Die Chancengleichheitsministerin hat die Frauenquote für die Wirtschaft entdeckt. Mit Brüssel im Rücken und ohne konkretes Konzept sagt sich das leichter

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d'Lëtzebuerger Land du 03.02.2011

Es ist eine 180-Grad-Wende. Sie glaube daran, „dass man nichts erzwingen sollte“, hatte die frisch gebackene Chancengleichheitsministerin Françoise Hetto-Gaasch in ihrem Antrittsinterview vor anderthalb Jahren betont. Von Quotenregelungen sei sie „nicht ganz überzeugt“. Auch zu anderer Gelegenheit hatte die CSV-Politikerin betont, keine Freundin von gesetzlichen Regelungen zu sein, um die Gleichberechtigung von Mann und Frau voranzutreiben.

Vor zehn Tagen dann der Sinneswandel: Bis 2014 wolle sie den Unternehmen Zeit lassen, selbst einen guten Mix zu finden. „Wenn sich bis dahin nichts tut, werden wir um ein Gesetz nicht herumkommen“, sagte die Ministerin dem Luxemburger Wort. So überraschend kommt der Meinungsumschwung, dass das Thema, das sonst abseits in Rundtischgesprächen diskutiert wird und in der Regel wenige Zuhörer, dafür umso mehr Zuhörerinnen lockt, es mit Anhieb an die Spitze der Nachrichten findet. Sie habe in den anderthalb Jahren festgestellt, dass man bei Frauen in Führungspositionen „nicht richtig vorankomme“, begründet die Ministerin ihre Kehrtwende.

Das ist ein Euphemismus. Die vom Ministerium in Auftrag gegebene dritte Auflage der Ceps-Studie über Frauen in Führungspositionen ist noch nicht veröffentlicht, das soll noch in diesem Jahr geschehen. Je nach Definition schwankt ihr Anteil zwischen zehn und 20 Prozent. Doch in europäischen Statistiken wird Luxemburg mit traurigen zwei Prozent geführt. Will heißen: Die Direktionsposten in Luxemburgs Unternehmen machen Männer seit Jahrzehnten unter sich aus. Und nicht nur in Luxemburg.

Das hat auch die EU-Kommissarin Viviane Reding bemerkt und Gegenmaßnahmen angekündigt für die EU-Länder, in denen die Machokultur im Vorstand partout nicht weichen will. Wenn bis 2011 „nichts geschieht, müssen wir über gesetzliche Schritte nachdenken“, sagte die Justizkommissarin im Sommer vergangenen Jahres zum Erstaunen politischer Weggefährten: Zuvor war Reding nicht als Anhängerin von Quoten aufgefallen. Dass sogar sie neuerdings die Quote für ihre Geschlechtsgenossinnen entdeckt hat, hat Gründe: Im globalen Wettlauf, um stärkster Wirtschaftsraum der Welt zu werden, kann Europa nicht länger auf die Arbeitskraft der unzähligen top ausgebildeten Frauen verzichten.

Françoise Hetto-Gaasch betont, ihre Entscheidung unabhängig von den Ereignissen auf EU-Ebene getroffen zu haben, auch habe sie ihr Vorhaben noch nicht mit dem Premierminister abgesprochen. Insider aber sagen, es sei die Brüsseler Parteikollegin, die maßgeblich zum Umdenken beigetragen habe. Seitdem Reding bei der Gleichberechtigung rückständigen Firmen die gesetzliche Quote in Aussicht gestellt hat, ist Bewegung in das Thema gekommen.

Nicht nur in Luxemburg. Nachdem eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft lange keine nennenswerte Resultate brachte, hat Norwegen erfolgreich vorgemacht, wie mit einer Geschlechterquote für Verwaltungs- und Aufsichtsräte von 40 Prozent binnen kurzer Zeit, die „gläserne Decke“ für Frauen nach oben durchbrochen werden kann. Andere Länder ziehen nach. Frankreich führte vergangenes Jahr eine 40-Prozentquote für Aufsichts- und Verwaltungsräte ein, die ab 2017 gilt. In Spanien existiert eine ähnliche Quote von 30 Prozent. Im strukturkonservativen Deutschland, wo der Anteil von Frauen in den Chefetagen, je nach Rechnung, ebenfalls zwischen zehn und 25 Prozent liegt, herrscht seit einigen Wochen in Sachen Frauen- oder besser gesagt Geschlechterquote hektische Betriebsamkeit. Die christ-demokratische Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will die Quote, wurde aber durch ein Machtwort von Kanzlerin Angela Merkel zurückgepfiffen, die sich sorgt, den liberalen Koalitionspartner zu vergrätzen. Die Debatte kann das freilich nicht stoppen. Sogar das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, sonst nicht eben für seine frauenfreundliche Haltung bekannt, hat die Quote entdeckt und wirbt fleißig für sie.

Doch während beim Nachbarn konkrete Modelle diskutiert werden – von der Leyen fordert eine Geschlechterquote von 30 Prozent sowohl für Männer als auch für Frauen für Vorstände und Verwaltungsräte, während Familienministerin Kristina Schröder eine „Pflicht zur Selbstverpflichtung“ bevorzugt –, braucht Luxemburg noch mächtig Anlaufzeit.

Nein, einen Zeitplan und ein Konzept habe sie noch nicht, verneint die Ministerin im Gespräch mit dem Land. Dass sie ein Gesetz ab 2014 plane, bedeute nicht, dass sie sich aus ihrer Verantwortung stehlen wolle, sagt sie. Kriterien für eine Quote will sie „in den nächsten Jahren“ festlegen. Dabei ist es ihr wichtig, zu differenzieren: Führungsposition ist schließlich nicht gleich Führungsposition. Hetto-Gaasch will die Quote auf Verwaltungsräte beschränken – das ist just das Modell, das auch Viviane Reding befürwortet.

Schon diese Variante dürfte für Widerstand sorgen. Lucien Thiel, CSV-Politiker und ehemaliger ABBL-Geschäftsführer, konnte auf einer Konferenz zur Quotierung vergangenes Jahr dem Instrument nichts abgewinnen. Pierre Gramegna von der Handelskammer will sich zurzeit nicht äußern, das Thema komme zu plötzlich, lässt er über seine Sekretärin ausrichten. Nur die Unternehmensvereinigung Fedil bezieht, wenn auch zögerlich, Stellung: Das sei ein „interessantes Thema“, so Fedil-Direktor Nicolas Soisson vorsichtig. Sicher sei es wünschenswert, wenn mehr Frauen in Führungspositionen kämen. Die Quote sei aber „vielleicht nicht der richtige Weg“. Sie funktioniere „nur dort gut, wo die Umfeldbedingungen stimmen“, in Norwegen etwa. Und dann nennt Soisson das Argument, das Kritiker/innen der Quote meistens einfällt: Es müsse in erster Linie „um die Kompetenz gehen“. Dass Frauen bei Schulabschlüssen und an den Universitäten meist besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen, streitet Soisson nicht ab. Es sei „eine Frage der Zeit“, bis sich die besseren Bildungsabschlüsse in den Betrieben widerspiegeln würden, tröstet er. Auf einen Zeitraum will sich der Unternehmervertreter nicht festlegen. In „zehn- bis 15 Jahren“ werden es „vielleicht nicht grad 30 Prozent“ sein. Einen Plan, wie Luxemburgs Wirtschaft diesen Richtwert erreichen soll, hat seine Vereinigung nicht. Das machen die Unternehmen (die Chefs) unter sich aus – mit dem Ergebnis, das bei den rund 25 börsennotierten Unternehmen in Luxemburg kaum Frauen im Vorstand sitzen. Es gibt zwar Firmen, die sich anschicken, Frauenkarrieren zu fördern. Pricewaterhouse Coopers etwa hat einen Förderplan, um für mehr Diversität in den Führungsetagen zu sorgen. Auch in zahlreichen Banken wird umgedacht. Oft geht es darum, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Denn das ist die zweite Bremse auf dem Weg nach oben: Kinder gelten als Karrierekiller. Freilich nur bei Frauen, die wegen ihrer familiären Pflichten als weniger belastbar und verfügbar gelten. Mit dem größeren Angebot an Betreuungsstrukturen aber ändert sich auch hier allmählich etwas. Und vielleicht mit der sich wandelnden Rolle der Männer?

Skepsis gegen verbindliche Richtgrößen kommt aber nicht nur von den Männern, die um ihre Positionen fürchten. Auch Frauen sehen die Quote kritisch. „Ich fände es besser, wenn wir keine Quoten bräuchten“, sagt Rita Knott, die sich „gegen extreme Haltungen“ in der Frage wehrt. Andererseits sieht auch Knott ein, dass es „nur sehr langsam voran geht“. Die ehemalige Bankerin hat jahrelang weibliche Nachwuchskräfte gefördert. Heute leitet sie ihre eigene Unternehmensberatung, die Maison du Coaching, Mentoring et Consulting asbl. Die „Diversität im Unternehmen zu fördern“ (Knott) ist ihr weiterhin ein Anliegen: Sie lädt am 8. März zum ersten „Female Board Pool“ Seminar ein, eine gemeinsame Initiative mit der Universität Sankt Gallen, unterstützt vom Frauenministerium, die sicherstellen soll, dass Frauen für die Arbeit in Verwaltungs- und Aufsichtsräten ausreichend qualifiziert sind. Denn, das betont auch Knott, entscheidend seien Qualifikation und Eignung.

Nicht viel anders klingt die Fédéra-tion der femmes cheffes d’entreprises (FFCEL): Man befürworte die Quote, aber „unter bestimmten Bedingun-gen“, schreibt Präsidentin Françoise Folmer nach der Generalversammlung am Mittwoch. So dürfe die Maßnahme lediglich als „Sprungbrett“ gesehen werden, um „den Prozess der Mixität zu beschleunigen“, und sollte „zeitlich begrenzt sein“. Ein solches Gesetz dürfe „nicht-diskriminatorisch“ gegenüber Männern formuliert sein, indem es beispielsweise Quoten für Männer ebenso wie für Frauen oder allgemein formulierte Quoten festhalte. Bliebe die Maßnahme nur auf börsennotierte Unternehmen beschränkt, wäre ihre Bedeutung für Luxemburg eher gering. Die Ministerin kann sich als Kriterium Betriebe ab einer bestimmten Anzahl an Mitarbeiterinnen vorstellen.

Dass gerade die Unternehmerinnen so bedacht darauf sind, nun ihrerseits nicht in den Verdacht der „Männerdiskriminierung“ zu geraten, kommt nicht von ungefähr: Sollten eines Tages tatsächlich verbindliche Richtgrößen kommen, müssten in einer ersten Phase Männer zurückstecken. Es ist auffällig, wie oft Frauen, die es auf der Karriereleiter nach oben geschafft haben, sich von verbindlichen Quotierungen distanzieren. Den bevorstehenden Machtkampf um gut bezahlte Spitzenpositionen möchten sie so „milde“ wie möglich gestalten, aus strategischen Gründen und wohl auch um nicht den Eindruck zu erwecken, selbst eine Quotenfrau zu sein.

Zumindest bei der Ministerin werden sie da auf offene Ohren stoßen. Dass auch sie ein Herz für die Sorgen und Nöte der Männer hat, hat Hetto-Gaasch mehrfach bewiesen: Ein eigenes Beratungszentrum für diskriminierte Männer steht auf ihrem Programm. Auch eine Männerquote für frauendominierte Berufe wie Lehrerin und Erzieher könne sie sich vorstellen, hatte die Ministerin am Rande der Vorstellung des Chancengleichheitsaktionsplan im vergangenen Jahr gesagt. Das war, bevor sie die Frauenquote entdeckte. Auch über weitere Einsatzbereiche will die Bekehrte nachdenken: Im sozialen Sektor gebe es Verwaltungsräte, in denen fast ausschließlich Frauen säßen. „Das ist auch nicht gut.“

Männer-Monopole in Führungsetagen gibt es auch nicht nur in der Privatwirtschaft. Bei den Gewerkschaften beispielsweise geben Männer den Ton an. Sogar in der Frauendomäne Schule sind die Berufsvertretungen, abgesehen vom SEW, der lange von einer Frau geführt wurde, fest in Männerhand.

Nur bei ihren eigenen Politikerkollegen und -kolleginnen zeigt die Ministerin weiterhin Nachsicht. Die Frauenorganisation Cid-femmes hatte als Reaktion auf Hetto-Gaaschs Ankündigung die Ministerin aufgefordert, gegen die Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik ebenfalls mit gesetzlichen Quoten vorzugehen. „Es geht um demokratische Beteiligung“, betont Christa Brömmel vom Cid-femmes. Die Organisation setzt sich seit Jahren für mehr Beteiligung der Frauen in der Gemeinde- und Landespolitik an, sehr zum Unwillen erzkonservativer Politiker wie dem ADR-Abgeordneten Fernand Kartheiser.

Die Gleichstellungsministerin tritt auf die Bremse. Das eine habe nicht mit dem anderen zu tun, meint sie, die ihr Quotenkonzept für Verwaltungsräte erst für 2014-2015 vorlegen will, also nach ihrer Amtszeit. Wenn sich nach den nächsten Gemeinde- und Nationalwahlen an der politischen Partizipation der Frauen nichts verbessert habe, könnte das die „nächste Etappe sein“, sagt Hetto-Gaasch, die zunächst die Entwicklungen „abwarten“ will. Hat sie das nicht irgendwann schon einmal gesagt?

Ines Kurschat
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