D’Walfer Neidierfchen 1940-1945. Ein Luxemburger Wohnviertel während der „dunklen Jahre“ (II)

„De’ Walefer Médecher“: Streik in der LBA

d'Lëtzebuerger Land du 28.08.2020

„Du go’w am allerklengste land
De’ allergre’sste grèv gemat; […]
E gliddge freihêtsquonk och fo’l
Zo’ Walefer an d’normalscho’l.“

Mit diesen Zeilen führt der Primärschullehrer und Heimatdichter Théodore Wies in die zentrale Thematik seines im Januar 1947 abgeschlossenen Vers-
epos „De’ Walefer Médecher“ ein, ein literarischer Beitrag, der den Streik der im Walferdinger Schloss angesiedelten Lehrerinnenbildungsanstalt (LBA) während des „Generalstreiks“ von August-September 1942 gebührend würdigen soll. Abgedruckt wurden die 17 sechszeiligen Strophen in der von der Ligue Luxembourgeoise des Prisonniers et Déportés politiques herausgegebenen Zeitschrift Rappel (Rappel 1947: 38-41) mit dem folgenden Untertitel: „No engem artikel aus dem ‘RAPPEL’: ‘Erziehungslager Marienthal’ vum Josette Manternach“ (Manternach 1946: 22-26).

Manternachs Erinnerungs- und Zeugenbericht sowie die poetische Verarbeitung durch Wies haben uns bewogen, den Solidaritätsstreik der Lehramtsanwärterinnen vom 2. September 1942 und die damit verbundenen repressiven Maßnahmen seitens des CdZ (Chef der Zivilverwaltung) im Rahmen unserer sporadisch erscheinenden Artikelserie über das Walferdinger Wohnviertel „Neidierfchen“ während des Zweiten Weltkrieges zu behandeln.

„Generalstreik“ und „Walferdinger Schulstreik“, August-September 1942

Ein Jahr nach Kriegsende, vier Jahre nach den antinazistischen Streikbewegungen vom Spätsommer 1942, schilderte Junglehrerin Josette Manternach im Rappel ihre Beteiligung am Walferdinger Schülerinnenstreik und ihren Strafaufenthalt im Erziehungslager Marienthal an der Ahr. Dabei hält sie in ihrer Einführung fest: „T‘war den 2. september 1942. An der ‘Lehrerinnenbildungsanstalt’ zu Walfer geseit èn trotzeg, verbattert gesîchter.“ In der darauffolgenden Szene, die sich in Anwesenheit des deutschen Direktors der LBA Alois Brocher vor der Klasse abspielt, hebt Manternach erneut die trotzige Haltung der Schülerinnen hervor: „[A]n eise gesîchter kann hén d’äntwert liesen: ‘Ewell gêt et duer! Dir hut eis arem kleng Hêmecht de’f an d’hêrz getraff. Dach grât elo erhiewt se sech ge’nt iech, we’ nach nie!’“ (Manternach 1946: 22)

Diese erinnerte Faktizität vermittelt die frühere Schülerin der LBA in einer vom patriotischen Zeitgeist der frühen Nachkriegszeit emotional geprägten Sprache, wobei sie den vom 31. August bis zum 4. September 1942 dauernden „Generalstreik“ gegen die nationalsozialistische Besatzungsordnung des CdZ erst ganz zum Schluss ihres Textes mit der Formulierung „märtyrer vum streik“ erwähnt. Im Gegensatz zu Manternach führt der für seine „vaterländische Poetik“ (Claude Conter, Autorenlexikon) bekannte Théodore Wies in seinem Erzählgedicht in die zentrale Thematik des Schülerinnenstreiks ein, indem er zuerst auf den „Generalstreik“ hinweist, ohne dabei jedoch Ursachen oder Beweggründe der Streikbewegungen anzuführen: „Du go’w am allerklengste land / De’ allergre’sste grèv gemat.“

Wies scheint in seinem Erzählgedicht metakausale Andeutungen vorzuziehen, die einen religiös angereicherten Kleinstaat-Nationalismus erkennen lassen. So zum Beispiel in der ersten Strophe:

„Am Joer zwêave’erzeg
Huet stolz fir d’Letzeburger sâch
Zo’ Walefer geaffert sech,
Am herz en he’jen, hellgen hâss,
Vu brawe médercher eng klass.“ (Wies 1947 : 38)

Im Unterschied zu Manternachs Text oder Wies’ Gedicht scheint es uns im Rahmen unserer mikrohistorischen Studie unerlässlich, kurz auf die Beweggründe und den Ablauf des „Generalstreiks“ einzugehen (Rappel 1972; Dostert 1985; Hohengarten 1991; Büchler 2017).

Als am 30. August 1942, am „Fouersonndeg“, der Gauleiter des Mosellandes und Chef der Zivilverwaltung in Luxemburg, Gustav Simon, bei einer Großkundgebung in den Limpertsberger Ausstellungshallen „die allgemeine Wehrpflicht in Luxemburg zusammen mit der Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit“ verkündete (Dostert 1985: 175), wurde damit eine de facto Zwangsrekrutierung der Luxemburger jungen Männer eingeführt, die zuerst die Geburtsjahrgänge 1920 bis 1924 betraf und später ebenfalls die Jahrgänge 1925, 1926 und 1927 erfasste (Büchler 2017: 15-16).

Diese Ankündigungen kamen nicht unerwartet. Schon am 23. August hatte das Reichsgesetzblatt eine Verordnung über die Verleihung der deutschen Staatsbürgerschaft an Elsässer, Lothringer und Luxemburger abgedruckt. Und am 25. beziehungsweise am 29. August wurde in den beiden anderen CdZ-Gebieten Elsass und Lothringen die Einführung der Wehrpflicht proklamiert. Auf Anordnung von Gauleiter Simon wurde alles unternommen, um den diesbezüglichen Nachrichten- und Informationsfluss aus diesen beiden Regionen an der Grenze zu Luxemburg zu stoppen und die Veröffentlichung des Gesetzes über die Zwangszuweisung der deutschen Staatsbürgerschaft im ganzen Gau Moselland bis zum 30. August zu verhindern (Dostert 1985: 175; Büchler 2017: 16).

Doch ungeachtet dieser Maßnahmen gelangten Nachrichten nach Luxemburg. So konnte ein Exemplar des Reichsgesetzblattes vom 23. August, welches für das Friedensgericht in Wiltz bestimmt war, am 27. August 1942 im Postamt abgefangen und kopiert werden. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass trotz spärlicher Informationen die Verbreitung von Gerüchten sowie eine gezielte Flüsterpropaganda über vermutete Pläne des CdZ dazu beitrugen, in der luxemburgischen Bevölkerung tiefes Misstrauen gegenüber der angekündigten Großkundgebung in Limpertsberg zu wecken (Hohengarten 1991: 16).

Diese Begebenheiten dürften genug Erklärungsmomente liefern, um die prompten, vielfältigen und vielschichtigen Reaktionen innerhalb der luxemburgischen Gesellschaft auf die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu erfassen. Schon am Sonntagabend des 30. August, ein paar Stunden nach der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht, „stimmen sich überall im Land ‘Streikende’ ab, beschließen eine Geste, die ihre Opposition gegen die neuen Verordnungen in den kommenden Tagen zum Ausdruck bringen soll“ (Büchler 2017: 16). Und am darauffolgenden Tag, am 31. August, begann eine Welle von Protesten und diversen Streikbewegungen, die erst am 4. September zum Erliegen kam.

Diese Aktionen verteilten sich, so der Historiker André Hohengarten, auf alle Regionen des Landes und nahmen „verschiedene Formen [an], wie Arbeitsniederlegung, Schließung der Geschäfte, Milchstreik, Schüler- und Lehrerstreik, Rückgabe der VdB-Karten, Nichttragen des VdB-Abzeichens, Singen verbotener patriotischer Lieder, Verweigerung des deutschen Grußes“ (Hohengarten 1991: 19). Wobei die von Hohengarten ganz zum Schluss aufgezählte Protestform eine beim „Generalstreik“ stark verbreitete Aktion darstellte, die in unserer mikrohistorischen Studie über den Streik der Lehramtsanwärterinnen der LBA-Walferdingen eine initiale, wie auch zentrale Stelle einnimmt.

Ablauf des Streiks der Lehramtsanwärterinnen

Abgesehen von Wies’ Gedichttext können wir neben dem aus der frühesten Nachkriegszeit stammenden Erinnerungstext von Josette Manternach, der zuerst 1946 im Rappel, späterhin im Jahre 1972 in der Sondernummer „La Grève de 1942“ des Rappel mit zwei Auslassungen wiederveröffentlicht wurde (Manternach 1972: 408-412), auf eine weitere Zeugenquelle zum Ablauf des Schülerinnenstreiks in Schloss Walferdingen zurückgreifen. Es handelt sich dabei um den in deutscher Sprache verfassten Text „Streik in der Lehrerinnenbildungsanstalt Walferdingen“, welcher von der Schulinspektorin und früheren Lehramtsanwärterin an der LBA Jeanne Schneider 1993 im Sammelband … Wéi wann et eréischt haut geschitt wier! … publiziert wurde. Schon ein Jahr früher hatte sie in der „Sonderbeilage: 50 Joer Zwangsrekrutéierung 30. August 1942“ im Luxemburger Wort ihre Erinnerungen zum „Streik in der Lehrerinnenbildungsanstalt Walferdingen“ vorgestellt (Schneider 1992: 14; 1993: 99-103).

Ihre Erinnerungen an den 40 Jahre zurückliegenden Streik in der im Schloss Walferdingen angesiedelten LBA beginnt Schneider direkt mit der folgenden entscheidenden Szene: „Plötzlich flog die Tür des Klassenzimmers IIe B auf. Herein trat der deutsche Direktor Brocher. Er grüßte mit dem Nazi-Gruß. Wir standen auf und blieben stumm. Dann sagte der Direktor: ‘Jetzt werde ich jede einzelne von euch fragen, ob ihr bereit seid, in Zukunft den deutschen Gruß zu machen und euch der deutschen Ordnung zu unterstellen.’ Die Antwort jeder Studentin unserer Klasse war: ‘Nein’. Der Direktor verkündete uns sofort seinen Entscheid: ‘Von mir aus seid ihr fristlos entlassen. Ihr werdet in keine andere Lehrerinnenbildungsanstalt mehr aufgenommen werden. Ich werde jetzt dem Gauleiter die Sache weitergeben’“ (Schneider 1993: 101).

Ergänzen wir nun Schneiders Zeugnis von Anfang der 1990er Jahre mit dem Erlebnisbericht ihrer Schulkameradin Josette Manternach aus dem ersten Friedensjahr nach dem Zweiten Weltkrieg: „Siewenanzwanzegmol kritt hén d’äntwert ‘Nein’. – ‘So, ich übergebe jetzt eure Namen der Sicherheitspolizei. Für zwei Uhr habt ihr die Schule zu verlassen!’ – An der e’schter klass hât hén de’ selvecht nidderlâg. Mir waren du aus der ‘Gemeinschaft’ ausgeschloss. De’ eng preisen hun eis voll hâss bekuckt, de’ aner hu verächtlech gegrinst, nach anerer wollten eis bemattléden. Mè si sinn eis jo neischt me’ ugang. ‘Morgen werden sie schon Katzenjammer haben’, sôt de Brocher. ‘Ich sehe sie schon in ihrer Blutlache da liegen’“ (Manternach 1946: 22).

Schneider und Manternach stellen jede auf ihre eigene narrative Art und Weise die Verweigerung des deutschen Grußes und die damit verbundene Nichtanerkennung der nationalsozialistischen Ordnung im besetzten Luxemburg in den Mittelpunkt der Geschehnisse an der Walferdinger Lehrerinnenbildungsanstalt. Und beide Zeuginnen erinnern sich an die ausgesprochenen Androhungen sowie an die unverzüglich angewandten repressiven Maßnahmen des reichsdeutschen, nationalsozialistisch gesinnten Direktors, der die LBA seit Frühjahr 1942 leitete.

Schneider lässt sogar in ihren Bericht folgende schwer überprüfbare Äußerung einfließen: „Der Gauleiter soll auf den Gedanken gekommen sein, die rebellischen Studentinnen erschießen zu lassen. Unser deutscher Pädagogikprofessor, Herr Reißner, soll aber dann für uns eingetreten sein und den Gauleiter auf die Folgen eines solchen Schrittes aufmerksam gemacht haben: ‘Wenn Sie Kinder erschießen, wird das ganze Land in Aufstand geraten’“ (Schneider 1993: 101).

Zum Glück sah der CdZ davon ab, die minderjährigen streikenden Lehramtsanwärterinnen vor das Standgericht zu stellen, welches zwischen dem 2. und 9. September zwanzig am Generalstreik beteiligte „Rädelsführer“ zur Todesstrafe verurteilte. Streikende Schüler oder Schülerinnen hingegen liefen Gefahr, von der „Stapo“ in Sicherheitsgewahrsam gebracht zu werden. Eine auf den 1. September 1942 datierte Abschrift, die höchstwahrscheinlich durch Oberschulrat Hans Lippmann, Leiter der Abteilung „Schulwesen“ des CdZ, veranlasst wurde und für das „Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD“ bestimmt war, enthält folgende Anweisungen: „Ich bitte, folgende Schüler und Schülerinnen in Luxemburg zu verhaften“ und: „Außerdem bitte ich folgende Lehrkräfte zu verhaften“ (ANLux, CdG-028, 0040).

Aufgelistet und zugeordnet werden die Namen der Schüler und Lehrkräfte nach der jeweiligen „Oberschule“. Dabei fällt auf, dass die Abschrift auch die Namen von sechs Schülerinnen der Lehrerinnenbildungsanstalt Walferdingen anführt. Eine dokumentarische Begebenheit, die wir eigentlich so nicht erwartet haben, wurde doch die Abschrift nicht nach dem „Walferdinger Streik“ vom 2. September, sondern schon am Vortag, also am 1. September angefertigt. Oder handelte es sich bei den geplanten sechs Verhaftungen um eine repressive Maßnahme gegen Protestaktionen an der LBA, die sich schon am 1. September ereigneten?

Wobei andererseits hervorzuheben ist, dass nach dem Schulstreik Jeanne Schneider verhaftet wurde, deren Name nicht in der Abschrift vom 1. September zu finden ist. Fünfzig Jahre nach dem „Generalstreik“ kommt Schulinspektorin Schneider auf die September-Ereignisse des Jahres 1942 zurück: „Mit 16 Jahren verbrachte ich eine Nacht im Escher Gefängnis. Am frühen Morgen wurde ich unter Bewachung von zwei Polizisten nach Luxemburg in den Karmel geführt, aus dem die Schwestern vertrieben worden waren und in dem sich die Hitlerjugend eingenistet hatte. Dort stieß ich zu meinen Kolleginnen, die durch eine massive Zusammenführung per Bus quer durch das Land zum Karmel gebracht worden waren“ (Schneider 1993: 101).

Zu Schneiders Schulgefährtinnen, die nach dem vom Schuldirektor angeordneten Verlassen der LBA ihr Zuhause aufsuchten, zählte auch Josette Manternach. Detailreich beschreibt sie den von ihr erlebten ereignisreichen Ablauf der ersten zwei Tage nach dem Schulstreik: „Mir waren ewell schon én dâg dohém. […] Ge’nt siewen auer owes kommen zwe’ polizisten no mir froen. Ech misst gleich matkommen, ech sollt fir drei wochen wäsch mathuelen. Eng ve’erel-stonn duerno setzen ech am bureau vun der gendarmerie.“ Den weiteren Verlauf ihrer Festnahme beschreibt die aus Grosbous stammende Schülerin folgendermaßen:

„No zwo’ stonnen hält e gro’ssen autocar virun der gendarmerie. T’sin zwe’ polizisten dran an och ewell eng vu menge komerodinnen. Mir fueren du ze soen, vun enger e’sleker gendarmerie zur anerer. Op all statio’n kommen der zwé oder drei derbei! D’strôssen si bewâcht. Den auto get fofzengmol ugehâl. Vun Elwen fuere mer iwer Ho’sen, Dikerech, Ettelbreck an d’stâd.“ Manternach lässt in diesen Kontext die folgende Szene einfließen: „E vun de polizisten, et wâren zwe’Letzeburger, peift: ‘Nu stinn ech hei op ganzem frieme Buedem.’“ Dabei wäre zu erwähnen, dass dieser Vorfall bei der zweiten Veröffentlichung des Textes im Rappel im Jahre 1972 ausgelassen wurde (Manternach 1972: 409).

Auf den kurzen Zwischenhalt bei dem im Stadtzentrum gelegenen Sitz der Gestapo geht Manternach ebenfalls in ihrem Erinnerungstext ein: „Den Auto hält stall virun der villa Pauly. T’mengt ên nit, datt et ge’nt ve’er auer mueres wär. An engem steck fueren autoen op an zo’… fir ongleck a misär an d’land ze verbrêden. Den auto fe’ ert eis an de Carmel op den Zens.“

Nach einer kurzen Bettruhe wurden die Schülerinnen angewiesen, „an der kapell vum Carmel op de Bannführer ze wârden. Dé rifft eis nimm op. Dann sét en eis, datt eis elteren keng erziehungsberechtigung me’iwer eis hätten. De’ le’ g vun haut un an den hänn vun der H.J… abé merci!“ (Manternach 1946: 23). Der Hauptbannführer der H.J. in Luxemburg, Karl Felden, wandte sich auch in einem Schreiben an die Eltern der Schülerinnen, um ihnen unverzüglich mitzuteilen, dass ihre Tochter „an einem Schulstreik teilgenommen [hat]“. Weiter ließ er den Eltern Folgendes ausrichten: „Der Gauleiter hat Ihnen aus diesem Grunde die Erziehungsberechtigung über Ihre Tochter entzogen und der Hitler-Jugend übertragen. Ihre Tochter wurde heute einem Erziehungslager der Hitler-Jugend im Reich zugewiesen. Die Dauer des Aufenthaltes in diesem Erziehungslager ist unbestimmt und hängt im wesentlichen von dem Verhalten Ihrer Tochter ab“ (MnR 2017 : 64-27).

Wenn auch das zitierte Schreiben an die Eltern einer Escher Oberschülerin gerichtet war, kann man trotzdem davon ausgehen, dass die betroffenen Eltern der LBA-Schülerinnen eine ähnliche schriftliche Mitteilung zugeschickt bekamen. Eine Nachricht, die sie zu einem Zeitpunkt zur Kenntnis nahmen, als ihre Töchter sich schon im „Erziehungslager Marienthal“ befanden. Ihre Überführung von Luxemburg ins Ahrtal hat Josette Manternach kurz festgehalten: „Mir gin dann mat zwe’n tramsautoen vun der stâd an d’preiseland gefe’ ert. Zo’ Iechternach passe’ ere mer d’grenz. T’gêt virun iwer Bitburg op Adenau. Zo’ Adenau sin de’ Escher Lycéen aquarte’ ert gin, de’ och gestreikt hâten. Ge’ nt fönnef auer komme mer zu Marienthal un“ (Manternach 1946: 23).

Ursachen des Streiks an der LBA-Walferdingen

Der CdZ sah davon ab, die an der Protestaktion beteiligten Schülerinnen der LBA vor das im Rahmen des „Generalstreiks“ tagende Standgericht oder vor ein Sondergericht zu stellen. Doch die ausgeführten Straf- und Erziehungsmaßnahmen lassen erkennen, dass sie einer Strategie unterlagen, die in ihren wesentlichen Grundzügen schon vor dem Ausbruch der Protestaktionen an der LBA sowie an anderen Sekundarschulen in Luxemburg festgelegt worden war. So erließ der CdZ schon knapp eine Woche vor Beginn der einsetzenden Schülerstreiks die „Verordnung über die Ertüchtigungslager der Hitler-Jugend vom 25. August 1942“.

Worin unter anderem folgendes vermerkt wird: „§1. (2) Die Erfassung und Heranziehung der Jugendlichen für die Ertüchtigungslager erfolgt durch die Befehlsstelle der Hitler-Jugend in Luxemburg“ (ANLux, CdG-028, 0035). Der Hauptgrund dieser Erziehungs- oder Ertüchtigungsregelungen dürfte auf eine weitverbreitete, durch das nationalsozialistische Besatzungsregime provozierte Deutschfeindlichkeit innerhalb der Luxemburger Schülerschaft zurückzuführen sein.

Eine politische Begebenheit, die man im Rahmen unserer mikrohistorischen Studie exemplarisch durch einen dreiseitigen Bericht belegen kann, den Alois Brocher, Direktor der LBA Walferdingen, auf Anfrage des CdZ am 10. Juni 1942 abschloss. Der von Camille Kieffer in seiner Studie „Von der Normalschule zur Lehrerbildungsanstalt“ zitierte Bericht beschreibt mit klaren und deutlichen Worten eine vorherrschende politische und ideologische Einstellung unter den Lehramtsanwärterinnen, die für die nationalsozialistische Besatzungsmacht und ihre seit Herbst 1940 radikal angewandte „Gleichschaltung“ des luxemburgischen Schulwesens ein regelrechtes Fiasko darstellt:

„Hitlergruß wird kaum erwidert. In den Klassen hängen Kruzifixe. Fast alle Mädchen tragen konfessionelle Abzeichen. Vor den Mahlzeiten wird Front gemacht und gemeinsam gebetet. Beim Flaggenhissen eisige Gesichter, kaum Mitsingen beim Deutschland- und Horst-Wessel-Lied. Weigerung BdM-Dienst mitzumachen. Fehlen am Mittwoch bei dem BdM-Dienst. […] Schülerinnen verlangten von mir im Namen der Gewissensfreiheit Urlaub zur täglichen Messe […]“ (Brocher 1942; zitiert nach Kieffer 1996).

Die von Brocher vorgelegte Einschätzung und Beurteilung der politischen Einstellung der Lehramtskandidatinnen dürfte bei Dr. Münzel, Regierungspräsident und ständiger Vertreter des CdZ, sowie bei Gauleiter Simon eine alarmierende Wirkung ausgelöst haben: „[D]eutschfeindlich 80%, lau 15%, brauchbar keine 5%.“ Die Einschätzung der politischen Lage an der LBA dürfte wiederum den reichsdeutschen Schulleiter zum folgenden Fazit bewogen haben: „Desorganisiert, Werte wurden verhindert. Passiver Widerstand beim Personal und trotz aller Liebenswürdigkeit auch bei den Lehrkräften. Notwendige Aufbauzeit: wenigstens ½ Jahr“ (Brocher 1942; zit. n. Kieffer 1996).

So ernüchternd Brochers Bericht auf die Hauptverantwortlichen der CdZ-Schulpolitik in Luxemburg auch gewirkt haben mag, so unerwartet neu dürfte die politische Lage an der LBA ihnen nicht vorgekommen sein. Seit Einführung des CdZ-Regimes in Luxemburg im August 1940 wurde die seit 1930 im Walferdinger Schloss angesiedelte „Normalschule“ einem NS-ideologischen Gleichschaltungsprozess unterzogen, der nicht nur beim Lehrpersonal, sondern auch bei den Lehramtsanwärterinnen weitverbreiteten Missmut erzeugte, welcher zu antideutschen Äußerungen, verbaler und schriftlicher Natur, führte.

Die ab Ende September 1940 vom CdZ durchgeführte und bis Februar 1941 abgeschlossene „Entkonfessionalisierung“ des Luxemburger Schulwesens (Dostert 1985: 142) verursachte in der bis dahin stark von der Präsenz der Ordensschwestern geprägten Walferdinger Normalschule einen tiefen organisatorischen und ideologischen Einschnitt. Die Entfernung der Direktorin, Schwester Emi-
lienne Toussaint, und der anderen Ordensschwestern aus dem Schuldienst der Normalschule löste bei vielen Schülerinnen, die größtenteils aus einem ländlichen, stark vom traditionellen Katholizismus beeinflussten Milieu stammten, Unbehagen aus.

Dabei dürften die Integration von Lehrkräften aus dem „Altreich“ und die Eingliederung reichsdeutscher Schülerinnen in der zu einer reichsdeutschen LBA umgestalteten Normalschule Unwillen und Abneigung bei den luxemburgischen Lehramtsanwärterinnen gegen die radikale Germanisierungspolitik verstärkt haben. So kam es trotz Androhung von Strafmaßnahmen zu offen ausgetragenen antideutschen Ressentiments, wie etwa beim „Fall Félicie Gloden“. Am 8. Januar 1941 bestätigte sie unter Eid ihr Verhalten gegenüber drei Mitgliederinnen des NS-Frauenwerks Walferdingen:

„Als ich gestern, Dienstag, 7. Januar 1941 während der Pause gegen 4 Uhr 30 in der ersten Klasse vor dem offenen Fenster stand, sah ich drei Damen, die ich als Mitglieder der deutschen Frauenschaft ansah, den Weg entlang kommen […]. Da sagte ich zu meiner Klassengefährtin Eugenie Kuffer, die eben zum Papierkorb ging, der am Fenster steht: ‘Do kommen de preisesch Lo’ dern’. Ich verpflichte mich aber eidlich, dass das Wort H…… nicht gefallen ist, denn diese Anschuldigung ist erhoben worden“ (ANLux, CdZ-A-5291, 0209).

Eine Woche später wurde Gloden von der „Stapo“ für zehn Tage „wegen deutschfeindlicher Äusserungen in Haft genommen“ (ANLux, CdZ-A-5291, 0217, 0218). In den folgenden fünf Monaten blieb sie vom Schulunterricht ausgeschlossen, da sie versuchte, sich weiterhin einer Mitgliedschaft bei der VdB (Volksdeutsche Bewegung) oder der LVJ (Luxemburger Volksjugend) zu entziehen (ANLux, CdZ-A-5291, 0221-0222). Erst am 9. Juli 1941 wurde Gloden wieder in die LBA Walferdingen aufgenommen, so Camille Kieffer in seiner schon zitierten Studie (Kieffer 1996).

Der Autor verweist noch auf weitere politisch motivierte Vorfälle, zu denen er sich folgendermaßen äußert: „Nach einer Phase der relativen Ruhe, in der allerdings die Schülerinnen Margarete Demuth und Margarete Birsens in das Netz der Gestapo zu geraten drohten, dies aber offenbar von Siekmeier [Regierungspräsident und Vertreter des CdZ] verhindert wurde, probten die Lehramtskandidatinnen als erste den Aufstand bereits Anfang 1942“ (Kieffer 1996).

Unserem Ermessen nach ist dieser sogenannte „Aufstand“ eher ein komplexer Vorfall, der sich in erster Linie durch die Verfehlungen von W., dem zuständigen Leiter der Walferdinger Lehranstalt zwischen Ende September 1940 und Frühjahr 1942, und die damit verbundenen Reaktionen aus der Lehrer- und der Schülerinnenschaft erklärt. Im Rahmen unserer Studie verweisen wir vor allem auf das „unzulässige“ Verhalten (Kieffer 1996) des früheren im Luxemburger Schuldienst stehenden Schulinspektors gegenüber ein paar Lehramtskandidatinnen, die er außerhalb der Schulstunden, ja sogar spätabends „ins Dienstzimmer“ bestellte.

In seinem Vermerk vom 12. März 1942 hebt der ständige Vertreter des CdZ, Siekmeier, folgende belastende Aussagen gegen W. im „Fall M.“ hervor: „Befragt warum [M.] das Vorgehen des Direktors geduldet habe, gibt sie an, dass Direktor [W.] sie unter einem Zwang gehalten habe und zwar sei ein Notizbuch bei ihr gefunden worden, in dem ein Gedicht über die ehemalige Großherzogin mit feindseliger Tendenz gegen die Deutschen gestanden habe. Dieses Gedicht könne ihr sehr gefährlich werden, hat ihr [W.] von Anfang gesagt und unter Vorwand, über diese Angelegenheit mit ihr zu sprechen, hat er sie immer wieder, bestimmt 5-6 oder auch mehrmals, zu sich bestellt […]“ (ANLux, CdZ-A-5169, 0025-0026).

W. wird seine Versetzung an eine Lehrerbildungsanstalt im „Altreich“ beantragen. Abgelöst wurde er durch den schon erwähnten reichsdeutschen Leiter Brocher. Vor dessen Amtszeit gab es also schon eine Reihe politisch motivierter Vorfälle, die sich vor allem durch antideutsche Bekundungen charakterisierten. Als Brocher am 2. September 1942 die Verweigerung des deutschen Grußes durch 43 luxemburgische Lehramtsanwärterinnen in der LBA Walferdingen erleben musste, entschied er sich als nationalsozialistischer Schulleiter für die sofortige Bestrafung der „Gruß“-Verweigerinnen.

Brocher war sich bewusst, dass der Streik der „Walefer Médecher“ nicht eine einzelne, isolierte und spontane Protestaktion der Lehramtsanwärterinnen gegen die nationalsozialistische Besatzungspolitik darstellte. Im Gegenteil, der Streik stellte den faktischen Höhepunkt einer Reihe antideutscher Bekundungen dar, die sich an der Lehranstalt seit dem Winter 1940/41 zugetragen hatten. Zustande kam diese Serie politischer Bekundungen ausschließlich durch den Mut und Willen junger Frauen!

Erziehungslager Marienthal

Ein paar Tage nachdem die Luxemburger Schülerinnen und Schüler in die Erziehungslager im „Altreich“ eingewiesen worden waren, informierte Hauptbannführer Felden ihre Eltern am 7. September 1942 „von dem Wohlergehen der Jungen und Mädel“. In der schriftlichen Mitteilung versuchte er die besorgten Eltern der LBA-Schülerinnen von einer pädagogisch vertretbaren Erziehungskultur innerhalb des Lagers zu überzeugen: „Die Mädel werden für die Dauer ihres Aufenthaltes in den Erziehungslagern mit Bastelarbeiten beschäftigt. Die Lager haben Auftrag, Kinderspielzeug herzustellen, das auf den Weihnachtsmärkten der Hitlerjugend in Luxemburg, Esch, Diekirch und Grevenmacher von den Eltern als Weihnachtsgeschenk erworben werden kann“ (ANLux, CdG-028, 0067; MnR 2017: 65-28).

Die Eltern, die zu diesem Zeitpunkt weder den Aufenthaltsort ihrer Töchter kannten, noch die Erlaubnis erhielten, mit ihnen zu korrespondieren oder sie zu besuchen, dürften von Feldens schöngefärbten Mitteilungen wenig überzeugt gewesen sein. Der Hauptbannführer informierte in den beiden folgenden Wochen die Eltern zuerst über den genauen Standort der Erziehungslager, dann über das Aufheben der Post- und Besuchssperre. Dabei versuchte er, die Eltern weiterhin von einer allgemein vorherrschenden guten Stimmung in dem „Mädellager“ zu überzeugen. Feldens Informatio-
nen entsprachen natürlich kaum dem von den Walferdinger Lehramtsanwärterinnen erlebten Alltag im Erziehungslager Marienthal.

So erinnert sich Jeanne Schneider sehr wohl an die Bastelarbeiten, aber entgegen dem Hauptbannführer der H.J. betont sie in ihrem Text das Verrichten anstrengender körperlicher Arbeiten: „Neben den angeführten Beschäftigungen wurden wir zu schweren Arbeiten gezwungen. Mit der Hacke mussten wir die direkte Umgebung der Ackerbauschule sowie den nahegelegenen Dernauer Friedhof vom hochgeschossenen Unkraut säubern.“ Aber vor allem die vom CdZ angestrebte nationalsozialistische Umerziehung während des dreimonatigen Aufenthalts im Erziehungslager wurde von den Walferdingern LBA-Schülerinnen abgelehnt, wie Schneider zu berichten weiß:

„‘Schulung’ im volksdeutschen Sinn mußten wir über uns ergehen lassen – natürlich ohne den geringsten Erfolg. Meine diesbezügliche Kritik in einem Brief an meine Mutter bewirkte bei der Lagerleiterin eine eisige Kälte. Am Ende der Mahlzeit brach der Sturm über mich herein: ‘Weißt du, das KZ steht dir offen’.“ Wie für ihre Schulgefährtinnen, beschränkte sich Schneiders Strafaufenthalt im „Altreich“ nicht auf das Erziehungslager Marienthal: „Die älteren Jahrgänge unserer Klasse wurden im November zum ‘Arbeitsdienst’ eingezogen. Der kleine Rest mußte nach Altenahr in die Jugendherberge übersiedeln“ (Schneider 1993: 102).

Nach drei Monaten wurden die „Walefer Médercher“ sowie alle anderen Luxemburger Schülerinnen und Schüler aus den Erziehungslagern „feierlech entlôss“. Diese propagandistische Inszenierung des CdZ fand nach ihrer Rückkehr am 12. Dezember 1942 in Esch/Alzette statt. Bei der Feier bekamen die Eltern „d’Erziehungsberechtigung iwer eis erem“. So Josette Manternach, die ihren Bericht mit einer dem patriotischen Zeitgeist der frühen Nachkriegszeit verbundenen Formulierung abschließt: „Mir hâten de’ gro’ ss satisfactio’ n op der seit vun de märtyrer vum streik gestânen ze hun, wann och a klengem môss“ (Manternach 1946: 26).

„Deʼ Walefer Médecher an Déi Nei Zäit“

Jeanne Schneider hingegen schließt ihren Bericht mit folgenden verbitterten Worten ab: „Wir waren damals nicht gefragt von unserm Land für das wir so viel durchgestanden hatten“ (Schneider 1993: 103). Diese Schlussfolgerung bezieht sie auf ihre Erfahrungen nach der Rückkehr aus dem Erziehungslager Marienthal. Nach ihrer Wiederzulassung an der LBA-Feldgen im Februar 1943 beendete sie ihre Lehramtsstudien. Ein Abschluss, der so nicht nach der Befreiung Luxemburgs im September 1944 vom Luxemburger Staat anerkannt wurde.

„Unsere Klasse“, so vermerkt Schneider, „ausgerechnet unsere Klasse, musste durch Beschluss des neugebildeten Luxemburger Erziehungsministeriums ein weiteres Bildungsjahr absitzen.“ Nach den bestandenen Abschlussprüfungen kam es für Schneider bei der „Ausschreibung der freien Lehrerinnen-Posten“ zu einer weiteren Enttäuschung: „Unserem Bewerbungsschreiben wurde im Ministerium eine große 0 (Null) aufgedruckt, obschon wir das Luxemburger Abschlussexamen bestanden hatten im Jahre 1945“ (Schneider 1993: 103).

Jeanne Schneider sowie ihre am Walferdinger Schulstreik beteiligten Schulgefährtinnen fühlten sich nach Kriegsende vom Luxemburger Staat ungerecht behandelt, und dies trotz der offiziellen Verleihung einer „Mention honorifique“ im Jahre 1947 „en raison de leur attitude patriotique pendant l’occupation ennemie“ (Amtliche Mitteilungen 1947: 8).

 

Ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis zum Artikel ist ab 1. November 2020 unter
www.land.lu einsehbar.

Claude Wey
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