Theater

Mehr als eine Fußnote

d'Lëtzebuerger Land du 22.11.2019

Am Anfang von Footnotes, der neusten englischsprachigen Produktion des Escher Theaterkollektivs Independent Little Lies in Zusammenarbeit mit dem Escher Theater, stand eine radikale Idee: Frauen schreiben über den Feminismus, seine Stärken, seine Schwächen. Das Stück wird dann (fast nur) mit Frauen in Szene gesetzt.

Der Plot, von Autorin Claire Thill geschrieben und Regisseurin Jenny Beacraft inszeniert, ist schnell erzählt: Eine frauenbewegte Frau, gespielt von Elsa Rauchs, kann sich nicht aufraffen, ihre Mitbewohnerin zum bevorstehenden Frauen-Marsch zu begleiten. Sie hat es sich eingerichtet in ihrem Leben, auf dem braunen Herrensessel. Wozu demonstrieren, wenn Online-Protest es auch tut? Für ihre Freundin, eine nach Europa emigrierte Dominikanerin (Stephany Ortega), ist die Teilnahme keine Frage; den Luxus, abzuwägen, ob sie für bessere Lebensbedingungen kämpft, hat sie nicht.

Als die Frau endlich loszieht, ist die Demo am Haus vorbeigezogen; sie wird von zwei Männern überfallen. Aufwachend, begegnet sie einem singenden Engel (stimmgewaltig: Stephany Ortega; nicht die einzige Doppelbesetzung), der zur Schlüsselfigur ihrer Reise durch die Geschichte-n feministischen Widerstands und zu sich selbst wird. Deutlich wird: Den einen Feminismus gibt es nicht. Footnotes thematisiert die Vielfältigkeit feministischer Befreiungskämpfe und der Perspektiven darauf. Das Wahlrecht in Europa haben bürgerliche Frauen maßgeblich erstritten, allen voran britische Suffragetten – aber, das untermalen rasant eingeblendete Video- und Tonauszüge von Frauen-Protesten weltweit, für Freiheit und ein Leben ohne patriarchale Bevormundung kämpfen Frauen unterschiedlichster Herkunft überall.

Der intersektionale dekonstruktivistische Ansatz, der Versuch, unterschiedliche Diskriminierungen und Positionen im kapitalistischen patriarchalen Herrschaftsgefüge mitzudenken, trägt das Stück aber nicht. Dafür will es zu viel und bietet zugleich zu wenig Substanz und Stringenz, um mehr zu sein als eine (subjektive) Kollage feministischer Fragmente, vornehmlich zusammengestellt aus dem Blickwinkel weißer Mittelschichtsfrauen.

Es sind originelle Einfälle darunter, etwa wenn die Protagonistin im Himmel eine Frauenleiche trifft, witzig-spritzig gespielt von Frédérique Colling, die sich beklagt, sie sei die eigentliche Hauptfigur im misogynen Plot. Mit clever platzierten Pointen entlarvt Colling das patriarchale Narrativ: Über die Frau(en) wird immer geredet, aber so gut wie nie ist sie Handelnde in ihrem eigenen Leben (oder Sterben). Oder die zwei Ninjas, von dem einer obsessiv im Quadrat marschierend seine Kampf-Kata einübt, bis ihm der andere entnervt zuruft: „You don’t have to walk in circles, you could break the pattern!“ – und mit dem Satz das revolutionäre Potenzial eines/einer jeden anspricht.

Ein trans-Mann erzählt von seinen Zweifeln, ob er mitmarschieren soll und legt so Zeugnis ab von der Schwierigkeit, einen Platz zu finden in einer binär gepolten Welt. Mit BMX-Bike und in weißem Outfit radelt er durch die Szenen, verjagt sexistische Gewalttäter und wirkt dabei zunächst wie ein Gast aus einer anderen Welt – bis klar wird, dass die Figur in ihrer Heimatlosigkeit und Uneindeutigkeit über (Geschlechter-)Grenzen hinwegtranszendiert. Sie geht dem wissenden Engel zur Hand, dem Peggy Wurth ein tolles Schneeköniginnen-Kostüm auf den Leib geschneidert hat.

Gleichwohl stehen diese Elemente zu unvermittelt nebeneinander, ist der aufklärerische Impetus zu plakativ-pädagogisch. Da helfen auch mit Zitaten von Bell Hooks bis Kierkegaard überschriebene (und ins Französische übersetzte) Akte nicht zur Orientierung. Die Protagonistin, die sich und ihre Position im Feminismus sucht, hätte das Bindeglied sein müssen. Aber der rote Faden hält nicht; Elsa Rauchs Schauspielleistung ist eine der schwächeren im Ensemble: Verschreckt und passiv huscht sie durchs Bühnenbild. Statt in den Begegnungen mit anderen Fragestellungen und Perspektiven zu wachsen und ihrer Suche eine Richtung zu geben, bleibt sie – und die Zuschauerin – am Ende atemlos zurück.

Footnotes, Autorin: Claire Thill; Regie: Jenny Beacraft, Regieassistenz: Catherine Elsen, Kostüm: Peggy Wurth, Video: Lisa Kohl, Sound: Emre Sevendik, Produktion: Jill Christophe; mit Frédérique Colling, Damian Diaz, Stéphanie Ortega, Elsa Rauchs und Claire Thill. Weitere Vorstellungen am 10.12. um 20 Uhr im Théâtre national du Luxembourg und am 8.3.2020 um 17 Uhr in der Abtei Neumünster. Infos: www.ill.lu

Ines Kurschat
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