Musikbusiness

Salonfähiger Jazz

d'Lëtzebuerger Land du 24.12.2009

Mit ihm ist die Jazz-Szene in Luxemburg groß geworden. Gast Waltzing war von Anfang an dabei. Als junger Wilder ist er Mitte der Achtzigerjahre durchs hauptstädtische Konservatorium gestampft. Die Lederstiefel und das offene, sich etwas unelegant hinter dem Kahlkopf über die Schultern hinab stürzende Haar, vor allem aber die Musik, die er propagierte, waren im bierernsten Ambiente des Luxemburger Musikunterrichts vielen ein Dorn im Auge. „Dass sich ein klassisch geschulter Trompeter eher als Jazzmann sah, mochten die wenigsten meiner Kollegen verstehen“, erinnert sich Waltzing im Gespräch mit dem Land. Vor allem stieß er auf Unverständnis, als er seine eigene Klasse für den Nachwuchs im Jazz beanspruchte.

Heute ist Waltzing ruhiger geworden. Er hat einiges bewegt in der Jazzszene des Großherzogtums. Nach nur vier Jahren Tätigkeit als Professor für Trompete, gab die Leitung des Konservatoriums der Hartnäckigkeit des unkonventionellen Trompeters nach und gestattete ihm, seine eigene Jazz­abteilung ins Leben zu rufen. Das war 1986. Heute hat das Jazz-Departement des Konservatoriums der Stadt Luxemburg eine Renommee, das weit über die Grenzen des Landes reicht. Waltzing selbst hat neben seiner Lehrtätigkeit vom klassischen Jazz über elektronische Experimente bis hin zu Hip Hop und Rap nahezu alles erforscht, was das Musikgeschäft hergibt.

Damals, in den Achtzigern, genauer, 1984, als Gast und seine Frau Maggie Parke noch mit der Jazz-Formation Atmosphere auf der Bühne standen, riefen die beiden rastlosen Künstler ihre eigene Produktionsfirma, die Waltzing-Parke Productions, später als Sàrl. rechtlich abgesichert, ins Leben. Aus dem heute 25-jährigen Unternehmen ist jede Menge Musik entstanden: die Konzerte von Park Cafe und deren Auftritt beim Grand-Prix Eurovision de la Chanson 1989, zahlreiche Jazz- und Crossover-Projekte mit dem RTL-Sinfonieorchester und dem heutigen OPL, die originelle Rockoper Smalltime oder die über 160 Kompositionen für Film und Fernsehen, darunter die Musik zu A Wopbopaloobop A Lopbamboom, dem frechen Kultstreifen von Andy Bausch.

Neben dem 25-jährigen Bestehen von Waltzing-Parke Productions feierte Waltzing in diesem Jahr ein weiteres Jubiläum. Vor fünf Jahren gründete er das Label WPR Records. 2001 schon hatte sich Waltzing in den früheren Arbed-Hallen in Dommeldingen ein mit 350 Quadrat­metern mehr als nur geräumiges Studio eingerichtet. Hier, auf diesem Industriegelände, das zwischendurch auch schon als Filmstudio benutzt wur-de, pusht er mit WPR Records talentierte Nachwuchskünstler wie David Laborier und Jeff Herr, Benoît Martiny und Michel Reis. Die jungen Musieker rekrutiert er überwiegend aus der Jazzklasse des Luxemburger Konservatoriums. „Die Jungs sind unglaublich“, schwärmt Waltzing. „Ich will keinen Abklatsch auf das Gewesene, auch wenn er noch so professionell gemacht ist. Ich liebe das Ungezwungene, das Spontane an meinen Künstlern, ihre Neugier nach unerforschtem Terrain.“ Das mag nicht jedermanns Sache sein, und sicher komme dabei der eine oder andere schräge Ton heraus. „Vorwerfen, sie seinen nicht originell, kann ihnen allerdings niemand.“

Und auch Waltzing selbst greift für sein Label nicht selten zur Trompete. Im Oktober brachte er das dritte Album seiner Band Largo heraus. It’s all about us heißt die Scheibe, die mit dem originellen Sound ihrer Nummern zweifellos an den Erfolg der beiden ersten Alben anknüpfen wird. Schon die Debüt-Platte der Forma-tion, Fables of Lost Time, war ein großer Wurf. Das Album war eine Hommage an die ganz Großen des Jazz, vor allem Miles Davis und John Coltrane. Dennoch scheute sich Waltzing nicht, mit keckem Hip-Hop, mysteriöser Elektronik und akustischen Elementen der zeitgenössischen klassischen Musik, neue Wegen einzuschlagen. Das Resultat: Nach ihrem großen Erfolg mit Fables of Lost Time war Largo die erste europäische Band, die zum renommierten Clearwater Jazz Festival eingeladen wurde. „Eine der ganz großen Errungenschaften von WPR Records in den vergangenen fünf Jahren ist die zunehmende Präsenz bei internationalen Festivals und Jazz-Meetings“, betont Gast Waltzing.

Zufrieden lehnt er sich im plüschi-gen Sofa in seinem Studio zurück. Weit mehr als 75 000 Scheiben hat WPR Records bis heute produziert. Begeistert zeigt sich der Künstler auch über das Angebot an Jazzmusik in Luxemburg: Die neuen Einrichtungen, die Neumünsterabtei, die dezentralisierten Kulturzentren, vor allem aber die Philharmonie hätten ganz richtig auf die ungeheure Nachfrage reagiert. „Sie haben den Jazz salonfähig gemacht. Allein die Tatsache, dass sich eine Institution wie die Philharmonie mit ihrem Zyklus Jazz and Beyond für uns einsetzt, ist ein großartiger Verdienst, aber es hat lange gebraucht, bis der Jazz zum wahren Klassiker avanciert ist.“ In den heiligen Hallen der ernsten Muse gibt Waltzing mit Largo am 18. Mai 2010 ein nächstes Konzert im Rahmen dieses zum Renner avancierten Zyklus.

Eines muss man diesem Künstler lassen: Er hat einen ganz besonderen Riecher für originellen Jazz und stilvollen Blues, auch und vor allem wenn sich dieser weitab vom Mainstream bewegt. Bei der Midem in Cannes war er vor fünf Jahren Calvin Owens begegnet: der damals 74-jährige Trompeter, Bandleader, Arrangeur und langjährige BB-King-Gefährte befand sich in einem Abwärtstrend seiner Karriere. Als Waltzing Owens souveränen Mix aus Hip Hop und Rap, Blues und Soul, Big Band und Variété hörte, glaubte er sofort an den Altkünstler, nahm ihn bei WPR unter Vertrag und produzierte mit ihm das großartige Album Stop Lying in my Face. Letztes Jahr ist der Bluestrompeter im Alter von 78 Jahren gestorben.

Derzeit verhandelt Waltzing Owens Familie über das künstlerische Vermächtnis dieses brillanten Musikers: „Ich möchte ihm in den kommenden Jahren mit mehreren Projekten meine Reverenz erweisen.“ An Ideen für die künftigen Jahre von WPR Records fehlt es Waltzing nicht. Auch nicht an viel versprechenden jungen Talenten. Das Label hat sich in den letzten fünf Jahren zu einer aus der Jazzszene Luxemburgs nicht mehr wegzudenkenden Plattform entwickelt.

Marc Fiedler
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