Escher Meedchen ist keine neue Produktion, doch kein Schnee von gestern. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst auch in Luxemburg und Teile der Gesellschaft sind von Unsicherheit und Armut bedroht, da ist diese Sozialstudie Zündstoff. Eine erste Version wurde bereits 2015 vorgestellt, seiner Zeit noch unter dem Titel E braavt Meedchen. Daraus strickte die Escher Autorin Mandy Thiery ein Monodrama, das 2018 Premiere feierte. Escher Meedchen ist damit eine Wiederaufnahme, die diesen Winter noch um die Perspektive des Bruders in einem zweiten Stück, Escher Bouf, ergänzt wird.
Auf der Bühne des Ariston herrscht ein Durcheinander von Brettern und Kisten (das Bühnenbild stammt von Jörg Brombacher). Das Chaos der verwüsteten Wohnung ihrer Mutter, die die Protagonistin aufräumen will, spiegelt ihr Innenleben wider. So steckt Mona gewissermaßen verloren in den Trümmern ihrer Kindheit fest, einer unverarbeiteten Baustelle. Ein gelungener Effekt.
Es sind autobiografische Erlebnisse, die Thiery in ihrem aufwühlenden Monodrama verarbeitet hat. Beim Überarbeiten des Textes hat sie Versatzstücke aus der Biografie ihrer Mutter hinzugefügt, daraus ist das Escher Meedchen entstanden.
Mona (Brigitte Urhausen) betritt fahrig die Bühne und beginnt hektisch zu rauchen. Rasch wird klar: Die Alleinerziehende ist tablettenabhängig, hat keinen Freund, aber eine Tochter. Und diese wird es anders als sie machen, ihr wird der Aufstieg in ein vermeintlich geordnetes, bürgerliches Leben gelingen.
Mona will die Wohnung ihrer Mutter aufräumen, kommt jedoch in den Trümmern ihrer Kindheit kaum dazu, weil ständig das Handy bimmelt und beim Sortieren schmerzhafte Erinnerungen wie in einem Kochtopf in ihr hochkochen.
„Dat Eenzegt, wat ee soe muss, si kleng, onbedeitend Wierder“, sagt sie anfangs kleinlaut. Von Klein auf hat Mona gelernt, dass Wörter wehtun können und es besser ist, den Mund zu halten, die Wörter hinunterzuschlucken. Das macht sie, indem sie laut lacht, raucht und trinkt. Mit den Jahren wird sie jedoch von der Last der Vergangenheit erdrückt, der Druck der unausgesprochenen Traumata und die Wut im Bauch lasten auf ihr: Ein Leben in der Pause, eine Pause im Leben! Und so sprudeln die Wörter irgendwann aus ihr heraus ...
In einer einfachen, ungeschönten Sprache und kurzen klaren, mitunter recht derben Sätzen erzählt sie von den Worten ihrer Mutter, die über „Neger“ sprach, obschon sie nie rassistische Züge an sich hatte. Von Dosenravioli im Alltag und davon, dass keiner sich je wirklich für die Belange des Escher Mädchens interessierte ... bis der Ersatzvater in ihr Leben trat und mit ihm jemand, der sie erstmals motivierte – etwa beim Schullauf, wo sie dennoch die Letzte war.
Mit seinem Erscheinen gab sich die Mutter, zu der Mona seit zwölf Jahren keinen Kontakt mehr hatte, bis sie an Alzheimer verstarb, erstmals Mühe, warf sich in Schale, kochte Lasagne, die nicht schmeckte. Doch irgendwann war er weg und Mona fand Zuflucht im Frauenhaus.
Eine Stunde lang werden die Zuschauer hineingezogen in die Kindheit Monas und erleben Schlaglichter ihrer Jugend. Mandy Thierys schnörkelloser Text, der nicht nur sprachlich auf Ellipsen setzt, zieht die Zuschauer/innen in den Bann und wühlt einen auf – ohne je zu explizit oder gar voyeuristisch zu werden. Eindrucksvoll skizziert sie die Sozialisation ihrer Protagonistin und veranschaulicht deren prekäre Verhältnisse. Der Missbrauch liegt in der Luft, ist irgendwann für jede/n greifbar. Brigitte Urhausen verkörpert die Mona mit Verve. Ihre Performance zeugt davon, dass sie die Figur verinnerlicht hat.
Es ist gar keine große Regiearbeit notwendig: denn der starke Monolog vermag das Stück zu tragen. Urhausen beweist in der Rolle der Mona einmal mehr ihr Können. Ihre Verkörperung der verletzten Mona schnürt einem die Kehle zu, raubt einem den Atem.
Ähnlich wie die Texte Annie Ernauxs ist Escher Meedchen eine sprachlich wie inhaltlich überzeugende Milieustudie. Thierys Monodrama ist weder ein zu moralisches Lehrstück, noch rührendes Betroffenheitstheater, sondern ein eindrucksvoller, aus dem Leben gegriffener Ausschnitt einer unbehüteten Kindheit in der Minett.