Am Dienstag stellte der Verbraucherschutzverband ULC seine Wahlkampfforderungen an die Parteien vor. An erster Stelle: Stärkt die Kaufkraft! Erhaltet den Index und sorgt für eine Steuerreform, die diesen Namen verdient. Erst an zweiter Stelle kommt die ULC auf Themen zu sprechen, die unmittelbar mit Verbraucherschutz zu tun haben. Die Lebensmittelsicherheit etwa oder der Trend bei den Banken, für Bargeld-Abhebungen am Schalter immer höhere Gebühren zu verlangen. Zu den Wohnungen äußert die ULC sich auch. Findet aber nur, dass gegen die Spekulation vorgegangen, die öffentliche Hand mehr Bauland erwerben müsse. Die Limits für Beihilfen an werdende Besitzer sollten erhöht werden. Zum Mieterschutz dagegen, der eigentlich eine ihrer Kernaktivitäten ist, verliert die ULC kein Wort.
Das ist nicht neu. Weil die ULC von OGBL und LCGB gegründet wurde und in ihrem Vorstand noch immer ältere Männer aus den Gewerkschaften sitzen, ist ihr politischer Blick entsprechend verengt auf das, was Gewerkschaftsmitglieder sich wünschen könnten. Doch damit entwertet der einzige Verbraucherschutzverband im Land sich als ernstzunehmender Gesprächspartner der Verbraucherschutzpolitik. Für die gibt es seit der Neuauflage der DP-LSAP-Grüne-Koalition 2018 sogar ein eigenes Ministerium, mit der populären Paulette Lenert an der Spitze.
In den Koalitionsverhandlungen wollte die LSAP dieses Ressort unbedingt für sich. Auch die Grünen hätten es gerne genommen. Denn sie fürchteten, die Sozialisten hätten sie damit „grün überholen“ können. Eine ganz unbegründete Fantasie war das nicht. In der Legislaturperiode zuvor war der Verbraucherschutz zum ersten Mal in der Zusammensetzung der Regierung aufgetaucht und dem Landwirtschaftsministerium angegliedert worden. Fernand Etgen von der DP war auch Verbraucherschutzminister. 2018 bekam die LSAP das Agrarressort zurück, das sie von 2009 bis 2013 schon innehatte. Das Gesundheitsministerium blieb weiter in LSAP-Hand. Die Grünen meinten, mit einer schlauen Politik in der Schnittmenge von Landwirtschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz hätte die LSAP enorm punkten können. Heute zeigt sich, dass der LSAP das nicht gelungen ist. Vermutlich hatte sie dafür nie einen Plan.
Den aktuellsten Hinweis darauf lieferte am Freitag vergangener Woche die Konferenz „Que mangerons-nous demain?“ Vor einem vollen Saal im Lycée Aline Mayrisch referierte der belgische Ernährungswissenschaftler Olivier de Schutte, der auch UN-Sonderberichterstatter war und Ko-Präsident eines internationalen Expertengremiums zum Thema ist, eine Dreiviertelstunde lang über das Recht auf eine gesunde und ökologisch nachhaltige Ernährung für alle. Die im Saal ebenfalls anwesende Verbraucherschutzministerin Lenert erklärte anschließend, um auf diesem Gebiet politisch tätig zu werden, fehle es in Luxemburg an Daten. Nützlich wäre die Gründung eines „Observatoire de la Consommation“. Landwirtschaftsminister Claude Haagen war auch im Saal. Er kündigte an, im April werde die Ilres Verbraucher/innen zu ihren „Erwartungen“ und Landwirte zu ihren „Ängsten“ gegenüber nachhaltiger Ernährung befragen. Daraus könne ein Konzept für eine „kohärente Politik“ werden. Vermutlich dürfte davon im LSAP-Wahlprogramm die Rede sein.
Denn bislang war nicht zu bemerken, dass in der Regierung, beziehungsweise in den von Lenert und Haagen geführten Ministerien ein solcher kohärenter Ansatz existiert. Der größte Wurf des Verbraucherschutzministeriums bestand darin, seine Abteilung für Lebensmittelsicherheit ans Landwirtschaftsministerium abzutreten. Dort wurde sie mit der Veterinärverwaltung zur Alva verschmolzen, einer großen „Administration luxembourgeoise vétérinaire et alimentaire“. Unsinnig ist das nicht: Für Lebensmittelkontrollen und zum Reagieren auf Fleischskandale ist die Alva schlagkräftig. Doch solches Handeln ist reaktiv. Eine Verwaltung, die proaktiv vorgeht, die Verbraucher/innen informiert, welche Lebensmittel gesund sind und welche nachhaltig – was nicht unbedingt dasselbe ist –, gehört nicht ins vom Lobbying der großen Bauernverbände geplagte Landwirtschaftsministerium. Ex-LSAP-Gesundheitsministerin Lydia Mutsch wusste, wieso sie sich dagegen wehrte, die damals noch dem Gesundheitsministerium unterstehende Lebensmittelsicherheits-Abteilung ans Landwirtschaftsministerium zu geben. Über den Umweg Verbraucherschutzministerium klappte es dann. Seither sollen die Verbraucher/innen verstehen, was auch der Bauernstand gerne hört: Was heiheem produziert wird, ist gut. So ist das bei Fusionen von Ministerien oder Verwaltungen – die schwächeren gehen unter, die stärkeren
dominieren die Politik.
Dabei ist – wenn man Verbraucherschutz weiter auf Lebensmittel beschränkt, was eigentlich nicht ausreicht – in Luxemburg die Informationslage wahrscheinlich ähnlich schlecht wie in Deutschland. Dort hat der frühere Präsident der Organisation Foodwatch, Thilo Bode, vor Kurzem ein Buch herausgebracht. Der Supermarkt-Kompass soll helfen, beim Einkauf halbwegs informierte Entscheidungen zu treffen. Einfach sei das nicht, erläuterte Bode vergangene Woche im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: Weder sei der Preis ein Qualitätsmerkmal, noch seien Gütesiegel transparent genug. Selbst eine Bio-Henne könnte nicht artgerecht gehalten worden sein, und für die Herstellung eines Bio-Steaks wurde unter Umständen mehr Wasser verbraucht als für ein konventionell produziertes.
Die Intransparenz hat viel mit EU-Vorschriften zu tun, die für den Binnenmarkt gelten und politische Kompromisse sind. Den Mitgliedstaaten bleiben aber Spielräume. In Luxemburg verabschiedete im Mai 2022 die Abgeordnetenkammer das Gesetz über das Label „Luxembourg – agréé par l’État“. Es steht für Produktionsmethoden von Lebensmitteln, und ob sie zum Beispiel dem Tierwohl oder der Artenvielfalt dienen. Der Mouvement écologique und die Lëtzebuerger Landjugend a Jongbaueren stellten allerdings fest, dass die Kriterien nur dem „Minimum“ entsprechen. Die einzige große Neuerung bestehe darin, dass Lebensmittel mit diesem Logo ohne Glyphosat hergestellt wurden. Abgesehen davon handle es sich um
eine „Mogelpackung“.
Beschäftigt dergleichen auch den Verbraucherschutz-
verband? Vielleicht. In ihren Wahlkampfforderungen spricht die ULC nur von Lebensmittelsicherheit und nennt das vor allem eine „technisch-organisatorische Frage“. Der Fusionsverwaltung Alva im Landwirtschaftsministerium sollte am besten auch die Asta, die Administration des services techniques de l’agriculture, zugeschlagen werden. Das würde Expertisen bündeln. Die richtige Lebensmittelpolitik zu definieren, sei natürlich ebenfalls wichtig, meinte ULC-Präsident Nico Hoffmann auf Nachfrage. Was daraus folgen sollte, erläuterte er nicht. „Das ist ganz komplex und technisch.“
Mag sein, dass die ULC diese Zusammenhänge nicht überblickt. Oder sie will das Verbraucherschutzministerium nicht übermäßig unter Druck setzen. Von den insgesamt fünf Millionen Euro, die im Staatshaushalt für dieses Jahr an Ausgaben des Verbraucherschutzministeriums geplant sind, sind die 830 000 Euro Beteiligung an den Funktionskosten der ULC der zweitgrößte Posten nach den 2,5 Millionen für das Personal des Ministeriums selber.
Dabei stellen sich in der Schnittmenge von Landwirtschaft, Gesundheit und Verbraucherschutz Fragen, die die ULC-Gewerkschaftler interessieren müssen. Nicht zuletzt die, wie gesunde und nachhaltig produzierte Lebensmittel für alle erschwinglich werden. Konzeptuell war die vorige Regierung weiter, hatte die LSAP im Koalitionsvertrag 2013 den „Gesundheitsfonds“ untergebracht, in den neu geschaffene Steuern auf gesundheitsschädliche Produkte fließen sollten, um daraus Präventionsmaßnahmen zu finanzieren oder Subventionen von Obst und Gemüse, wie die WHO das empfiehlt. Am Ende wurde daraus nichts, Lydia Mutschs Pläne für eine „Zuckersteuer“ auf Softdrinks scheiterten an der Furcht der Koali-
tionäre, eine neue Steuer einzuführen. Neben der Getränkelobby war auch der OGBL dagegen. Mutschs Nachfolgerin Paulette Lenert hat sich zu solchen Fragen weder als Gesundheits- noch als Verbraucherschutzministerin geäußert. So übernahm der Landwirtschaftsminister die politische Führung. Und die Grünen hatten sich 2018 umsonst gesorgt.