Ostern anno 2014

Heidenkinder

d'Lëtzebuerger Land du 18.04.2014

Wie schnell ist die Zeit vergangen, gerade erst lag der Wonneproppen rosig auf goldenem Stroh. Esel, Ochs, Hirtlein, Englein in excelsis musizieren und delirieren divers, eine Mutter vergöttert das blond gelockte Knäblein, der Patchwork-Family-Vater hält sich dezent im Hintergrund. Einen biologischen gibt es nicht, nur einen theologischen. Gerade war alles so schön, richtig paradiesisch, eine Stallgeburt, noch naturnäher als Hausgeburt. Himmelhoch jauchzende Freude, Sterne zeigen den Weg, mit Schnuppenfeuerwerk. Die drei aus dem Morgenland sind natürlich auch da, mit standesgemäßen Geschenken.

Wie schnell ist die Zeit vergangen, schon nageln sie ihn ans Kreuz, bäh, pfui, böse Menschheit, sündig, erbsündig, schuldig, missraten, kein Wunder, dass sie aus dem Paradies flogen und seither im Staube kriechen müssen. Im Schweiße ihres Angesichts auch noch. Trotz Deo.

Schon ist es Sterbestunde, schwarzes Loch in den Kirchen, in die die Touristen hinein trippeln dürfen, bitte brav sein, etwas findet statt. Das allerschlimmste. Gerade stirbt der von euch uns ermordete Jesus am Kreuz. Wegen uns, für uns, durch uns. Manche wissen es gar nicht mehr, sie verstehen nur Bahnhof, sie stehen vor den mit Pfeilen Durchbohrten, vor den welken, ausgerissenen Zungen, den Knöchelchen und Gebeinchen und Schneewittchensärgen mit glamourösen Skeletten. Sie stehen vor dem Gekreuzigten und wundern sich. Sie kapieren das Abendland nicht mehr, ihre Synapsen flippe(r)n nicht panisch ekstatisch angesichts der Stigmen Dornenkronen blutigen Herzen, die sich ihnen darbieten. Bei ihrem Besuch in der Sado-Maso-Show werden sie von kastenförmigen Tempeltorstehern beäugt, auf dass sie sich noch vage gemäß der Hausordnung benehmen. Dies ist Gottes Haus, ihr coolen Barbar_innen!

Immer mehr sind schließlich Kapitalismusheiden. Oder aufgeklärte Wesen, die nicht mal an den Osterhasen glauben, höchstens an Kernkraft. Oder freie Geschöpfe, wie ihre Eltern sich das mal vorstellten, die noch nicht wussten, dass man seine Freiheit meist dazu verwendet, sie so schnell wie möglich wieder abzuschaffen. Also nicht terrorisierte Geschöpfe, Menschen, die Worte wie Sündenpfuhl oder Höllensturz nicht mehr in ihre DNA eingebrannt tragen, die weder Märtyrer noch Gottesbraut als Berufswunsch hatten, säkulare Menschen, die hoch erhobenen Hauptes die heiligen Hallen betreten, sich interessiert den Kunstwerken nähern, oder von einem Instinkt getrieben vor dem wurmstichigen Plunder, dem kranken Barock Reißaus nehmen. Rette sich wer kann, vor dem Himmel und seinen Vollstreckern!

Schnell an ein Meer oder vor ein Glas, dass wir das wegschwemmen, Blut und Wunden, den Essigschwamm, bäh! Reiß dir die Nägel aus dem Herz der Hand, nimm einen kräftigen Schluck Rotwein! Traumatisierte alte Katholikin, erzähl es dem geduldigen Onkel Dr. Freud, 50 Jahre lang, mindestens, oder vollbring ein Werk, aber Josef Winkler macht das ja schon. Der leistet ja die Trauma-Arbeit für alle Betroffenen, für eine Generation, die ausstirbt, die neuen sind bestimmt freier. Oder?

Wie kapieren die dann das Abendland, das muss man ja intus haben, das ist ja keine Deko, Dornen, blutige Schweißperlen, ach wie gothic. Wie sollen sie denn verstehen, was eine Goldene Bulle ist oder ein Gang nach Canossa? Oder, schluck, wie sollen sie Gut und Böse unterscheiden? Jimkimlynn, was ist eine Tugend? Vielleicht werden sie uns einmal ganz böse behandeln, wenn wir ihr Gewissen nicht stimulieren? Ohne Sünden, geht das? Oder lassen sich einen rötlichen Bart wachsen und ziehen in einen Krieg. Und sagen, das sei wegen uns. Wir hätten sie in der Freiheit ausgesetzt und gemeint, sie könnten sich selber was ausdenken. Oder etwas auswählen im großen Supermanmarkt, einen netten Dalai Lama, hinter dem die Fratzen lauern, oder eine Naturreli-gion, oder die Natur als Religion. Der Vollmond, Bruder/Schwester Baum, zum Beispiel, es gibt so viele Möglichkeiten, auch das Nichts, oder einfach nichts, was auch nichts kostet. Schon schielen sie sehnsüchtig Richtung Taufbecken.

Sterbetag, Sterbestunde, die Touristen tappen ins Dunkel, blinzeln verwirrt, stehen stumm rum. Rein hier, raus hier!

Prosecco, Party, pronto!

Michèle Thoma
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