Die Kriminalkammer wird befasst

Motivforschung

d'Lëtzebuerger Land du 27.01.2012

Die Entscheidung der Ratskammer des Berufungsgerichts vom Mittwoch, die Kriminalkammer mit der Bommeleeërten-[-]Affäre zu befassen, mag für Zwanzig- und Dreißigjährige klingen, als ob demnächst ein Mordprozess um den Tod des Gauleiters stattfinden sollte. Aber auch nach einem Viertel Jahrhundert ist der Prozess um die Anschlagserie der Achtzigerjahre notwendig.

Es geht selbstverständlich zuerst um den höchst ehrbaren Versuch, die Schuld oder Unschuld von Verdächtigen zu klären und so allen Beteiligten zu ihrem Recht zu verhelfen. Daneben bemüht sich die Justiz, das durch die ungesühnten Verbrechen erschütterte Vertrauen in die Justiz zu stärken, also die unsterbliche Volksweisheit zu entkräften, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt. Die Verbrechen stören in diesem Fall das Rechstempfinden um so mehr, als die Serie von Bombenanschlägen den Terrorismusdefini[-]tionen in all den internationalen Konventionen entspricht, welche das Parlament nicht müde wird zu ratifizieren. Einerseits seit einem Jahrzehnt sorgsam Terrorismushysterie zu schüren und andererseits Terrorakte als Folkloreelemente herunterzuspielen und dem Vergessen anheim fallen zu lassen, erscheint aber widersprüchlich.

Vor allem war die als nationaler Pop-Mythos belächelte Bommeleeërten-Affäre spätestens dann zu einer „Staatskrise“ geworden, wie DP-Präsident Claude Meisch sich ausdrückte, als der Staatsanwalt sie nach der formellen Beschuldigung von zwei Verdächtigen vor vier Jahren öffentlich für aufgeklärt erklärt hatte. Dass die Anschläge nicht auf das Konto fremder Gotteskrieger oder politischer Splittergruppen, sondern auf das Konto einer Eliteeinheit der Gendarmerie gingen, hat ihm falsch zu machen sich bis heute erstaunlicherweise niemand richtig bemüht. Dagegen braucht man sich nur daran zu erinnern, wie der Justizminister schweren Herzens gleich die halbe Polizeispitze wegen Behinderung der Justiz absetzen musste; wie der parlamentarische Kontrollausschuss dem Nachrichtendienst in einem eilig ausgestellten Persilschein bloß flagrante Unfähigkeit bescheinigte; wie zuvor der Premierminister persönlich dem Staatsanwalt die Botschaft überbracht hatte, dass ein Zeuge ausgerechnet den Bruder des Großherzogs an einem Tatort erkannt haben wollte …

Der nun von der Ratskammer in zweiter Instanz beschlossene, nach einem Viertel Jahrhundert doch noch stattfindende Prozess ist aber vor allem aus einem Grund notwendig: Damit der blinde Fleck in der ansonsten sorgsamen Beweisführung der Untersuchungsrichterin und des Staatsanwalts nicht mehr länger ignoriert werden kann – nämlich das für die Aufklärung und Bestrafung einer Straftat alles andere denn unerhebliche Tatmotiv. Wundersam ist es schon, wie selten in den ungezählten Einlassungen von Politikern, amtlichen und Hobby-Detektiven zu den Verbrechen nach dem Motiv gefragt wird.

Dass der Terrorismus der Achtzigerjahre so schwer aufzuklären war und in weiten Teilen der Öffentlichkeit und des Sicherheitsapparats als Kavaliersdelikt angesehen oder vertuscht wurde, erklärt sich damit, dass er nicht vom extremistischen Rand, sondern aus der gutbürgerlichen Mitte der Gesellschaft kam. Aber bisher blieben die Ermittlungsbehörden zumindest öffentlich jede halbwegs ernsthafte Erklärung schuldig, weshalb staatlich vereidigte und besoldete Fachleute anderthalb Jahre lang mit System eine Strategia della tensione verfolgten, Menschenleben in Gefahr brachten, Millionenwerte zerstörten und die Autorität des Staates untergruben.

Romain Hilgert
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