Jetzt reden in Luxemburg alle von den "Kioto-Zielen" zum Klimaschutz. Ist dem so, weil am 22. Februar der Londoner Observer (http://observer. guardian.co.uk) eine vom Weißen Haus vier Monate lang unter Verschluss gehaltene Studie des Pentagon an US-Präsident Bush veröffentlichte, in der Donald Rumsfelds Strategen gemeinsam mit führenden US-Klimaforschern zu dem Schluss kommen: "Climate change will destroy us"? Und zwar eventuell schon in den nächsten 20 Jahren, weil dann das Weltklima wahrscheinlich "umgekippt" sein und ei-ne plötzliche globale Verknappung von Wasser, Nahrungsmitteln und fossilen Energieträgern eingesetzt haben wird, die die Welt einer Gefahr "greater than terrorism" aussetzen werde? Nein, um den "terrorism" sorgt man sich hier zu Lande zwar auch, hat diese Woche den EU-Haftbefehl eingeführt und lässt die spanische Botschaft bewachen. Die größere Sorge aber gilt dem "Tanktourissem" und summa summarum allen Einkäufen an den über 200 Zapfstationen im Lande, wo neben billigem Benzin und Diesel auch Kaffee, Zigaretten und Alkoholika erworben werden, hernach die Akziseneinnahmen auf all diese Produkte plus Mehrwertsteuer im Jahr 2002 eine Milliarde Euro in die Staatskasse spülten.
Seit Ende Februar diskutiert der Regierungsrat, am 1. März diskutierte die Tripartite und wird es nächs-ten Montag noch einmal tun, über den nationalen "Allokationsplan" für die Zuteilung von Treibhausgasemissionsberechtigungen an 15 besonders CO2-intensive Industriebetriebe. Diese müssen ab 1. Januar nächsten Jahres an einem europaweiten Emissionshandel teilnehmen, brauchen dafür Quoten, und die werden geschöpft aus jener Menge CO2, die das ganze Land zwischen 2008 und 2012 noch ausstoßen darf. Weil Luxemburg, wie die Dinge liegen, sein Einsparziel verfehlen wird, sind plötzlich nicht nur die Zuteilungsmöglichkeiten an die Industrie begrenzt, auch Transport, kleinere Firmen, Haushalte und - der Tanktourismus stehen mit CO2-Steigerungsraten in der kritischen Analyse. Und die Zeit drängt: bis 31. März müssen alle Mitgliedstaaten der EU-Kommission ihre Allokationen gemeldet haben. Weil eine EU-Direktive über das "Emission trading" dazu die Konsultation der Öffentlichkeit ausdrücklich vorschreibt, wird am Morgen des 31. März um 9 Uhr in der Chamber rasch noch ein "öffentliches Hearing" stattfinden, an dem sich äußern darf, wer nicht der Tripartite beiwohnte.
"So geht das aber nicht, so ein Defilee, das ärgert mich als Abgeordneten und als Bürger!", erregte sich am Samstag Alex Bodry (LSAP) an einem vom Mouvement écologique im Anschluss an dessen Generalversammlung organisierten politischen Rundtisch. Für Umweltstaatssekretär Eugène Berger (DP) indessen sind der frühere Umweltminister Bodry, dessen Vorgänger Johny Lahure und die LSAP insgesamt Schuld an der Klimaschutz-"Malaise": Das von den LSAP-Ministern mit ihren EU-Kollegen ausgehandelte nationale Einsparziel von minus 28 Prozent CO2 bis spätestens 2012 sei "zu ambitiös und nicht gut gerechnet" gewesen.
Doch das ist nur zur Hälfte richtig. "Ambitiös" waren minus 28 Prozent im Vergleich zu den Emissionen des Referenzjahrs 1990 nicht. Nachdem Mitte 1997 die Arbed den letzten Hochofen in Belval stillgelegt hatte, schenkte sie mit dem Wegfall der Koksverbrennung dem Lande eine Emissionsreduktion um 44,2 Prozent1. Was Bodry und Lahure aushandelten, war zunächst kein "ambitiöses Einsparziel", sondern die Berechtigung zur Emissionssteigerung um 16 Prozentpunkte in den kom-menden zehn Jahren.
Wahr ist allerdings, dass Bodrys und Lahures Energieminister-Kollege Robert Goebbels kurz darauf das Projekt des in seiner Strom- und damit auch Verbrennungsleistung hoch dimensionierten Escher Gas-Dampfturbinenkraftwerks (GUD) unter Dach und Fach brachte. Dieser Deal war ökonomisch sehr komplex und sogar clever, frisst heute jedoch 15 der 16 zur weiteren Verfügung ausgehandelten Prozent CO2-Äquivalent auf. Denn das vom International Panel on Climate Change (IPCC) der Uno für die Berechnung der Klimaschädigungen angewandte Verfahren betrachtet für die Stromwirtschaft nicht die Bedenklichkeit des territorialen Verbrauchs, sondern die der territorialen Produktion. Weshalb das an sich umweltfreundliche GUD-Werk mit seinem hohen Gasverbrauch eine CO2-Schleuder ist.
All das jedoch war bekannt, als die DP die LSAP vor fünf Jahren in der Regierung ablöste. Das nun von den Liberalen Charles Goerens und Eugène Berger geführte Umweltministerium veröffentlichte Anfang Mai 2000 eine Stratégie nationale de réduction des émissions de gaz à effet de serre, die CSV und DP sich in ihrem Koalitionsabkommen vorgenommen hatten: "(...) le Gouvernement finalisera le plan de réduction des émissions de CO2 et mettra en oeuvre un programme pluriannuel y relatif". Doch dieses Programm wird es erst nächste Woche geben. "Der Allokationsplan ist die Verfeinerung unserer Strategie", sagt Eugène Berger. Sie erfolgt fast vier Jahre später.
In der Zwischenzeit aber verließ Luxemburg seinen "Kioto-Zielpfad". 2002 erhielt seine CO2-Bilanz des Jahres 2001 im alljährlich von der Kopenhagener EU-Umweltagentur EEA im Auftrag der EU-Kommission angefertigten Emissionsinventar noch einen Smiley. Ende letzten Jahres nicht mehr; die Zahlen für 2002 und die Prognosen der EEA deuteten auf ein Überschreiten der minus 28 Prozent, gleich 8,9 Tonnen CO2, um 0,5 Millionen Tonnen hin (1). 2002 jedoch arbeitete das GUD-Werk noch nicht, und die EEA-Prognosen kamen ohne Mitarbeit des Luxemburger Umweltministeriums zu Stande. Dass von seiner Seite bis dahin - und bis heute - noch nicht gemeldet wurde, wie Einsparungen überhaupt erreicht werden sollen und wie man die Wirkungen der Einsparmaßnahmen bis zum Beginn der "Kioto-Periode" 2008 bis 2012 abschätzt, beklagte die EEA alle Jahre wieder und zuletzt im Juli letzten Jahres(2). Wie aus dem vom Umweltministerium dieser Tage veröffentlichten Rapport d'activité 2003 hervorgeht, schätzte die EEA überdies zu optimistisch: Nicht um 0,5, sondern um 1,6 Millionen Tonnen überschritt Luxemburg bereits Ende 2002 sein Einsparziel. Wie die Dinge 2003 lagen, ist noch unklar. Klar ist aber, dass das GUD-Werk im letzten Jahr arbeitete, dass allein zwischen 1997 und 2002 die Emissionen der Privathaushalte und Kleingewerbe um zehn Prozent, die des Binnenverkehrs um 20 Prozent wuchsen und der Treibstoffverkauf an Ausländer, der laut IPCC-Rechenweise als "Produktion" gilt, um ebenfalls zehn Prozent stieg, während die Emissionen der Industrie - abgesehen von GUD-Beitrag - stabil blieben.
Sicherlich: Vor allem Charles Goerens hatte seit seinem Amtsantritt immer wieder gewarnt, dass Luxemburg sein Klimaschutzziel zu verfehlen drohe. Im Grunde aber erhalten diese Prophezeiungen erst dieser Tage ihre Basis: "Überraschende" und "extrem ernüchternde" Zahlen seien vom deutschen Fraunhofer Institut über Reduktionspotenziale eingetroffen, sagt Eugène Berger: Die Verbesserung der Wärmedämmung von Altbauten bringe über zehn Jahre lediglich eine Einsparung von 0,17 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent, eine Modernisierung der nationalen Autoflotte durch steuerliche Anreize zum Kauf CO2-ärmer angetriebener Pkw spare bis 2007 0,3 Millionen Tonnen ein, die Förderung des öffentlichen Transports bis zu einem Anteil von 25 Prozent aller inländischen Fahrtbewegungen lediglich 0,07 Millionen Tonnen. Doch das Problem besteht nicht darin, dass die Reduktionsmöglichkeiten offenbar begrenzt sind, sondern dass die Bilanz vier Monate, bevor schon wieder gewählt wird, ergeht. "Das Kioto-Protokoll ist schließlich bis heute nicht ratifiziert", rechtfertigt Berger dieses Vorgehen, und "es hätte ja auch sein können, die EU-Direktive über den Emissionshandel" der Industriebetriebe, die nun für Handlungsdruck sorgt, "wäre nie gekommen". Dafür muss er heute unausweichlich nennen, was Goerens und er immer wieder den letzten Ausweg bei der CO2-Reduktion genannt hatten: Freikauf durch Investitionen in Klimaschutzprojekte im Ausland. "Wir haben aber immer gewusst, dass Einsparmaßnahmen allein nicht reichen." Irgendwie halt.
Muss man die Frage nach dem Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition stellen? Ja, denn als im Mai 2000 die Klimaschutzstrategie vorgelegt wurde, wollte die Regierung noch eine "démarche solidaire des tous les acteurs", und Berger meinte kurz vorher in einem Interview mit dieser Zeitung, die DP-Führung im Umweltministerium entwickle ressortübergreifende "horizontale Kompetenzen" (d'Land, 14.4.2000). Vier Monate später aber musste Charles Goerens feststellen: "Ich habe keine horizontalen Kompetenzen."(d'Land, 11.8.2000). Damals hatte ungeachtet eines kritischen Berichts der Straßenbauverwaltung über den negativen Einfluss der Ostvariante der Nordstraße CSV-Bautenministerin Erna Hennicot deren Bau den-noch durchgedrückt. Im selben Jahr blockierte CSV-Wohnungsbauminister Boden Goerens' und Bergers Versuch, für rasche Wärmedämmmaßnahmen an Altbauten zu sorgen, und die Verschärfung der veralteten Wärmeschutzverordnung wurde von der dafür zuständigen Energiedirektion im von Henri Grethen geleiteten Wirtschaftsministerium erst kürzlich in Angriff genommen, nachdem endlich auch eine seit einem Jahr schon bestehende EU-Direktive das verlangt.
Schon deshalb ist es nicht allein das Verdikt der Koalition, den Tanktourismus nicht abschaffen zu wollen, von dem Eugène Berger heute sagt, dass es "Hände band". Allerdings auch: Es fiel in all den scharz-blauen Koalitionsjahren auf, dass jeder parlamentarische Vorstoß der Grünen zu einer Analyse des Tanktourismus in seinen positiven Auswirkungen auf das Staatsbudget und seinen negativen auf Umwelt oder Unfallgeschehen stets die Unterstützung der DP-Fraktion fand, aber immer an der CSV scheiterte. Und es überrascht nicht, dass Eugène Berger am Samstag vor der Méco-Generalversammlung klagte, "erst jetzt" bekäme man vom Finanzministerium Daten zum Tanktourismus auf den Tisch.
Und so müsssen sich zwei wenig durchsetzungsfähige, letzten Endes aber anscheinend auch nicht sonderlich daran interessierte Verantwortliche im Umweltministerium bemühen, den für das Weltklima zwar positiven, aber ohne jede Auswirkung auf die Kioto-Bilanz bleibenden Ausbau der erneuerbaren Energien als Erfolg zu verkaufen. Spätestens in der kommenden Legislatur aber wird man ihnen vorwerfen, auch am "Tanktourismus" gescheitert zu sein: Ab 1. Januar 2009 wird er zumindest drastisch einbrechen. Dann endet die von Finanzminister Juncker im Ecofin-Rat im März 2003 für Luxemburg ausgehandelte Ausnahmeregelung, seine Dieselakzisen unter einem EU-weiten Minimum halten zu dürfen. Und es ist Diesel, an dem die Staatskasse besonders verdient, nicht Benzin; allein zu 50 Prozent durch hier tankende Lkw-Fahrer. Mit Sicherheit werden die Auswirkungen auf das Staatsbudget 2009 gravierend sein, erneut vor einer Wahl. Wer aber hätte zu einer Zeit, als wegen "Kioto" die Verquickung von ökologischen, ökonomischen und sozialpolitischen Fragen derart relevant war für das im Koalitionsabkommen 1999 23 Mal erwähnte "développement durable", besser zumindest eine Diskussion des auf Pump anderer ausgerichteten Luxemburger Wohlstands anregen können, als die beiden Verantwortlichen jenes Ministeriums, in dem alle Beteiligten schon immer "Bescheid" wussten?
1 Europäische Umweltagentur: Greenhouse gas emission trends and projections in Europe 2003, Environmental issue report No. 33, 3. Dezember 2003, www.eea.eu.int
2 Europäische Umweltagentur: Greenhouse gas emissions - projections for Europe, Technical report No. 77, 1. Juli 2003, www.eea.eu.int