Die Umstellung auf Elektroantriebe hat gravierende Folgen für die Produktionstechnik – und die Beschäftigung. An Hunderttausenden Jobs dürfte das Profil sich ändern. Doch wie sieht der Weg dahin aus?

Neues Spiel, neues Glück

d'Lëtzebuerger Land du 27.01.2012

Erinnert sich noch jemand an Dampflokomotiven? Die waren einmal der Höhepunkt der Ingenieurskunst; sie beschäftigten riesige Fabriken und Ausbesserungswerke, ja ganze Städte. In England konnten die Gewerkschaften dann noch eine Zeit lang durchsetzen, dass auch auf Diesel- und Elektroloks Heizer mitfahren mussten – schließlich wurden aber auch diese Stellen wegrationalisiert. In der Autoindustrie könnte es nun ähnlich laufen; ganze Berufsfelder könnten verschwinden.

In Stuttgart zum Beispiel fürchten Daimler-Arbeiter, sie könnten bald zum alten Eisen gehören. Ihr Betriebsrat hatte gefordert, auch im Stammwerk in die Entwicklung von Elektromotoren zu investieren. Stattdessen aber wird Daimler dafür zusammen mit Bosch im norddeutschen Hildesheim ein neues Gemeinschaftsunternehmen aufbauen. In Hildesheim werden bereits Elektrokomponenten für Hybridmotoren von VW, Porsche und Peugeot gefertigt. Im kommenden März will der Daimler-Betriebsrat eine Studie zu den Folgen der Elektromobiliät für Arbeitsplätze und Ausbildung vorstellen, die er bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Auftrag gegeben hat. Die Gewerkschafter sind sich aber bereits vor der Veröffentlichung sicher: „Der Elektroantrieb bindet deutlich weniger Beschäftigte.“

Verbrennungsmotoren und Getriebe sorgen bislang in der Autobranche für 20 bis 30 Prozent der Wertschöpfung. Sie gelten als Kernkompetenz der Hersteller. Allein bei Daimler arbeiten dafür rund 10 000 Menschen. Für ganz Deutschland schätzt die Gewerkschaft IG Metall die Zahl der Beschäftigten im Bereich Antriebsstrang auf 200 000. „Die deutschen Hersteller bauen die besten Motoren der Welt“, heißt es stolz in einem Bericht der deutschen Bundesregierung. Zu dumm, dass das vielleicht bald niemanden mehr interessieren wird.

Bei Elektrofahrzeugen entfällt ein Großteil der Wertschöpfung auf die Batterien. Derzeit gehen aber zwei Drittel aller Patente dafür nach Japan und China. Selbst die Nationale Plattform Elektromobilität, die Deutschland bis 2020 zum „Leitanbieter“ und „Leitmarkt“ machen und deshalb bis dahin mindestens eine Million Elektroautos auf die Straßen bringen will, räumt ein, dass die Konkurrenz aus Fernost bei Hochleistungsbatterien „etwa zwei Jahre“ Vorsprung hat. Günstiger fertigen lassen sich einfache Elektromotoren in Asien ohnehin schon lange.

Hinzu kommt, dass viele Komponenten schlicht nicht mehr gebraucht werden: Elektroautos fahren ohne Tank, Auspuff, Kolben und Kupplung. Werden Elektroantriebe direkt in die Radnaben eingebaut, entfallen die herkömmlichen Antriebswellen, Differenziale und Getriebe. Während ein Verbrennungsmotor aus rund 1 400 Teilen besteht, kommt ein Elektromotor mit gut 200 aus. Andreas Dobroschke von der Universität Erlangen erwartet „gravierende Folgen für die deutsche Industrie“: Bei der Produk-tion konventioneller Antriebsstränge seien 50 000 Jobs in Gefahr. Betroffen seien aber auch zum Beispiel die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller, die derzeit noch ein Drittel ihrer Maschinen an die Autobranche liefern. In Zukunft könnte es vielleicht nur noch halb so viel sein. Außerdem würden nun andere Maschinen gebraucht: nicht mehr zum Gießen, Schmieden und Spanen, sondern für Montage- und Fügeprozesse.

IG-Metall-Chef Berthold Huber geht trotzdem davon aus, dass das Elektroauto „unter dem Strich kein Jobkiller“ sein werde. Die Plattform Elektromobilität, bei der er die Gewerkschaften vertritt, rechnet sogar mit 30 000 neuen Arbeitsplätzen in Deutschland – vorausgesetzt allerdings, dass die Regierung dafür in den nächsten Jahren mindestens zwei Milliarden Euro Subventionen locker macht. Neuerdings würden sogar wieder Textilfachleute gesucht, und zwar für die Produktion von Karbonfasern für Leichtbau-Karosserien.

Eine Studie von McKinsey kam im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass der Weltmarkt für Antriebstechnologien von 190 Milliarden Euro derzeit bis 2030 auf 460 Mil-liarden Euro wachsen werde, davon 170 Milliarden in Europa. Die Nachfrage nach Getrieben und Turboladern werde noch bis 2020 steigen, dann aber deutlich nachlassen. Im Jahr 2030 werde der Markt für Elektrokomponenten doppelt so groß sein wie für Verbrennungsmotoren. Bis dahin würden bei der Produk-tion von Antriebssträngen in Europa 110 000 neue Stellen geschaffen werden, nämlich für Facharbeiter aus den Bereichen Chemie, Kunststofftechnik, Mikroelektronik, Elektrotechnik und Software/IT.

Dass die Karten jetzt neu gemischt werden und sich neue Chancen auftun, ist für die Produzenten herkömmlicher Motoren jedoch kein Trost. Eine Umfrage des Nürnberger Imu-Instituts ergab, dass derzeit allein in der Region Nürnberg fünf Zulieferfirmen mit 9 000 Beschäftigten ausschließlich Produkte für den klassischen Antriebsstrang fabrizieren und keine Alternativen im Angebot haben. Besonders die Angestellten großer Unternehmen fürchten, dass ihr Konzern lieber passende andere Firmen aufkauft, statt die bereits vorhandenen Standorte umzurüsten. Zumal ja auch noch lange nicht klar ist, wohin die Reise geht und worauf genau sich die Zulieferer einstellen sollen: auf Hybridantriebe, auf weiterhin kleine Reserve-Verbrennungsmotoren oder doch auf reine Elektroantriebe?

Unverzagt wirft sich Achim Kampker von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen ins Getümmel. Seine These: Für die Einführung von Elektroautos ist nicht die Reichweite der Batterien entscheidend, sondern der Preis. Da der Professor mit dieser Ansicht bei den deutschen Autokonzernen nicht durchkam, hat er sein eigenes Unternehmen gegründet und entwickelt nun ein Gefährt namens Streetscooter. Dieser Elektro-Kleinwagen soll Kurzstrecken bis 120 Kilomter bewältigen und dank modularer Bauweise ohne Mehrwertsteuer und Batterie-Leasing nicht mehr als 5 000 Euro kosten.

Zu den Gesellschaftern seines Unternehmens gehören zum Beispiel Thyssen-Krupp, Dunlop und die Stadtwerke Aachen. Den Antrieb liefert Wittenstein Electronics, bislang eher bekannt für präzise Kleinmotoren für Raumfahrt- und Medizintechnik. Bei der letzten Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt konnte Kampker den Prototyp vorstellen; im Herbst 2012 will der Zustelldienst der Deutschen Post die ersten Streetscooter seiner Flotte einverleiben. Vielleicht werden also ganz neue Mitspieler das Rennen machen.

Martin Ebner
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