht die Herausforderung eher darin, dieses Potenzial zu erschließen und den Zuwanderern das Luxemburger Bier schmackhaft zu machen. Denn auch wenn in Diekirch-Kneipen das große Sortiment des Mutterhauses im Angebot ist, liegt für ihn der Fokus auf dem Ausbau der Marke Diekirch, die ihrerseits 2010 45 000 Hektoliter in die Großregion exportierte, also mehr als Bofferding und Battin 2011.

Auf die Frage nach der großen Unbekannten auf dem Luxemburger Biermarkt, der Zukunft der Brauerei Diekirch, deren Firmengelände 2010, von öffentlichen Protesten begleitet ,an eine Gruppe von Immobilieninvestoren verkauft wurde, gibt sich Wuestenberg gelassen und beschwichtigend. Denn während die Konkurrenten längst nicht mehr daran glauben, dass der AB-Inbev-Konzern, der im nahen Belgien eine Brauerei mit offenen Kapazitäten hat, Millionen in den Aufbau einer neuen Brauerei in Diekirch investiert, wenn die bestehende in ein paar Jahren dem Immobilienprojekt weichen muss, sagt Wuestenberg: „Ich kann nur bestätigen, dass das Projekt einschließlich einer Brauerei in Diekirch umgesetzt wird.“ Eine neue Brauerei würde aber in jedem Fall deutlich kleiner als die bestehende, die eine Produktionskapazität von 400 000 Hektolitern jährlich hat. „Eine Kapazität, die wir nicht brauchen“, sagt Wuestenberg. Aktuell würden rund 130 000 Hektoliter jährlich in Diekirch gebraut. Das Volumen, beharrt er, soll auch die neue Brauerei schaffen.

Michèle Sinner
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