20 Monate nach seinem Herzinfarkt kämpft der frühere Vizepremier und Justizminister gegen seine Démission honorable und will sich nicht mit einer Invalidenrente abfinden. Er möchte einen Präzedenzfall schaffen

Ich, Félix Braz

Auf dem Parteikongress Ende 2018
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 21.05.2021

Krise Am 22. August erlitt der damalige Justizminister und Vizepremier Félix Braz während eines Ferienaufenthalts an der belgischen Küste einen lebensgefährlichen Herzinfarkt und musste auf die Intensivstation. Sein Zustand war kritisch und seine Abwesenheit stürzte die Grünen, die wegen der Datenschutzaffäre bei der Justiz und dem Gartenhaus-Skandal um Roberto Traversini eh schon politisch unter Druck standen, in eine Krise. Am 28. August übernahm François Bausch die laufenden Angelegenheiten im Justizministerium, eine Woche später wurden die Kompetenzen zeitlich begrenzt auf Sam Tanson übertragen. Félix Braz, der inzwischen aus dem künstlichen Koma erwacht war, bleibe weiterhin Mitglied der Regierung, versicherte Premierminister Xavier Bettel (DP) am 6. September.

Am 25. September beschlossen die Grünen dann doch eine Regierungsumbildung. Bausch wurde Vizepremier, Sam Tanson übernahm die Justiz und Henri Kox das Wohnungsbauressort. Semiray Ahmedova und Chantal Gary rückten ins Parlament nach und die Grünen konnten ihrer Krise trotz der Trauer um den ein Jahr zuvor verstorbenen Camille Gira und des Infarkts von Félix Braz noch etwas Gutes abgewinnen, weil sie zur Erneuerung der Partei beitrug. Am 3. Oktober bestätigte ein außerordentlicher Parteikongress die Umbildung. Wegen seines Gesundheitszustands gestand Großherzog Henri am 11. Oktober Félix Braz per Verordnung eine Démission honorable aus der Regierung zu.

Démissions honorables werden in der Regel auf Anfrage der Betroffenen erlassen, etwa wenn Minister/innen nach einer Regierungsumbildung infolge von Wahlen aus dem Amt scheiden oder, wie im Fall von Maggy Nagel oder Étienne Schneider, (mehr oder weniger) freiwillig zurücktreten. Félix Braz habe selbst nie einen Antrag auf Démission honorable beim Staatschef oder beim Premierminister eingereicht, heißt es aus seinem Umfeld. Der Großherzog hat laut Verfassung zwar das Recht, Minister/innen ihres Amtes zu entheben (révoquer), was er aber bei Félix Braz offiziell nicht getan hat. Ist seine Démission honorable demnach rechtens? Diesen Sachverhalt soll das Verwaltungsgericht nun prüfen. Der Anwalt Jean-Marie Bauler hat im Auftrag des früheren Justizministers Einspruch eingelegt, nachdem eine außergerichtliche Einigung mit der Regierung nicht möglich gewesen sei, wie Bauler gegenüber dem Land erklärt. Weder Premierminister Xavier Bettel noch Vizepremier François Bausch wollten sich auf Land-Nachfrage zu dem Sachverhalt äußern.

Geld Der Rekurs hat auch finanzielle Ursachen. Was im Falle von Félix Braz nicht verwerflich sei, denn er müsse für seine Familie sorgen, findet sein Umfeld. Seine Frau hat unbezahlten Urlaub genommen, um ihn bei der Genesung zu unterstützen, seine beiden Kinder studieren. Das Gesetz über die Pensionen von Staatsbeamten sehe klare Prozeduren für Regierungsmitglieder vor, die ihr Amt niederlegen, unterstreicht Grünen-Präsident Meris Sehovic. Tatsächlich regelt das Gesetz, unter welchen Bedingungen Minister/innen ein Anrecht auf eine (Alters-)Rente haben, doch auf Félix Braz treffen sie nicht zu, weil er mit 55 Jahren noch zu jung ist und noch nicht über ausreichend Dienstjahre verfügt. Für den Fall, dass ein/e Minister/in die Regierung ohne Rentenansprüche verlässt, sieht das Gesetz vor, dass er/sie noch drei Monate Gehalt (24 000 Euro) erhält, jedoch ohne jeton de représentation (es bleiben rund 16 000 Euro). Für die folgenden 21 Monate steht ihm/ihr ein Übergangsgehalt (traitement d'attente) zu. Laut Ministerium für den öffentlichen Dienst beträgt dieses rund 7 000 Euro Brutto. Im konkreten Fall von Félix Braz liegt es bei rund 5 000 Euro Netto und läuft im Oktober aus. In der Zwischenzeit steht es dem ausgeschiedenen Minister offen, einen Posten als Leiter einer öffentlichen Verwaltung oder als Berater am Obersten Gerichtshof anzunehmen. Dies sei bei Braz jedoch schwierig, weil er noch längst nicht wieder im Vollbesitz seiner Kräfte sei, heißt es aus seinem Umfeld. Es scheint unwahrscheinlich, dass er den arbeitsmedizinischen Test bestehen würde.

Wenn er sich nicht selbstständig macht oder eine Stelle in der Privatwirtschaft annimmt, bliebe für Braz nur noch die Invalidenrente. Er müsste sich, wie (fast) jede/r normale Beamt/in, der Untersuchung eines Kontrollarztes unterziehen und seine Akte würde von der Pensionskommission begutachtet (laut Chambre des fonctionnaires et employés publics gelten für Regierungsmitglieder die gleichen Prozeduren wie für Beamten). Die Höhe der Invalidenrente würde auf seine gesamte berufliche Karriere berechnet. Wegen der Vielfältigkeit seiner Tätigkeiten ist der genaue Betrag nur schwer zu ermitteln. Der Sohn portugiesischer Einwanderer war nach einem abgebrochenen Jura-Studium erst Radiomoderator bei RTL (1990 und 1991), danach wurde er Fraktionssekretär bei den Grünen. Von 2000 bis 2011 war er Schöffe von Esch/Alzette. 2004 wurde er in die Kammer gewählt. Von 2013 bis 2019 war er Minister. Auch das traitement d'attente wird angerechnet. Insgesamt hat er also über 30 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt, davon 20 Jahre als Schöffe, Abgeordneter und Regierungsmitglied, was den scheidenden linken Abgeordneten Marc Baum dazu veranlasst, ungeachtet der menschlichen Tragödie von einem „Luxusproblem“ zu reden.

Fonction dirigeante Neben dem Rekurs gegen die Demission hat Me Bauler noch einen zweiten Einspruch vor dem Verwaltungsgericht gegen das Centre de gestion du personnel et de l'organisation de l'Etat (CGPO) eingelegt, bei dem es um das traitement d'attente geht. Darin beruft der Anwalt sich auf ein Gesetz von 2005 über die Nominierung von leitenden Beamt/innen (fonction dirigeante) in öffentlichen Verwaltungen und Diensten, das im Rahmen der großen Reform des Beamt/innen-Statuts von 2015 (und 2018) noch einmal abgeändert wurde, wie er im Gespräch mit dem Land erläutert. Dieses Gesetz sieht vor, dass hohe Beamt/innen nicht mehr auf Lebenszeit, sondern nur noch für eine Dauer von sieben Jahren ernannt werden. Wenn ihr „Mandat“ nach Ablauf dieser Frist nicht erneuert wird oder wenn sie abberufen werden, weil sie mit der Politik der Regierung nicht mehr einverstanden sind, oder wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sind, ihre Funktionen zu erfüllen, müssen sie nicht dieselben Prozeduren wie gewöhnliche Beamt/innen (Disziplinarverfahren, Rentenkommission) durchlaufen, sondern können in einer unteren Laufbahn reklassiert werden, ohne aber auf ihr hohes Gehalt (im obersten Besoldungsgrad) verzichten zu müssen. Laut Ministerium für den öffentlichen Dienst müssen die Beamt/innen dafür jedoch mindestens sieben Jahre in einer leitenden Funktion gewesen sein. Ferner müsse jede/r Beamt/in, der/die innerhalb eines Jahres sechs Monate krankgeschrieben ist, sich dem Kontrollarzt präsentieren. Selbst (ehemalige) leitende Beamt/innen seien davon nicht ausgenommen, unterstreicht das Ministerium.

Sollte das Verwaltungsgericht Félix Braz' Einspruch stattgeben und ihn rechtlich mit leitenden Beamt/innen gleichstellen, könne er möglicherweise einen Congé thérapeutique (in Teilzeit) inklusive Einkommenszuschlag zum Besoldungsgrad A1 beantragen, der auch seiner gesundheitlichen Verfassung gerecht werden würde, hofft sein Umfeld. Umso mehr er sich auf dem Weg der Besserung befinde und vor Ende des Jahres nicht mit einem Urteil zu rechnen sei.

„Wieso soll ein Minister, wenn er sein Mandat nicht mehr ausüben kann, anders behandelt werden als ein leitender Beamter?“, fragt Jean-Marie Bauler und beruft sich dabei auf Artikel 10bis der Verfassung (Les Luxembourgeois sont égaux devant la loi). Sowohl die Ernennung der Minister/innen als auch die der hohen Beamt/innen seien politische Entscheidungen, sagt Bauler. Félix Braz, der dem Land nicht persönlich antwortete, sondern sich von einer Vertrauten vertreten ließ, deutete am 12. Mai auf Twitter an, er wolle einen Präzedenzfall schaffen. Politische Beobachter/innen finden, dass der Rekurs 18 Monate nach der Démission honorable reichlich spät komme. Sein Umfeld begründet dies damit, dass Félix Braz sich erst erholen musste, bevor er handeln konnte.

Sans portefeuille Neben der juristischen enthält der Rekurs von Félix Braz aber auch eine politische Dimension. Hätten Grüne und Regierung im Oktober 2019 eine andere Lösung finden können, als seinen Rücktritt zu beschließen? Und wenn ja, welche? Von Gewerkschaftsseite wird darauf hingewiesen, dass bei dem Rücktritt nicht einmal der gesetzliche Kündigungsschutz von 26 Wochen eingehalten wurde. Hätte die Regierung mit der Umbildung noch warten müssen? Krankenurlaub für Regierungsmitglieder sieht das Gesetz nicht vor. Laut seinem Umfeld hätte man ihn als „Ministre sans portefeuille“ in der Regierung halten können, während ein anderer für ihn nachgerückt wäre, um seine Geschäfte zu übernehmen. Damit seien der Staatsminister und seine Partei aber nicht einverstanden gewesen, weil die Grünen dann eine/n Minister/in mehr gehabt hätten, erzählt eine Person, die Félix Braz nahe steht. Aus den Rängen der linken Opposition wird bemängelt, dass dies einem (sehr hohen) bedingungslosen Grundeinkommen gleichgekommen wäre. Auf jeden Fall hätte sein Umfeld sich eine schnelle unbürokratische Lösung gewünscht und ein neues Gesetz, das Krankheitsfälle von Regierungsmitgliedern regelt.

Die Grünen begründen die Entscheidung der schnellen Regierungsumbildung damit, dass im Oktober 2019 noch nicht abzusehen gewesen sei, ob sich Braz' Zustand verbessern würde. Das Amt des Vizepremiers und des Justizministers sei fast anderthalb Monate nicht besetzt gewesen und die anderen vier Minister/innen hätten seine Arbeit übernommen. Dieser Zustand hätte nicht dauerhaft aufrechterhalten werden können, sagt Meris Sehovic. Einer Gesetzesänderung würden die Grünen sich nicht verschließen, die Diskussion über soziale Absicherung und Invalidenrente sollte aber insbesondere in Pandemiezeiten gesamtgesellschaftlich und nicht allein für Regierungsmitglieder geführt werden. LSAP-Präsident Yves Cruchten weist darauf hin, dass auch für Abgeordnete keine ausreichende soziale Absicherung existiert, insbesondere wenn sie vorher in der Privatwirtschaft tätig waren.

Ein politisches Comeback von Félix Braz ist derweil nicht auszuschließen. Durch sein Ausscheiden aus der Regierung sollte er nun eigentlich erster Nachrücker im Südbezirk sein. Die Entscheidung darüber obliege dem Kammerbüro, meint Meris Sehovic. Sollte also ein/e weitere/r grüne/r Minister/in oder Abgeordnete/r (aus dem Süden) zurücktreten, könnte Braz wieder ins Parlament kommen. Einen medizinischen Test muss er dafür nicht absolvieren. Einzige Voraussetzung ist, dass er den Eid ablegt.

Luc Laboulle
© 2024 d’Lëtzebuerger Land