Podium Ein Mann steht vor einer Leinwand. Mittelgroß, leichte Geheimratsecken, ordentliches Sakko. Er trägt einen Namen, den Kinder in Luxemburg kennen, bevor sie richtig schreiben können. Der als Chiffre für Macht und Reichtum gilt. Der untrennbar mit dem wirtschaftlichen Erfolg des Luxemburger Staats verknüpft ist. Dass es sich bei diesem Mann um den Erben einer Bauherrendynastie in dritter Generation handelt, wird allerdings nicht ersichtlich. Marc Giorgetti wirkt unscheinbar, geradezu normal. Als er endlich ein funktionierendes Mikrofon gefunden hat, zeigt er auf einen Plan auf der Leinwand. „Am Fong verlängere mir d’Groussgaass bis op d’Stäreplaz.“ Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) zieht die Mundwinkel hoch und wirft ein Lächeln ins Publikum. Transportminister François Bausch (Grüne) blickt mit verschränkten Armen auf die Leinwand, keine Körperregung.
Es kommt selten vor, dass der Unternehmer Marc Giorgetti sich so öffentlich inszeniert. Eher spielt er seinen Einfluss diskret im Hintergrund aus, abseits des Kameralichts. Und noch seltener sitzt er Seite an Seite mit hohen politischen Amtsträgern auf einem Podium. Doch für das Projekt Place de l’Étoile kann schon einmal eine Ausnahme gemacht werden. Das haben sich wohl auch Lydie Polfer und François Bausch gedacht, selbst wenn Großgrundbesitzer wie Giorgetti gerade wegen ihrer Steuerbevorteilung in den Fis-Geschäften in der Kritik stehen. Denn die Stäreplaz ist seit Jahrzehnten ein Problemfall: ein Streitobjekt, bei dem am Ende nur die Anwälte zu den Gewinnern zählten. Ein Symbol für die Auswüchse des spekulativen Immobilienmarkts. Ein Mahnmal der Schande für eine verkorkste Wohnungsbaupolitik. Oder einfach nur: ein Krater. Welcher Machtmensch will nicht auf dem Podest stehen, wenn nach Jahrzehnten endlich eine Lösung präsentiert wird?
Martyrium Seit Ende der Siebzigerjahre versuchen unterschiedliche Eigentümer Großprojekte an der Stäreplaz zu realisieren. An Ideen hat es nie gemangelt: ein neues Gerichtsviertel, der Sitz des nationalen Gesundheitslaboratoriums, eine Shopping mall mit Parkhaus, sozialer Wohnungsbau oder eine Autobahnverlängerung – es wurde allerhand erdacht und geplant. Doch die Place de l’Étoile steht vor allem mit einem Mann in Verbindung: Willy Hein. Sein Martyrium begann 1989. Während rund zwanzig Jahren kämpfte der Unternehmer darum, alleiniger Eigentümer der Stäreplaz zu werden. Er verschwendete jede Menge Energie in juristischen Streit, kaufte den Großteil der staatlichen Grundstücke und verschuldete sich horrend. Doch vergebens, er konnte seine Pläne nicht umsetzen.
2007 trat er nahezu seine gesamten Grundstücke an der Stäreplaz an katarische Geldgeber der Gesellschaft Andromeda Investissement ab. Doch Hein behielt rund 60 Quadratmeter Grundstücke an strategisch günstigen Stellen. Er drehte den Spieß um, lieferte sich einen verbitterten Kampf mit den katarischen Investoren und boykottierte über Jahre das Projekt einer großen Shopping mall. 2016 zogen sich die katarischen Investoren entnervt von der Stäreplaz zurück und verkauften für rund 135 Millionen Euro ihre Grundstücke an die Abu Dhabi Investment Authority (Adia), ein Staatsfonds, dessen Vermögen zum Teil von der Gesellschaft Firce Capital verwaltet wird. Auch Hein gab sich kurz vor seinem Ableben geschlagen, trat seine Grundstücke an den Staatsfonds aus den Emiraten ab und behielt lediglich zwei letzte Quadratmeter: Dort weilt seither eine Elefantenstatue als Andenken an den verstorbenen Bauunternehmer.
Immobilienbingo Firce Capital ist eine international agierende Vermögensgesellschaft, die rund zwei Milliarden Euro verwaltet, vor allem Immobilien in Paris, Lyon und Marseille. Doch Firce Capital ist mit seinen Petrodollars aus den Emiraten auch keine Unbekannte in Luxemburg: Die Vermögensgesellschaft steht hinter dem Royal Hamilius und hat Anfang des Jahres das Belval Plaza aufgekauft. Ursprünglich hatte Firce vor, an der Stäreplaz ebenfalls einen neuen Shoppingtempel zu bauen. Doch bereits 2018 berichtete Luxembourg Times, dass dieser Plan zugunsten von Luxusimmobilien aufgegeben wurde.
Der Plan, den Giorgetti im Auftrag der Geldgeber aus den Emiraten vorstellte, sieht nun ein neues Viertel mit rund 50 000 Quadratmetern Wohnungen, 45 000 Quadratmetern Bürofläche und 8 000 Quadratmetern Einzelhandel vor. Es ist quasi eine ästhetische Kopie des Royal Hamilius mit beigefarbener Fassade, vielen Fenstern und einer cleanen und glänzenden Architektur. Zudem sollen ein Kinokomplex, eine Foodhall wie an der Fifth Avenue sowie Drogerieläden entstehen.
„Bei diesem Projekt spielt Geld keine Rolle“, sagt eine Person, die an der Ausarbeitung des Projekts beteiligt ist. Es gehe darum, den Boden zu vergolden und ein Maximum an Profit herauszuschlagen. Der Fond wolle die rund 600 Luxuswohnungen nicht verkaufen, sondern zur Miete anbieten und hoffe auf den boomenden Immobilienmarkt in Luxemburg, der jährliche Wertsteigerungen im zweistelligen Bereich verspricht. „Ob dort am Ende tatsächlich jemand wohnen wird, ist denen egal“, so die gleiche Quelle. Auch Bürgermeisterin Polfer machte klar, dass dieses Projekt nicht unbedingt das Prädikat sozial verdient. „Der Eigentümer wird sich an die Gesetzgebung in Luxemburg halten“, so Polfer. „Das sind aktuell zehn Prozent für soziale Wohnungen.“ Nicht mehr, nicht weniger.
Doch das Projekt Stäreplaz sieht nicht nur Immobilien, sondern auch einen sogenannten Mobilitätshub vor. Es soll als Knotenpunkt dienen für den Verkehr aus dem Westen Luxemburgs. Ein unterirdischer Busbahnhof lässt an den einstigen Aldringer erinnern und soll die Überlandbusse auffangen. Die Verkehrsachse der Route d’Arlon soll etwas verschoben werden und durch eine Art City-Tunnel unterhalb des Komplexes in die Innenstadt führen. Und durch das Herz des Immobilienprojekts soll die Tram fahren und ein Radweg mit Shared Space entstehen. Eine öffentliche Tiefgarage ist nicht vorgesehen. Die Idee eines Westagank klingt für Beobachter natürlich sehr stark nach den 1980-er-Jahren – fast so, als hätten die Verantwortlichen nicht mitbekommen, dass der Eingang zur Stadt sich längst weiter nach Westen verlagert hat und sich nicht mehr an der Place de l’Étoile befindet.
Die Stadt Luxemburg sieht vor, PAG- und PAP-Veränderungen bis 2022 abzuschließen und rechnet laut Land-Informationen mit einer Fertigstellung bis 2026. Minister Bausch will spätestens im Dezember 2022 das Gesetz zur Tramerweiterung nach Westen im Parlament hinterlegen.
Weiter so Weder Polfer noch Bausch rechnen mit nennenswertem politischem Widerstand gegen die Luxusimmobilien: Bausch kann das Projekt als irgendwie grün durch die Anbindung an den öffentlichen Transport verkaufen, und generell scheinen alle politischen Parteien eher erleichtert zu sein, dass es nun endlich vorangeht an der Stäreplaz.
Einer, der dem Projekt jedoch kritisch gegenüber steht, ist Markus Hesse, Professor für Stadtforschung an der Universität Luxemburg. Er bezeichnet es als eine Art „Urban Fracking“, bei der ein Maximum an Ertrag aus dem Boden herausgepresst wird. Diese Verwertungsinteressen sind für Hesse aus Sicht des Eigentümers vollkommen legitim und entsprächen der klassischen Luxemburger Denkart, wonach der Staat seine Wertschöpfung aus dem knappen Land bezieht.
Aber warum die Politik und ausgerechnet die Grünen sich nun erneut für solche Projekte hergäben, überrascht ihn doch: „Das Projekt ist weder nachhaltig, noch wird es einen Beitrag zur Lindrung der Wohnungsnot leisten.“ Vielmehr sei es ein Ergebnis der hohen Immobilienpreise und werde die Preise nur weiter antreiben. Denn laut Hesse ist das international zirkulierende Kapital mittlerweile auf den Markt in Luxemburg aufmerksam geworden, und die Politik habe den roten Teppich einfach ausgerollt. „Es gibt ja nicht einmal den Hauch von Bürgereinbindung, und ökologische Bedenken werden einfach ignoriert“, so Hesse. Doch wenn die Politik gegen diese Tendenz des Markts nicht regulierend vorgeht, droht Luxemburg von internationalem Kapital überschüttet zu werden – mit dramatischen Auswirkungen auf die Preisentwicklung am Wohnungsmarkt.