Während sich in der Börsenlandschaft Megafusionen anbahnen, versucht die Bourse de Luxembourg, als Weltmarktführer in ihrer Nische unabhängig zu bleiben

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d'Lëtzebuerger Land du 29.04.2016

„Falls die Fusion gelingt“, sagt Robert Scharfe, CEO der Luxemburger Börse, „wird sie für Europa strukturierend sein.“ Zum dritten Mal innerhalb von 15 Jahren versucht die Deutsche Börse ein Zusammengehen, beziehungsweise eine Übernahme des London Stock Exchange (LSE). „Ein Koloss“ nennt Scharfe den neuen Konzern, der aus der Transak­tion entstehen könnte. So groß, dass sich alle anderen Börsen in Europa, die sich der Konsolidierungswelle bisher bewusst widersetzt und für ihre Unabhängigkeit entschieden haben, fragen müssten, wie sie darauf reagieren. Dies vor allem, weil die EU derzeit eifrig an der Kapitalmarktunion arbeitet. Als drittes Element der Junckerschen EU-Investitionsoffensive sollen nationale Barrieren auf den europäischen Kapitalmärkten abgebaut werden, damit nach der Kreditklemme der Krisenjahre Firmen, egal ob groß oder klein, einfacher an Geld kommen, um ihre Aktivitäten auszubauen. Weniger Barrieren, ein großer Konzern, dazu schrumpfende Einnahmen aus dem Handel von Wertpapieren, wie werden sich die kleineren Börsen da positionieren?

Zu den Häusern, die bisher auf Unabhängigkeit gesetzt haben, gehört auch die Bourse de Luxembourg. Als die erste Welle von Übernahmen und Zusammenschlüssen Anfang der Nuller-Jahre Schwung aufnahm, entschied sich die Luxemburger Börse dagegen, Teil von Euronext zu werden, der Firma, in der die Börsen von Paris, Brüssel, Amsterdam und schließlich Lissabon zusammenfanden. Damals, erklärt Robert Scharfe, hätten die Fusionen vor allem zum Ziel gehabt, das Handelsvolumen zu erhöhen und technologische Synergien im Betrieb der Handelsplattformen herbei zu führen. Um technologisch den Anschluss nicht zu verlieren, beschloss die Bourse de Luxembourg, die Handelsplattform bei Euronext zu mieten. Um technologische oder regulatorische Updates muss sich der „Vermieter“ kümmern. Da auf dem Luxemburger Parkett ohnehin nur wenig gehandelt wird, hatte sie zum Transaktionsvolumen ohnehin nur wenig beizutragen.

Doch 2006 fiel mit der Mifid-Richtlinie das Handelsmonopol der Börsen in der EU. Seither findet ein nicht unerheblicher Teil des Aktienhandels auf alternativen Plattformen statt, den so genannten Multilateral trading facilities (MTF), die meist ohne physischen Handelsraum im Internet funktionieren und weniger strengen regulatorischen Anforderungen unterliegen. Keine Beschränkung auf nationale Wertpapiere, keine Räumlichkeiten, weniger Personal, weniger strenge Regulierung – die MTFs sind billiger im Handel als die etablierten Börsen, die sich nach alternativen Einnahmen umsehen mussten: der Handel mit anderen Wertpapierarten, Derivaten oder die Abwicklung von Termingeschäften, Clearing und andere Investoren-Dienstleistungen.

Seither, sagt Robert Scharfe, ist auch das Interesse am „Luxemburger Modell“ bei der Konkurrenz gestiegen. Da es nie wirklich einen nationalen Aktienmarkt gab und deshalb nie ausreichend Handelstransaktionen, musste die Luxemburger Börse schon früh ein Geschäftskonzept entwickeln, das nicht von den Einnahmen aus dem Aktienhandel abhängt. Sie hat sich deshalb zum internationalen Handelsplatz für Anleihen entwickelt. „Noch sind wir Weltmarktführer“, sagt Scharfe, der den neuesten Fusionsversuch von Deutsche Börse und LSE bisher gelassen betrachtet, „aber der Abstand schrumpft.“ Vor allem Singapur, so der CEO, habe sich klar zum Ziel gesetzt, das „Luxemburg Asiens“ zu werden, fernöstliche Emittenten auch in Fernost zu halten.

Rund 38 000 Wertpapiere sind an der Luxemburger Börse notiert. Damit verdient die Bourse ihr Geld. Vom Jahresumsatz von 42,6 Millionen Euro entstanden 2014 64 Prozent durch die Notierung von Wertpapieren. Der Umsatz im Handel belief sich auf knapp 60 000 Euro, beziehungsweise 0,2 Prozent. Nur 2 000 der an der hiesigen Börse notierten Anleihen werden aktiv gehandelt. Weshalb werden die Papiere dann überhaupt notiert? Weil die Notierung an einem geregelten Markt – an dem eine Finanzmarktaufsicht die Papiere prüft – oft Bedingung dafür ist, dass Investoren sie kaufen können, beispielsweise Pensions-, Anlegerfonds und Versicherungen. Oder auch dafür, dass die Zentralbank sie als Garantie, als Sicherheit akzeptiert.

Theoretisch könnten alle an der Bourse notierten Papiere gehandelt werden, erklärt Scharfe. Durch den Anschluss an die Euronext-Handelsplattform haben alle Broker im Euronext-System Zugang darauf. Das sei wichtig für die Sichtbarkeit der Papiere, führt der CEO aus, und das wiederum sei wichtig für die Ermittlung der Preise. Besagte Preise werden von Versicherungen und Pensionsfonds gebraucht, um ihre Portfolios zu bewerten.

Doch die Preise vieler Wertpapiere seien heutzutage immer schwieriger zu ermitteln. Datendienste wie Bloomberg oder Reuters, die sich bisher aus den Handelsräumen der großen Banken die Preise der Papiere mitteilen ließen, die im direkten Austausch zwischen den Banken ge- und verkauft wurden, stehen laut Scharfe vor einem Problem: Aus Kostengründen werden die großen Handelsräume auf das Minimum reduziert. „Deshalb sind viele Preise heute nicht mehr verfügbar.“ Sogenannte Proxy-Preise zu errechnen und an die Investoren zu verbreiten, ist daher eines der Projekte, an denen die Börse intensiv arbeitet. Dazu werden die Anleihen nach Emittenten, Laufzeiten und Qualität geordnet, die Transaktionspreise von vergleichbaren Papieren herangezogen und durch einen Algorithmus gejagt, der hypothetische Preise berechnet. Für 14 000 der 38 000 notierten Wertpapiere liefert die Bourse bereits täglich Proxy-Preise. Geht es nach Scharfe, sollen es 20 000 werden.

Das Liefern der Preise ist vielmehr ein Dienst für die Investoren, wie für die Emittenten, ebenso wie das kostenlose Bereitstellen von Informationen. Auf der Webseite der Bourse, die noch dieses Jahr erneuert werden soll, kann die gesamte Dokumentation, können alle Mitteilungen des Emittenten von jedem Papier abgerufen werden. Ein einmaliger Dienst am Investoren, sagt Scharfe. „Niemand kümmert sich so gut um die Investoren wie wir“, betont er. Das Kalkül: Wenn die Investoren zufrieden sind, verlangen sie von den Emittenten, in Luxemburg zu notieren.

„Wir sind in einer Nische aktiv“, sagt Scharfe über die Spezialisierung der Luxemburger Börse auf die Notierung von Anleihen. Darum herum versucht die Börse, den Service auszubauen, um die Kunden zu binden. Vielleicht ist es nicht so ungewöhnlich, dass die Bourse als großes Zentrum zur Anleihennotierung Weltmarktführer für gewisse Wertpapierarten ist. Dass die meisten Anleihen in chinesischer Währung außerhalb von China in Luxemburg notiert sind, nutzte die öffentlich-private Werbeagentur für den Finanzsektor Luxembourg for Finance, um im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der chinesischen Behörden und Investoren die Blicke nach Luxemburg zu lenken. Dabei sind die Dim-Sums, wie die Renminibi-Anleihen auch genannt werden, nur ein Klacks im Vergleich zur großen Masse. Insgesamt 60 sind derzeit noch an der Luxemburger Börse notiert, die vergangenes Jahr allein 10 991 neue Papiere notierte. Weil die Wirtschaft in China nicht mehr ganz so boomt, werden weniger Renminbi-Anleihen emittiert und die alten laufen aus.

Weltmarktführer ist die Bourse derzeit auch in der Notierung von sogenannten grünen Anleihen, die der Finanzierung von Projekten im Bereich Umwelt und erneuerbare Energien dienen. 50 Prozent der grünen Anleihen, ein Markt, der derzeit 100 Mil­liarden Euro schwer ist, sind in Luxemburg notiert. Dass die Bourse Weltmarktführer ist, „kann aber nicht so bleiben“, sagt Scharfe. Denn um die in Paris beim Klimagipfel ausgemachten Ziele zu erreichen, das habe der Internationale Währungsfonds errechnet, müssten 5,7 Billionen Dollar investiert werden. Dabei, unterstreicht Scharfe, sei es wichtig, dass schnell international geltende Mindeststandards bei den Kriterien gesetzt würden, nach denen entschieden wird, ob eine Anleihe als „grün“ anerkannt wird oder nicht. Die Bourse orientiert sich derzeit an den Prinzipien einer Reihe von internationalen Gre­mien und verlangt, dass ein konkretes Projekt vorliegt, eine gesonderte Buchführung und ein regelmäßiges Reporting stattfinden. Doch wenn dieser Markt, der von nationalen und internationalen Förderbanken dominiert ist, wachsen soll und mehr Firmenanleihen ausgegeben werden sollen, braucht es Standards, damit die Investoren Vertrauen gewinnen.

Michèle Sinner
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