Die Monarchen aus der Nassau-Dynastie sind religiös. Vermutlich ist das naheliegend für Menschen, die die Verfassung „ein Symbol“ nennt

Royale Wiedergeburt

d'Lëtzebuerger Land du 03.10.2025

Er pflege eine „sehr gute“ Beziehung zu Erbgroßherzog Guillaume – dieser sei ein „tief religiöser Mensch, so wie auch sein Vater Henri“, betonte Erzbischof Jean-Claude Hollerich Mitte September im RTL-Background. Auf Wunsch von Prinz Guillaume wird am Sonntag im Rahmen der Thronübergabe ein Te Deum stattfinden; drei Lobgesänge sind zu diesem Anlass geplant. Insbesondere das Domine salvum fac soll die Machtübergabe musikalisch unterstreichen: Es enthält die Bitte an Gott, „unser Oberhaupt Guillaume zu beschützen“. Generalvikar Patrick Müller sieht darin das Christentum in einer langen Tradition: Der Apostel Paulus forderte in einem seiner Briefe zu Gebeten und Danksagungen auf – „für alle Menschen, für die Herrscher und für alle, die Macht ausüben, damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können“. Herrscher sollen demnach für Frieden und Stabilität in den Gebieten sorgen, in denen Christen leben.

„Dir hutt dem Land no bannen déi Rou ginn, fir kënne mat sech selwer eenz ze ginn an an Harmonie mat sech selwer ze liewen“, lobte CSV-Staatsminister Jean-Claude Juncker im Jahr 2000 Großherzog Jean bei dessen Abdankung. Anerkennend urteilte Juncker: „Dir hutt e Parcours ouni Feeler gemaach.“ Auch Historiker Gilbert Trausch kommentierte während der RTL-Übertragung der Amtsniederlegung, die großherzogliche Familie habe ein „perfektes Familienleben“ vorgelebt – „si waren ni an der Boulevardpress“. Wohl deshalb sei sie außerordentlich beliebt gewesen, so Trausch. Juncker bedankte sich zudem „im Namen aller Einwohner Luxemburgs“ bei Großherzog Jean für dessen ruhige Hand. Von seiner Intelligenz und seinem Können her, „hätt Dir villes kënne ginn, mee Dir hutt missen eisen Grand-Duc ginn“, und fügte hinzu: „Wëll d’Verfassung dat esou virschreift.“ Eine Verfassung, die zum Zeitpunkt der Thronbesteigung von Prinz Jean im Jahr 1964 festhielt, die „Person des König-Großherzogs“ sei nicht nur „unverletzlich“, sondern zugleich „heilig“. Ein Zusatz, den König-Großherzog Wilhelm der Dritte 1856 in die Verfassung aufnehmen ließ und der bis 1997 erhalten blieb. Erst dann forderte der CSV-Abgeordnete Georges Margue eine Verfassungsrevision: Der Großherzog sei weder ein Gesalbter, noch sei seine „Heiligkeit“ mit besonderen Vorrechten verbunden. Mit 58 Stimmen beschloss das Parlament schließlich die Entsakralisierung des Staatsoberhaupts; lediglich die beiden grünen Abgeordneten François Bausch und Camille Gira enthielten sich. Bis kurz vor der Jahrtausendwende stand in der post-industriellen, modernen Dienstleistungsgesellschaft des kleinen Großherzogtums ein „Heiliger“ an der Spitze.

Welchen Glauben pflegt der als „tief religiös“ beschriebene Guillaume? Aus Kirchenkreisen heißt es, er stehe „in der katholischen Tradition seiner Familie“. Eindruck habe er hinterlassen, als er 2005 unerwartet „wie ein gewöhnlicher Pfadfinder mit Rucksack“ auf dem Weltjugendtag in Köln gesichtet wurde (damals unter Papst Benedikt XVI.). Durch seine Mutter sei er zugleich mit dem charismatischen Katholizismus vertraut – einer Glaubensrichtung, bei der die persönliche Erfahrung des Heiligen Geistes im Vordergrund steht, insbesondere durch sogenannte Charismen wie Prophetien und Heilungsgaben. Anfang September erzählte Maria Teresa der französischen Illustrierten Paris Match, dass eine große Leere und Schmerz sie heimgesucht hätten, als sie fern ihres Heimatlandes Kuba aufwachsen musste. Völlig unerwartet sei sie Großherzogin von Luxemburg geworden, und damit zu einem nationalen Symbol. Aber ein solches Symbol könne „nur dann dienen, wenn es wirklich verkörpert ist. Durch einen Dienst, durch Anliegen, durch etwas Tieferes“, sinnierte sie im Juni in einem Dokumentarfilm über die 25-jährige Regentschaft. Maria Teresa kümmert sich um die Verwundeten, Verstoßenen, Verletzten.

Als inkarniertes Symbol kann sie zuweilen das Charisma der Heilkraft wirken lassen. Vor einem Stand-Up-Speak-Up-Forum im Jahr 2019 hätten die eingeladenen Frauen ihr von ihrem Schicksal berichtet. Dabei habe sie gespürt, „wie zerstört“ die Frauen innerlich waren. Doch nachdem sie ihre Geschichten mit der Großherzogin geteilt hatten, „haben wir plötzlich zusammen gesungen, getanzt und gelacht“, berichtete Maria Teresa dem Télécran. Es sei „unglaublich beflügelnd, wenn man einen solchen Wandel miterleben darf“. Wie es dazu kam, wollte die Télécran-Journalistin wissen, und die Großherzogin wusste es: „Angesprochen auf die Kraft, die sie plötzlich ausgestrahlt haben, meinten die Frauen, dass bislang noch keine Person vergleichbaren Standes sie eines solchen Blickes gewürdigt habe.“ Dem großherzoglichen Körper wohne eine tröstende Kraft inne, meint auch Großherzog Henri. Wenn er auf Menschen zugehe, die „mit Schwierigkeiten kämpfen, Arme oder Behinderte“, dann würden „sie sich aufgewertet fühlen“, schilderte er in La Libre.

Mag das soziale Engagement des Paares nicht unsympathisch sein, sorgen andere religiöse Aspekte für Stirnrunzeln. Im Sommer 2014 sprach sich Maria Teresa bei der Sommerakademie Acteurs d'Avenir in Fontainebleau gegen die Ehe für alle aus, wie Reporter berichtete. Vor zwei Jahren heiratete Prinzessin Alexandra Nicolas Bagory, der für den katholischen Verlag Première Partie arbeitete und dort seit 2021 das von Stéphane Bern 1985 gegründete Adelsmagazin Dynastie neu auflegte. Die Hochzeitsmesse wurde in Bormes-les-Mimosas vom zuständigen Ortsbischof Dominique Rey mitzelebriert. Ein Bischof, von dem seit zwei Jahrzehnten bekannt ist, dass er wissentlich mindestens einen pädophilen Priester in seine Diözese aufgenommen hat, sowie Gemeinschaften duldete, die offene Flanken für sexuelle Übergriffe nicht angehen. Seit 2015 wurde außerdem über seine Treffen mit Rechtsextremen berichtet. Dossierkenner teilten Reporter mit, Rey sei die erste Wahl der großherzoglichen Familie gewesen, was der Hof allerdings bestreitet. Man habe sich gewünscht, dass Kardinal Hollerich die Trauung durchführe, dieser aber habe zu dem Zeitpunkt die Eröffnung der Oktave geleitet. Dominique Rey wurde schließlich Ende 2024 nach einer Untersuchung des Vatikans von Papst Franziskus zum Rücktritt aufgefordert.

Großherzog Jean war nicht nur „heilig“, er zählte 1964 zugleich auf Gottes Beistand. Bei seiner Vereidigung sagte er den Zusatz: „so wahr mir Gott helfe“. Auf diesen verzichteten sowohl Henri im Jahr 1998 als auch sein Sohn Prinz Guillaume im vergangenen Jahr. Auf Wunsch der Regierung wurde auch in seinem offiziellen Titel die Formulierung „par la grâce de Dieu“ gestrichen. Die Entsakralisierung der Monarchie sollte voranschreiten; unter Henri sollte Religion zunehmend in den privaten Bereich verlagert werden. Doch die Trennung von Kirche und Politik stieß 2008 an ihre Grenzen, als sich Henri aus Gewissensgründen weigerte, das vom Parlament verabschiedete Gesetz zur aktiven Sterbehilfe zu unterzeichnen. Der Großherzog reiste eigens nach Rom, um sich in einer Privataudienz von Papst Benedikt XVI. beraten zu lassen; ein Schritt, den der damalige CSV-Premier Jean-Claude Juncker als „unannehmbar“ kritisierte. Um eine politische Krise zu verhindern, schlug unter anderem der CSV-Abgeordnete und Verfassungsexperte Paul-Henri Meyers eine Verfassungsänderung vor – seither ist es dem Großherzog nicht mehr erlaubt, Gesetze zu „ratifizieren“. Vor zwei Wochen war sich Erzbischof Jean-Claude Hollerich sicher, Guillaume werde Religion und Politik nicht vermengen; er wisse diese Ebenen zu unterscheiden. Zugleich analysierte er einige Minuten zuvor, Religion sei keine private Angelegenheit, weil es sich hierbei um die öffentliche und institutionalisierte Form von Glauben handele. Womit Bischof Hollerich bekräftigt, dass Adel und Kirche nicht auf völlig getrennten Pfaden wandeln; das Institutionen-Duo könnte demnach für weitereÜberraschungen sorgen.

Der Bischofvikar und Kirchenhistoriker Georges Hellinghausen betonte diese Woche in einer RTL-Reportage erneut die Religiosität der luxemburgischen Monarchen: „D’Marie-Adelheid war ganz staark reliéis, d’Charlotte och, de Jean, den Henri an och de neie Groussherzog Guillaume. Si sinn all reliéis – dat ass typesch fir hir ganz Famill.“ Vielleicht hilft ihre Religiosität ihnen eine innere Legitmiation zu finden. In einer Demokratie dürften sich blaublütige, durch Erbschaft Auserkorene gelegentlich als Fremdkörper fühlen. Da kommt es vermutlich gelegen, sein Schicksal über den Umweg der Transzendenz neu zu verorten.

Katholizismus und Monarchie waren im Großherzogtum nicht immer verzahnt. An der Wende zum 20. Jahrhundert konvertierte die großherzogliche Familie zum Katholizismus, und zwölf Jahre später erhielt das Land mit Marie-Adelheid erstmals ein katholisches Staatsoberhaupt. Zuvor hatte der Protestantismus der Monarchen einen konfessionellen Graben zwischen Volk und Dynastie aufgeschlagen, wie der Historiker Pit Péporté in Das Jahr 1919 als Wendepunkt festhält. Durch die religiöse Konversion war es der großherzoglichen Familie fortan möglich, an den Liturgien im Rahmen der Oktav-Wallfahrt teilzunehmen und sich in der Kathedrale bestatten zu lassen. Marie-Adelheids Herrschaft legte überdies das Fundament für eine Union von Adel, Altar und Rechtspartei (die Vorgängerin der CSV). Sie mischte sich mit ungewohntem Elan in die parlamentarische Politik ein und entschied 1915, die liberal-sozialdemokratische Regierung aufzulösen und durch eine konservative Regierung ohne parlamentarische Mehrheit zu ersetzen. Da sich die Monarchin im Ersten Weltkrieg zudem deutschfreundlich zeigte, besaß sie keinen Rückhalt mehr und musste 1919 abdanken. Ihre Schwester Charlotte übernahm daraufhin das Amt.

In der Zeit des Zweiten Weltkriegs kam es zu einer regelrechten Verschmelzung des Muttergottesbildes der Kathedrale mit Großherzogin Charlotte; sie wurden zu einem Totem mit nationaler Ausstrahlungskraft. In der Vorstellung vieler Katholiken entstand eine innige Verbindung zwischen der Monarchin und der Trösterin der Betrübten; zwei Frauen, die Schutz gewähren sollen: An die russische Front wurden Sterbebildchen versendet, auf denen beide nebeneinander abgebildet waren. Der angehende Großherzog Guillaume wünschte sich laut Maler Roland Schauls eine Referenz auf Charlotte in seinem Porträt. Um eine dezente Anspielung unterzubringen, entschied sich der Künstler dafür, die als Charlotte-Rosen bekannten roten Blumen neben dem Prinzen abzubilden. Als Nachkomme einer siebenhundert Jahre alten Kriegerkaste pflegt Guillaume den Ahnenkult. Vor vier Jahren vernahm der Publizist Victor Weitzel, dass sich Henri gemeinsam mit dem Erbgroßherzog vor dem Grab seines Vorfahren Adolf von Nassau – deutscher König von 1292 bis 1298 – im Dom von Speyer verneigt habe.

Für den Thronwechsel wird die dynastische Herkunft erneut symbolisch-modisch hervorgehoben: Prinz Guillaume, Absolvent der Militärakademie Sandhurst, wird seine olivgrüne Paradeuniform tragen, die seinen Status als Oberbefehlshaber der luxemburgischen Armee ausdrückt (ein Rang, der mittlerweile jedoch rein zeremonieller Natur ist). In seinem Kleiderschrank hängt außerdem seine dunkelblaue Uniform, die mit zahlreichen Abzeichen der Nassauer Dynastie geschmückt ist. Guillaume trug sie bei seiner Hochzeit mit Prinzessin Stéphanie vor 13 Jahren. Perpetuum royale, die großherzogliche Institution soll unsterblich sein; sie wird nur temporär unterschiedlich inkarniert. Dass seine Familie einer anderen zeitlichen Logik unterliegt, daraus macht Henri kein Geheimnis. In einem Interview sagte er zu Stéphane Bern, Politiker seien durch Wahlen „den Unwägbarkeiten der öffentlichen Meinung unterworfen“. Seine Adelsklasse aber habe Zeit.

In dem im 19.Jahrhundert veröffentlichten Golden Bough werden quer durch die Geschichte Herrschaftsrituale von einfachen Gesellschaften sowie vergangenen Zivilisationen dokumentiert. Ein recht sonderbares Buch von dem Anthropologen James Frazer, weil es einerseits in der für seine Zeit typischen evolutionistischen Perspektive die Spiritualität anderer Kulturen belächelt, sie zugleich aber narrativ-stilistisch aufwertet. Er beschäftigt sich mit Menschen, die „den Geist des Korns“ in Tieren, Menschen oder Bildnissen bewahrten. Dabei gelangte er zu dem Schluss, dass Priesterkönige für die Fruchtbarkeit ihres Landes verantwortlich gemacht wurden; ein Umstand, der eine Vielzahl ritueller Praktiken begründete. Im Zentrum dieser Rituale und Mythen stand meist ein Gott oder ein vergöttlichter Sterblicher, der stirbt oder geopfert wird. Frazer schreibt: „Die Menschen stellten sich nun das Wachstum und den Verfall der Vegetation, die Geburt und den Tod lebender Geschöpfe als Auswirkungen der zu- oder abnehmenden Kraft göttlicher Wesen vor, von Göttern und Göttinnen, die geboren wurden und starben, die heirateten und Kinder zeugten – nach dem Muster des menschlichen Lebens.“ Unter Namen wie Osiris, Tammuz, Adonis oder Attis wird die Neubelebung von Völkern ausgehandelt. Es sind Mythen, die das Vergehen und Wiederaufblühen der Vegetation dramatisieren – die zyklisch zu- oder abnehmende Kraft göttlicher Wesen wurde dabei mit landwirtschaftlicher Vitalität verknüpft.

Irgendwann komme in Monarchien der Moment, an dem das Volk äußere: „Et wier awer elo gutt, wann ee Wiessel géif kommen“, sagte Verfassungsrechtler Luc Heuschling am Dienstag im RTL-Radio. Dieser Punkt schien irgendwann während der Untersuchungen des Finanzexperten und Sonderbeauftragten Jeannot Waringo erreicht; die Vitalität und Stabilität des Hofes schien zu bröckeln. Kümmern tut sich ein zeitgenössischer Großherzog nicht mehr um die Landwirtschaft, das Wachstum der Pflanzen, sondern ganz allgemein um die Wirtschaft. Er reist nach Dubai, Seoul und Osaka, um als PR-Vorteil, als Nation-Branding-Logo und Türöffner zu fungieren. Die Kraft der monarchischen Institution muss erneuert werden, um für den Investitionsstandort Luxemburg zu werben. Der großherzogliche Körper wird an diesem Wochenende neu geboren. Unterschriften, Eidesformeln, Drohnenshows, Pomp und Te Deum rahmen die Erneuerung des Thrones zeremoniell, um Kontinuität herzustellen. In diesem Sinne sei der 3. Oktober kein historischer Tag, urteilte der Historiker Michel Pauly vor einer Woche im Radio 100,7. Er habe bereits zwei Thronwechsel erlebt und könne nicht feststellen, „dass sich dadurch etwas Wesentliches an der Geschichte unseres Landes“ verändert habe. „An dat ass och gutt esou.“

Stéphanie Majerus
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