Würde die CSV das wirklich wollen, dann könnte sie der LSAP-Gesundheitsministerin politisch ganz gehörig an den Karren fahren. Denn es stimmt ja: Über die Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung, wie sie der Koalitionsvertrag ankündigt, die Vernetzung der Klinikmedizin mit einem „secteur extrahospitalier“, den es so noch gar nicht gibt, hat Paulette Lenert noch keine politische Vision nach draußen vermittelt. Genauso wenig wie etwa über die Prävention in einem „Plan national Santé (...) qui définira le cadre de l’action publique en matière de santé pour les années à venir“, wie der Koalitionsvertrag auf Seite 93 festhält.
So leicht hätte die CSV es, dass der seit dem Corona-Ausbruch neue gesundheitspolitische Sprecher ihrer Fraktion, Claude Wiseler, das übernehmen könnte, obwohl er bis dahin mit Gesundheitspolitik nichts zu tun hatte. Zu jedem Covid-Gesetz jedoch erwies Wiseler sich als so belesen, dass ihm zuzutrauen wäre, sich auch in die komplexe Materie von Gesundheit und Krankenversicherung einarbeiten und anschließend politische Attacken reiten zu können. Doch das tat er nicht, als die Abgeordnetenkammer am 11. März zum Thema „virage ambulatoire“ eine stundenlange Debatte führte, die auch Ärztehäuser und Ärztegesellschaften berührte. Er kritisierte Paulette Lenert zwar, war aber kaum angriffslustiger als die Sprecherin der DP-Fraktion. Er hätte auch anders gekonnt.
Wer dahinter strategisches Kalkül vermutet, dürfte richtig liegen. Anfang nächsten Jahres beginnt der informelle Wahlkampf. Der CSV ist die Rückkehr an die Macht schon jetzt wichtiger als politische Punktgewinne aus der Opposition heraus im Einzelthema Gesundheit. Denn die Rückkehr an die Macht könnte in einer Koalition mit einer LSAP gelingen, die mit Paulette Lenert als Spitzenkandidatin in die Wahlen ginge; Paulette Lenert, die nicht gerade dem OGBL nahesteht und sich früher auch vorstellen konnte, der CSV anzugehören. Die LSAP wiederum sähe die in Umfragen populärste Politikerin des Landes nur zu gerne als Premierministerin, und wieso nicht in einer LSAP-CSV-Regierung. Notfalls wird die Koalition auch CSV-LSAP heißen dürfen. Die strategische Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit.
Das zeigt sich auch beim Umgang der Ministerin mit dem Magnetresonanztomografen, der unlängst im Centre médical Potaschberg in Betrieb genommen wurde, obwohl sie das 14 Tage vorher schriftlich untersagt hatte. Statt die Radiologie in der Arztpraxis umgehend schließen zu lassen, versprach sie, nach einer „pragmatischen Lösung“ zu suchen. Denn was würden andernfalls die Leute im Osten denken, denen die Abgeordneten Léon Gloden von der CSV, Carole Hartmann von der DP, aber auch Tess Burton von der LSAP schon seit längerem erzählen, wie „stiefmütterlich“ ihre Gesundheitsversorgung sei?
Es ist deshalb auch wenig wahrscheinlich, dass über die IRM vor dem Verwaltungsgericht gestritten werden könnte. Zwar schickte die Arztpraxis am Montag eine Mitteilung an die Presse, in der sie „a kuerze Wierder e puer juristesch Prézisiounen“ anbringen wollte, um zu zeigen, dass die IRM „nullement an der Illegalitéit“ sei. Auf zweieinhalb A4-Seiten wurde eine juristische Argumentation auf Luxemburgisch entwickelt, die die deutschen Ärzte vom Groupement d’intérêt économique Centre médical Potaschberg kaum überblicken dürften.
Das sei ein Kommunikee, das sie eher an ein Plädoyer vor Gericht erinnere, bemerkte Paulette Lenert am Tag danach beinah belustigt. Als frühere Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts kann sie das einschätzen. Aber vielleicht hat der Grevenmacher Bürgermeister Léon Gloden, der große Unterstützer der Arztpraxis mit IRM und einer der Rechtsanwälte auf der CSV-Oppositionsbank, sich ja das Vergnügen gemacht, die Interpretation selber zu schreiben. Und die Ministerin und Ex-Richterin las sie gerne. Wissend, dass irgendwann schon pragmatisch Klarheit geschaffen wird um die Radiologie. Und wissend, dass die größte Oppositionspartei es darauf abgesehen haben mag, ihr eine politische Niederlage zu bereiten, aber ihr nicht ernsthaft schaden will.