Sparmaßnahmen, Werteunterricht, Mehrsprachigkeit – die Liste seiner Vorhaben ist lang. Erziehungsminister Claude Meisch (DP) im Gespräch

„Es geht mir nicht mordicus um Sparen“

d'Lëtzebuerger Land du 27.03.2015

D’Land: Herr Minister, Sie sind jetzt über ein Jahr im Amt. So schnell wie Sie hat noch kein Bildungsminister Gewerkschaften und Lehrer gegen sich aufgebracht. Gibt es im Sparstreit eine Aussicht auf Einigung?

Claude Meisch: Wenn beide Seiten eine Einigung wollen, dann finden wir eine. Wir hatten bisher zwei Verhandlungsrunden vor dem Schlichter. Die erste verlief gut. Ich hatte sogar das Gefühl, wenn wir noch zwei Stunden dran gehängt hätten, hätten wir einen für alle gangbaren Weg gefunden. Die zweite Runde war das Gegenteil, da sind wir in die falsche Richtung gerudert.

Falsch aus Ihrer Perspektive.

Wir hatten uns zunächst darauf verständigt, ein Paket aus drei Komponenten zu schnüren. Plötzlich sollte die Abmachung nicht mehr gelten. Wenn man sich einmal geeinigt hat und danach die andere Seite wieder einen Schritt zurückgeht, geht das nicht. So kommen wir nie voran. Das habe ich klar gesagt.

Die Gewerkschaften fordern, neben Sparmaßnahmen auch andere bildungspolitische Änderungsvorhaben in die Vermittlungsrunden einzubinden.

Wir können nicht jede Schulreform in der Vermittlung behandeln.

Sie haben die Sparmaßnahmen immer budgetär begründet, kaum pädagogisch. Sind Sie die Sache zu sehr als Banker angegangen?

Es geht mir nicht mordicus ums Sparen. Aber der Haushalt und die begrenzten Ressourcen, die wir in der Bildung haben, sind eine Realität, der ich mich stellen muss. Es war nicht meine Wahl, den Akzent auf die Sparmaßnahmen zu setzen. Wenn die Gewerkschaften mehr über meine anderen Vorschläge geredet hätten, wäre auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit eine andere.

Die Gewerkschaften sehen bei der Klassenwiederholung Einsparpotenzial. Wie soll das gehen, ohne dass Schüler massiv durchfallen?

Fakt ist, dass der Anteil an Schülern, die eine Klasse wiederholen müssen, noch immer hoch ist, Fakt ist auch, dass uns das teuer kostet. Studien belegen, dass das Sitzenbleiben dem Schüler nicht viel bringt und ihn eher noch entmutigt. Wir müssen Formen von Nachhilfen anbieten, um Schüler mit Lernschwierigkeiten rechtzeitig zu unterstützen. Die Frage ist, ob das geht, wenn wir unsere Lehrer schon mit 45 Jahren eine Stunde daheim lassen. Oder wenn Lehrer nach der Betreuung der Abschlussklassen nicht für die Schule zur Verfügung stehen. Wir haben in der Grundschule viele Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten. Da gibt es einzelne Initiativen, aber es fehlen Ressourcen, um ihnen unter die Arme zu greifen. Ich möchte diese Löcher stopfen. Das geht nur, wenn wir über die Finanzen reden.

Die Gewerkschaften laufen nicht nur Sturm gegen Ihre Pläne im Secondaire – auch den neuen Stage, den neuen Stundenplan in der Grundschule, oder Änderungen bei der Orientierung lehnen sie ab.

Es ist nicht mein Ziel, ständig mit den Gewerkschaften einer Meinung zu sein. Es ist ihre Rolle, die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder zu verteidigen. Beim Streit um die Einsparungen im Secondaire war es aber so, dass die Gewerkschaften plötzlich von den Lehrerkomitees überholt wurden. Das ist schon eine spezielle Situation. Denn dadurch stehen die Gewerkschaften als verlässliche Verhandlungspartner in Frage.

Die DP hatte im Kontext der Sekundarschulreform Lehrern versprochen, die Basisdemokratie zu stärken. Die Komitees begreifen sich als Basis.

Wenn ich in die Schulen gehe, merke ich, dass dort oft andere Diskussionen geführt werden. Viele Lehrer versuchen, ihren Beruf so gut wie möglich zu machen. Wenn wir weitere Aufgaben in die Schulen verlagern wollen, wird das sicher auch in einer basisdemokratischen Weise geschehen. Allerdings heißt das nicht, dass jeder Lehrer machen kann, was er will; die Schule steht in der Pflicht. Dieselbe Herangehensweise haben wir bei der Orientierung gewählt: Wir geben einen Rahmen und Bildungsziele vor, aber es ist an den Schulen, zu entscheiden, wie sie diese erreichen wollen.

Zur Autonomie, die sich zumindest die Direktoren wünschen, zählt auch, Lehrer selbst einzustellen.

Wir diskutieren derzeit mit den Schulleitungen, was für eine Autonomie wir brauchen, wo sie spielen kann – aber auch, was die Risiken davon sind. Derzeit werten wir aus, was die budgetäre Autonomie, die es ja bereits seit vielen Jahren in den Schulen gibt, gebracht hat. Die Personalfrage hängt eng mit der pädagogischen Ausrichtung einer Schule zusammen. Wenn eine Schule ein bestimmtes Profil hat, muss sie das Personal einstellen können, das zu ihr passt und ihr pädagogisches Projekt mitträgt.

Birgt das nicht das Risiko, dass Schulen noch stärker als ohnehin in Konkurrenz zueinander treten und versuchen werden, die besten Schüler und Lehrer für ihre Schule zu gewinnen? Und sich somit die soziale Selektion verschärft?

Die Schule hat als erstes die Aufgabe, alle Schüler zu integrieren und ihnen die gleichen Chancen auf eine Ausbildung zu geben. Das muss so in den Leitlinien stehen. Autonomie bedeutet, Verantwortungen anders aufzuteilen, es kann nicht sein, dass Schulen schwache Schüler ablehnen. Es ist die Aufgabe des Ministeriums sicherzustellen, dass das nicht geschieht.

Wer soll darüber wachen? Anders als in der Grundschule gibt es bei den Sekundarschulen keine Schulaufsicht, respektive kein Inspektorat.

Wenn wir Kompetenzen an die Schulen delegieren, muss klar sein, dass es seine Form des Reporting und der Kontrolle geben muss. Ohne dabei die Autonomie zu ersticken. Wie diese Kontrolle aussehen kann, ob in Form eines regelrechten Inspektorats oder in Form von erweiterten Kompetenzen für unsere Abteilung Sekundarschulen im Ministerium, überlegen wir derzeit noch.

Der Sprachenunterricht ist eine Dauerbaustelle, über die seit Jahren diskutiert wird. Die Mängel sind bekannt, wann wird endlich gehandelt?

Wir brauchen im Sprachangebot mehr Flexibilität, um der Vielfalt und den unterschiedlichen, auch sprachlichen, Biografien unserer Schüler gerechter zu werden. Wir haben bereits internationale Sprachangebote in unseren öffentlichen Schulen. Ich habe mit dem portugiesischen Botschafter das Lycée Michel Lucius mit seinen Englischklassen besucht. Das ist ein prima Modell für Schüler, die später in unser Land kommen. Die geplante Europaschule in Differdingen wird Englisch und Französisch als Unterrichtssprachen anbieten, daneben sollen vier Nebensprachen angeboten werden, darunter Portugiesisch. Dazu gehört ein Pilotprojekt, das die Bedeutung der Muttersprache untersucht. Andere Schulen versuchen, die Muttersprache im Unterricht aktiv einzubinden und so aufzuwerten. Wenn wir die Schüler in ihrer Mehrsprachigkeit wahrnehmen wollen, dann müsse wir früh ansetzen – und unsere Bildungseinrichtungen dafür öffnen.

Wenn Sie die öffentliche Schule immer weiter für andere Sprachen öffnen, was bedeutet das für die herkömmliche Dreisprachigkeit?

Sicher gibt es Sprachbegabte, die weiterhin den Anspruch haben, in der Schule die drei Landessprachen auf hohem Niveau zu lernen. Ich will das Angebot beibehalten, sonst würde ich etwas für Luxemburg Wesentliches beschneiden. Nur können wir nicht länger alle Schüler nach demselben Muster behandeln, dafür ist die Vielfalt in den Schulen zu groß. Das ist kein Angriff auf die herkömmliche Schule, sondern eher die Erkenntnis, dass es mittlerweile ganz unterschiedliche Schüler in unseren Klassen gibt. Es geht also darum, mehr Wege aufzumachen, damit auch sie eine faire Chance bekommen, einen Abschluss zu machen.

Sie sind Kinder- und Jugendminister. Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war es, eine sprachliche Frühförderung auf Französisch und Luxemburgisch anzukündigen. Wie passt das dazu, die Mehrsprachigkeit zu fördern?

Auch ein Bildungsminister kann hinzulernen und ich habe gelernt, dass die sprachliche Situation in Luxemburg so komplex ist, dass Vereinfachungen nicht dienlich sind. Gleichwohl ist es grob gesagt so, dass hierzulande luxemburgisch-sprachige Kinder tendenziell eher in luxemburgisch-sprachige konventionierte Kinderkrippen und Kindergärten gehen, während nicht-luxemburgische oft in privaten Einrichtungen sind, wo das Betreuungspersonal Französisch spricht. Sie kommen also kaum mit Luxemburgisch in Berührung, was die sprachliche Segregation nur verstärkt. Wir probieren, diese Situation zu ändern. Es stellen sich mehrere Fragen, etwa was die Wertschätzung und Förderung der Herkunftssprache angeht, welche Qualifikation für das Personal, et cetera. Das ist eine Herausforderung nicht nur für uns, sondern ebenso für die Wissenschaft. Vielleicht liegt die Antwort darin, nicht ein Konzept für alle anzubieten, sondern viele Konzepte mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der sprachlichen Frühförderung, je nach Träger, Region und Nachfrage.

Laufen Sie dadurch, dass Sie die Sprachförderung in die frühe Kindheit verlagern, nicht Gefahr, die Sprachlastigkeit unseres Bildungssystems zu verstärken?

Es geht in der Frühförderung nicht um einen Unterricht, sondern darum, den Zugang zu den Landesprachen zu fördern und Kinder, die daheim nicht Luxemburgisch sprechen, frühzeitig dabei zu unterstützen, sich in unserem Schulsystem zurechtzufinden. In der Krippe lernen Kinder die Sprache auf eine spielerische Art und Weise, sie entdecken die Welt und imitieren sie. Wir müssen sie unterstützen, sie früh mit den Sprachen des Landes familiarisieren, damit sie später Anschluss an die Anforderungen in der Schule finden und eine faire Chance auf einen Abschluss haben.

Das würde bedeuten, dass sich Erzieher und Lehrer stärker als bisher Gedanken über die Didaktik und Methoden des mehrsprachigen Spracherwerbs und der Sprachförderung machen müssten. Die Didaktik ist und bleibt aber die Achillesferse der Lehrerausbildung.

Ja. Wir überlegen derzeit, wie wir Schulmaterialien und Lehrmittel entwickeln können, die eine echte Hilfe für die Lehrer im Umgang mit der sprachlichen Vielfalt darstellen. Im Augenblick sieht das in jedem Fach ein wenig anders aus: Die einen arbeiten mit Schulbüchern aus dem Ausland, anderes wurde selbst entwickelt oder Lehrer haben sich das zusammengesucht, mit mehr und weniger Erfolg. In der Grundschule herrscht Lehrmittelfreiheit. Da fehlt es mir an der Kompetenz und Vernetzung. Das gilt auch für die Lehrerausbildung, die eng mit dem Stage zusammenhängt, sowie für die Programmkommissionen, wo Technique und Classique getrennt sind. Das könnten wir besser machen.

Sie wollen die Programmkommissionen reformieren.

Ein erstes Pilotprojekt sind die Arbeiten am neuen Werteunterricht. Die dortige Arbeitsgruppe ist eine Art Programmkommission, die von externen Experten begleitet wird. Das Ministerium setzt einen Rahmen mit Leitlinien, die die Arbeitsgruppe didaktisch-methodisch im Programm umsetzen muss. So ähnlich stellen wir uns das für die Programmkommissionen anderer Fächer vor. Die Schule soll nicht unter sich bleiben, sondern in einem nächsten Schritt sollen andere Akteure aus der Zivilgesellschaft, den Betrieben ihr Feedback geben.

Für Ihre Herangehensweise beim Werteunterricht werden Sie scharf kritisiert. Ihr Rahmenplan soll die Religionen überbetonen. Auch Ihre Entscheidung, Kopftuch, Kreuz und Kippa den Kindern in der Schule zu erlauben, wird teils sehr kritisch gesehen.

Wenn ich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland zum Kopftuch sehe, müsste ich eigentlich mein Rundschreiben umschreiben und das Kopftuch für Lehrerinnen erlauben. Religionen gehören zur Gesellschaft. Wir können in der Schule keinen Raum schaffen, in denen Aspekte der Gesellschaft ausgeklammert sind. Wenn es Diskussionen um Kopftücher gibt, können wir diese nicht vor die Schultore verlagern, das ist nun einmal so in einer offenen Gesellschaft. Wenn wir Toleranz wollen, müssen die Schüler lernen, um was es bei den Religionen geht. Wir wollen mit dem Werteunterricht den Schüler stärken und erreichen, dass er sich seinen eigenen moralischen Wertekompass erstellt.

Wie gehen Sie damit um, dass religiöse Symbole wie das Kopftuch oft politisch missbraucht werden – und wo ziehen Sie die Grenze?

Die Konvention zwischen Staat und Religionen sieht vor, dass sämtliche Religionsgemeinschaften ein klares Bekenntnis zu den Werten der Verfassung, wie Gleichheit, ablegen, wenn sie Geld vom Staat bekommen wollen. Mit einer Burka in die Schule zu kommen, geht schon deshalb nicht, weil ohne die Identität preiszugeben, eine echte Schüler-Lehrer-Beziehung praktisch unmöglich ist. Klar ist außerdem, dass der Lehrplan, auch der Schwimmunterricht, für alle gilt.

Ines Kurschat
© 2024 d’Lëtzebuerger Land