Die luxemburgische Schauspielerin Désirée Nosbusch interviewte mit sechzehn Jahren Klaus Kinski, erlernte das Schauspiel in New York und feierte mit Bad Banks ein spätes Comeback. Der Versuch einer Annäherung

Im Blick zurück entstehen die Dinge

d'Lëtzebuerger Land du 08.04.2022

Irgendwann kommt immer der Moment, an dem man zurückschaut. Das passiert bei vielen, wenn die Kinder erwachsen sind, die Hälfte des Lebens ist vorbei. Was hat man denn nun eigentlich aus den ganzen Lebensstunden gemacht?

So muss es wohl auch Désirée Nosbusch ergangen sein. Mit 57 Jahren schaut sie in ihrer kürzlich Autobiografie „Endlich noch nicht angekommen“ auf ihr – nun doch außergewöhnliches – Leben zurück. Nicht selten als luxemburgisches Dummerchen abgetan und viel belächelt, ist sie als Figur durchaus einen genaueren Blick wert. Von der 13-jährigen Kindermoderatorin zur Grimme-Preis-prämierten Bad Banks-Darstellerin, das über verworrene, mitunter auch peinliche, Umwege: She has come a long way.

Ein Wort zum Buch. Wenn Désirée Nosbusch über Désirée Nosbusch schreibt, dann tut das oft ziemlich weh. Literarische Qualitäten sucht man in den 348 Seiten vergeblich: „Ich lernte von meinem Großvater, dass alles, was einem begegnet, immer auch eine Tiefe hat. Und dass alles, was passiert, immer zwei oder mehr Seiten hat. Und irgendwie auch immer eine gute, die man zu sehen lernen muss. Egal, welche Unglücke oder Probleme einem ins Leben rutschen: Man löst sie, und noch besser löst man sie mit einem Lächeln.“ Eine Platitüde jagt die nächste, in Virginia Woolfs Fußstapfen wird sie nicht treten, das kann man auch nicht erwarten. Mal liest das Ganze sich, als sei es ein 1:1 Transkript eines Gesprächs (der Journalist Jochen Siemens hat mitgearbeitet). Dann wirkt es wie ein Stream-of- consciousness-Tagebuch, das nicht redigiert wurde. Die Begegnungen und Anekdoten sind nicht uninteressant, wirklich spannend sind aufgrund des Stils allerdings nur die wenigsten Passagen. Die vielen Cringe-Momente werden minimal davon abgefangen, dass sie es vermeidet, sich allzuviel selbst zu beweihräuchern – darin liegt bekanntlich die große Herausforderung von Autobiografien.

Was macht ihr Leben denn nun spannend? Désirée Nosbusch ist keine Descendante der etablierten luxemburgischen Mittelklasse, sondern stammt aus einfachen Verhältnissen: Sowohl ihr Vater als auch ihr Großvater waren Lkw-Fahrer, die italienische Mutter arbeitete als Schneiderin. In der Schule war sie die Andere, Tochter von „Spaghettifréisser“, nicht wohlhabend genug um Urlaub in den Alpen oder an der Côte d’Azur zu machen. Das Interesse an einer Welt, die über ihr Elternhaus im Minetter Beles hinausgeht, kam unter anderem über Monni Jos, Intendant des Escher Theaters, in dessen Dienstwohnung sie öfter Proben lauschte. Ihre Faszination fürs Radio führte sie in die Kindersektion von RTL, wo ihre Karriere begann und sie als erstes Pierre „Winnetou“ Brice interviewte. Es folgten ein Schulabbruch, europaweite Moderationen, der Besuch einer Schauspielschule in New York, etliche Filme, auch in Luxemburg, mäßiger Erfolg, eine Ehe in L.A mit dem deutschen Filmkomponisten Harald Kloser, zwei Kinder, eine Scheidung, eine zweite Ehe, ein spätes, erfolgreiches Comeback mit der Serie Bad Banks.

Doch es sind die Anfangsjahre ihrer Laufbahn, die ein besonderes Augenmerk verdienen. Désirée Nosbusch hatte ihr Coming of age nämlich lange vor den Zeiten, in denen man über die Rolle von Frauen im Filmgeschäft gesprochen hat, über das, was hinter den Kulissen so vor sich geht. Jahrzehnte vor Metoo. Wir schreiben die 70-er und 80-er-Jahre, in denen (meist weibliche) Minderjährige regelmäßig dem Entertainment der älteren Generation dienen. Die Machtgefälle sind klarer, das Bewusstsein um Missstände kleiner. Sie schreibt: „Wieder andere versuchten mich bei meiner Suche nach mir selbst auszunutzen. Ich hatte als junge Frau noch nicht die Kraft und das Können, mich immer wieder dagegen zu wehren. (...) Junge Frauen wie ich mussten damals erst einmal alle diese üblichen Mädchenrollen überstehen, einigen Unsinn vor der Kamera machen und sagen, was sich Regisseure und Autoren über eine Welt ausdachten, zu der sie nicht gehörten. Ich war wirklich oft die Projektionsfläche von Vorstellungen anderer Menschen, meistens Männern. Und sie haben es ausgenutzt, dass wir jungen Frauen ausbrechen wollten, dass wir auf der Suche waren und noch in keiner Welt lebten, die ernst nahm, was wir dachten und sagten“.

Über solche Situationen gibt Youtube Aufschluss. In einem Ausschnitt aus der bayerischen Fernsehsendung „Auf Los gehts los“ mit Joachim Fuchsberger wird eine 16-jährige Désirée vom Moderator übers Knie gelegt, um ihr den Hintern zu versohlen. Bevor es dazu kommt, sagt sie mit großen Rehaugen: „Ich weiß, ich habe eine Strafe verdient und bitte um eine solche“. In der vorherigen Sendung hatte sie Franz Josef Strauß, den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten, kritisiert. Es ging um die Verbeamtung einer etwas runderen Frau. Désirée Nosbusch fand die Diskussion über ihr Körpergewicht zurecht doof. Sie spricht mit einem durchaus charmanten Selbstbewusstsein, einem authentischen Sinn für Gerechtigkeit. Du jamais vu im damaligen öffentlich-rechtlichen Fernehen, das prompt die Zusammenarbeit beendete.

Je mehr Aufmerksamkeit und Aufträge Désirée zu dieser Zeit bekam, desto mehr wurde sie von der Intelligenzija herabgesetzt. Im Oktober 1982 schrieb Georges Hausemer im Land, eine junge Nosbusch zitierend: „‚Ich bin nie auf eine Fete gegangen oder habe mich für Jungs interessiert, lieber habe ich‘, und jetzt kommt‘s: ‚ein gutes Buch gelesen‘. Da haben wir‘s also, jetzt ist sie endlich raus, die ganze Wahrheit, nun steht‘s definitiv fest, ohne Wenn und Aber: Désirée kann nicht nur jungfräulich-naiv ins Mikrophon kichern und herrlich-doof in die Kamera grinsen, nein, Désirée kann auch ... lesen ! Und vermutlich sogar schreiben.“

Diese Gehässigkeit hatte zu dieser Zeit Tradition. Wahlweise wurde sie in diesem Blatt als „ehrenwertes Filmnymphchen“ beschrieben, als „disco-geschädigte, vom Konsum angeturnt und gleichgeschaltete Jugendliche“, der Spiegel nannte sie ein „hübsches Nichts“. Auch wenn man sie – vor allem in den Anfangsjahren, als sie in Eckhardt Schmidts Der Fan minutenlang nackt vor der Kamera stand – kaum als hochkarätige Schauspielerin bezeichnen kann, war es doch wahrlich einfach, sich insgeheim an ihren schön-straffen Brüsten zu erfreuen, und sie gleichzeitig so lächerlich wie möglich zu machen. Ein wenig eingeschüchtert wirken die männlichen Rezensenten jener Zeit schon. Klaus Kinski einfach mal so um ein Interview zu bitten, wie sie es mit sechzehn Jahren tat, so einen Mut kannte man von jungen Frauen nicht. Es war in seiner selbstbewussten Naivität irgendwie bewundernswert. Was bildet die sich bloß ein?

Altherrenhumor ist das eine, Straftaten etwas anderes. Schon 2017 sagte Désirée Nosbusch über ihre Beziehung zu ihrem damaligen Manager Georg Bossert, früherer Direktor der RTL-Kindersektion und 26 Jahre älter als sie, es sei „nichts, was man irgendjemandem auf der Welt wünschen würde.“ Drei Jahre später sprach sie von Missbrauch, in ihrer Autobiografie schreibt sie: „Dieser Mann hat mich vergewaltigt. Ich weiß noch, wo und wann. Ich wollte es nicht, und was Liebe war, wusste ich nicht.“ Bossert habe außerdem ihre Finanzen verwaltet, sie „sei im Dunkeln gelassen worden“, was ihre monetären Erfolge anginge. Mit 25 Jahren floh sie und beendete die Beziehung. Bossert kann sich dazu nicht mehr positionieren. Er ist tot, sein Sohn hat ihn vor 27 Jahren während eines Streits erstochen.

Der Klassiker. Wenn Macht, Sex, Kontrolle und Geld konvergieren, verschwimmen die Grenzen. Alanis Morissette, Whitney Houston oder Mariah Carey erging es nicht anders mit ihren Beziehungen zu ihren Managern. 2018 gaben in einer Umfrage 94 Prozent der befragten Frauen, allesamt in der amerikanischen Filmwelt tätig, an, eine Form von sexueller Belästigung erfahren zu haben. Der Glanz und Glamour des Filmbusiness ist, spätestens nachdem Alyssa Milano im Oktober 2017 Metoo twitterte, ermattet, die Schaumkronen in den Sektgläsern prickeln kaum mehr. Sicherlich ist der Ruf nach weiblicher Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, wie ihn etwa die Philosophin Svenja Flaßpöhler in dieser Debatte tätigt, kein falscher. Doch insbesondere von sehr jungen Frauen kann nicht erwartet werden, dass sie zwischen Liebe und Ausbeutung unterscheiden können. Die Manipulation, das Einlullen haben leichtes Spiel – bis sie selber nicht mehr genau wissen, was sie eigentlich wollen. Diese Verwirrung, die Suche nach der eigenen Identität unabhängig von äußeren Zuschreibungen zieht sich auch durch Désirée Nosbuschs Jugend-
jahre, es ist ein Gefühl, auf das sie in ihrem Buch öfter zu sprechen kommt. Später, als ein Regisseur oder Produzent sie einmal im Bademantel in einer Suite empfing, habe sie sich „höflich lächelnd“ umgedreht und sei gegangen. „Ich entzog mich einer denkbaren Nähe sofort.“ Die allermeisten Begegnungen seien korrekt gewesen, vielleicht habe sie auch nur „Glück gehabt“ in diesem System, „das mit Gewalt den Körper enteignet“, nicht als „Beute wahrgenommen zu werden.“

Letztlich ist ein gesundes Selbstwertgefühl der Dreh- und Angelpunkt für wirkliche Emanzipation. „Ich glaube, ich habe in jungen Jahren nicht gelernt oder vorgelebt bekommen, sich selbst zu mögen“, schreibt sie. All das ist Jahrzehnte her. Verträumt schaut Désirée Nosbusch einen heute vom Buchcover an, etwas melancholisch, auch ruhig, als wolle sie sagen: Ein wenig Frieden habe ich inzwischen doch in mir gefunden.

Sarah Pepin
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