Interview mit Umweltminister Charles Goerens (DP)

Bald kommt der Klimatisch

d'Lëtzebuerger Land du 29.05.2003

d'Lëtzebuerger Land: In welchem Ihrer drei Ministerressorts arbeiten Sie am liebsten - in der Verteidigung, der Entwicklungshilfe oder der Umwelt?

 

Charles Goerens: Ich arbeite am meisten in der Entwicklungszusammenarbeit.

 

Auch am liebsten?

 

Am meisten. Ich arbeite in allen drei Ressorts gern. Ein Ministerium hat eine dienende Funktion. Die Entwicklungszusammenarbeit bietet, was man in der Politik oft vermisst: Man kann sich auf die Seite der Schwächeren stellen. Die dienende Funktion kann man in den anderen Ministerien auch annehmen, aber da ist das oft nicht so erkennbar.

 

In Umweltfragen sind Sie und Staatssekretär Berger in der Öffentlichkeit zumindest mit größeren Würfen in letzter Zeit kaum präsent. Die SERI-Studie über den Zusammenhang von Bevölkerungswachstum und Ressourcenverbrauch, die Veröffentlichung der Nachhaltigkeitsindikatoren - all das liegt gut ein Jahr zurück. Da entsteht der Eindruck, es würde vor allem verwaltet, aber nicht mehr proaktiv gehandelt.

 

So stimmt das nicht. Es gibt mindestens zwei Bereiche, in denen wir sehr aktiv sind. Man sieht vielleicht nicht viel davon, aber das gleicht der Spitze eines Eisbergs, dessen größter Teil unter Wasser liegt. Der eine "Eisberg" ist die Reform der Naturschutzgesetzgebung. Da geht es zwar um die Umsetzung zweier EU-Direktiven. Doch es soll zum Beispiel Gemeinden ermöglicht werden, durch Ausweisung kommunaler Schutzzonen Impulsgeber zu werden. Das hat zu einer schwierigen und langwierigen Diskussion geführt. Zurzeit sprechen wir mit Lobbies wie Jägerverbänden oder den privaten Waldbesitzern. Der andere "Eisberg" war der Gesetzentwurf über die nachhaltige Entwicklung, der letzte Woche im Parlament deponiert wurde.

 

Aber die umweltpolitischen Richtlinien scheinen derzeit vom Wirtschaftsminister zu kommen. Zur Eröffnung der Frühjahrsmesse hat Henri Grethen gesagt, für Soziales, aber auch für die Umwelt sei genug getan worden. Nun müsse von den drei Säulen der Nachhaltigkeit die Wirtschaft Priorität haben.

 

Dieser Diskurs weist darauf hin, dass es Verteilungsprobleme geben kann, wenn es der Wirtschaft schlechter geht. Ich sehe aber keinen Interes-sengegensatz zwischen Wirtschaft und Umwelt. Ökologie ist Ökonomie auf lange Sicht.

 

Trotzdem heißt es aus Patronatskreisen beispielsweise, die Kommodo-Gesetzgebung erweise sich gegenwärtig als Bremse. Und während der Premier im letzten Jahr in seiner Erklärung zur Lage der Nation noch meinte, dass Wachstum müsse "gedrosselt" werden (siehe

d'Land vom 23. Mai 2003), zeichnet sich jetzt anstelle des  700 000-Einwohnerstaats eine Wirtschaftskrise ab.

 

Und ich sehe, dass auch in den Betrieben das Umweltbewusstsein zunimmt. Die Kommodo-Gesetzgebung ist keine Bremse, sie hat eine Innovationsdynamik erzeugt, die Aktionsprinzip geworden ist. Ihr kann man sich nicht entziehen.

 

Eine Aufweichung wird es mit Ihnen also nicht geben?

 

Wir müssen weitergehen in der Su-che nach der "meilleure technologie disponible". Wir müssen mit den Patronatsverbänden reden, sicher. Aber ihnen gehören die leistungsfähigen Betriebe an, die Umweltpreise und Prämien vergeben. Ich sehe großen Handlungsspielraum zwischen Fundamentalismus auf der einen und totaler Verantwortungslosigkeit auf der anderen Seite.

 

Nur einen Tag, nachdem Sie und Staatssekretär Berger die größte Sonnenstromanlage im Lande eingeweiht haben, erklärte Ihr Ministerkollege aus dem Wirtschaftsressort das 5,7-Prozent-Ziel erneuerbarer Energien für das Jahr 2010 für unrealistisch.

 

Das ist eine Wette auf die Zukunft. Ich sehe es vielleicht unrealistisch in zwei, drei Jahren, aber man sieht die Anstrengungen, die bei der Verwertung von Biomasse gemacht werden. Es gibt auch ein enormes Potenzial, Holz aus unseren Wäldern in Holzhackschnitzelanlagen zu verbren-nen und so einen guten Teil fossiler Energieträger überflüssig zu machen. Auch die Windkraft lässt todsicher noch mehr zu, wobei wir allerdings immer häufiger vor Konflikten stehen: Mancherorts ist der Einfluss der Anlagen auf die Landschaft nicht zu vertreten oder zumindest umstritten.

 

Wie groß sind die Potenziale konkret?

 

Wir sind dabei, dazu eine Studie auszuarbeiten.

 

Das ist spät, wenn man bedenkt, dass die großzügige Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen vor zweieinhalb Jahren eingesetzt hat.

 

Auch wenn wir Potenziale berechnen lassen, schafft man damit noch keine Produktionseinheiten. Beispiel Biogas. Ich habe zwei Projekte begleitet, das Redinger und das Beckericher. Ein drittes ist jetzt in Hosingen in der Planung. Man muss eine Reihe Leute finden, die bereit sind, so ein Projekt in einer Genos-senschaft zu organisieren. In der Regel sind das Bauern. Und man braucht die Gemeinden: Biogasanlagen im großen Stil haben nur dann eine positive Ökobilanz, wenn man die Abwärme nutzt. Kauft keine Gemeinde die Abwärme auf oder errichtet ein Nahwärmenetz für ihre Verteilung, kann man das Projekt vergessen. Es ist nicht falsch zu sagen, die Potenziale erneuerbarer Quellen müssten bereits bekannt sein. Dafür können wir jetzt unsere Fragen an der jüngsten europäischen Gesetzgebung ausrichten. Die betrifft nicht nur den "grünen Strom" an sich, sondern auch die Treibhausgasemissionen. Wir stehen in Luxemburg ja vor der Situation, dass ein höherer Produktionsanteil von Strom aus erneuerbaren Quellen unsere Kioto-Bilanz nicht verbessert: nach der Kioto-Methodologie wird die Stromproduktion betrachtet, nicht der Verbrauch. Da wir den allermeisten Strom importieren, ist eine Mehrporduktion grünen Stroms, der frei von Emissionen ist, global gut fürs Klima, nicht aber für unsere nationale Bilanz.

 

Das heißt, wenn man weiß, wie hoch die Potenziale sind, weiß man beispielsweise, wieviel am Stromverbrauch eingespart werden müsste, und sinkt der Gesamtverbrauch, steigt der Anteil grünen Stroms automatisch?

 

Ja. Wir müssen stärkere Effizienzanstrengungen machen. Ich verhehle nicht, dass meine Meinung die ist, dass wir über unsere Energiepreise nachdenken müssen. Das kommt wahrscheinlich schneller, als wir denken - vor allem mit der europäischen Gesetzgebung zum Emis-sionsquotenhandel der Betriebe. Darüber gibt es seit Ende letzten Jahres eine EU-Direktive, in deren An-wendungbereich rund zwölf gro-ße heimische Betriebe fallen. Wir werden über eine Emissionsmenge von etwa 8,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent verfügen und müs-sen bis Ende März 2004 festlegen, wer wieviel davon als Emissionsberechtigungen erhält. Das impliziert eine Allokation von Emissionen an andere Sektoren als die Industrie. Wir müssen wissen, wieviel wir durch den Transport emittieren dürfen, was mit den Privathaushalten wird, was mit dem Mittelstand, wie wir mit dem Tanktourismus umgehen wollen.

 

Nachdem es im Haushaltsjahr 2002/ 2003 doch noch nicht die vom Premier im Jahr 2000 angekündigte "ökofiskale Komponente" gegeben hat, soll die Koalition sie vorlegen, wenn der Wahlkampf voll einsetzt und sich Luxemburg zurzeit lautstark als Standort mit geringer Steuer- und Sozialabgabenlast empfiehlt?

 

Der politische Charakter ist eminent. Aber nicht nur die Koalition, das ganze Land wird konfrontiert mit der Frage: Wie kriegen wir unser Kioto-Ziel hin? Und das Ziel hat es in sich. Wir werden mit einem ganzen Paket in die Tripartite gehen. Sie ist der geeignete Platz, so etwas zu diskutieren. Unser Ressourcenverbrauch, der sich in Emissionen ausdrücken lässt, steigt. Nicht nur der Tanktourismus, auch der Verbrauch der Haushalte, des Staates, der gesamte Transport. Wenn bei all dem herauskommt, dass wir das Kioto-Ziel nicht erreichen und dafür bezahlen müssen, dann brechen die Verteilungskämpfe aus. Verteilungskämpfe werden am besten in der Tripartite geschlichtet. Auch Patronat und Gewerkschaften sind gefordert.

 

Es könnte also zum Beispiel eine substanzielle Benzinpreiserhöhung geben?

 

Das kann ich so nicht sagen. Jährlich verbuchen wir beträchtliche direkte Einnahmen aus dem Tanktourismus und finanzieren daraus einen Teil unseres Sozialsystems. Es ist auch der erklärte Wille sämtlicher Fraktionen im Parlament, die Preisdifferenz gegenüber den Nachbarländern be-stehen zu lassen. Der Spielraum für Anpassungen scheint da-her klein. Bloß andererseits: Wenn wir Strafen zahlen müssten, weil wir das Kioto-Ziel nicht einhalten, sieht die Rechnung eventuell anders aus.

 

Ist bekannt, welche Folgekosten der Allgemeinheit schon jetzt durch den Tanktourismus entstehen? Im parlamentarischen Umweltausschuss hieß es letztes Jahr vor der Orientierungsdebatte über die nach-haltige Entwicklung, sie seien eventuell erheblich.

 

Das ist nicht bekannt. Ich denke, derzeit ist die Bilanz positiv. Wir lassen aber gegenwärtig gemeinsam mit dem Mouvement écologique an einer umfassenden Studie zu emissionsbezogenen Steuern arbeiten.

 

Vor allem die Fedil erklärt das Klimaschutzziel nur für realisierbar, wenn man auf die flexiblen Kioto-Mechanismen zurückgreift, die es erlauben, sich durch Investitionen oder Technologietransfer in Joint ventures von Emissionen freizukaufen. Brächte dieser Freikauf für Luxemburg ein Imageproblem mit sich?

 

Es wird in dieser Klimaschutzdiskussion auch um Fragen der Aufkommensneutralität eventueller Steuern, ihrer Auswirkungen auf die Teuerung und die Index-Entwicklung gehen. Priorität im Klimaschutz müs-sen die "domestic actions" haben. Da muss man sich über Potenziale einig sein. Hat man die Mittel, um den Potenzialen gerecht zu werden, ausgeschöpft, kann man zu den flexiblen Mechanismen greifen. Das setzt eine gesellschaftliche Entscheidung voraus. Ist beispielsweise von vornherein der Tanktourismus eine für den Staat interessante Einkommensquelle, dann soll man das Kind auch so nennen. Aber diese Entscheidung ist noch nicht gefallen. Auf keinen Fall wird es zu Lasten des Kooperationsbudgets Klimaschutzprojekte in Afrika geben. Das Kooperationsbudget wird keinen Cent in Clean Development Mechanisms investieren. Nicht nur, weil es dazu gar nicht befugt ist, sondern auch, weil man das ethisch nicht vertreten könnte.

 

Wer müsste es tun?

 

Praktisch stellt diese Frage sich erst 2008, wenn die erste Bilanz über das Erreichen oder Nichterreichen der Kioto-Ziele vorliegt. Aber über das so genannte Verursacherprinzip, dem zufolge der Verursacher von Verschmutzungen auch für deren Kompensation haftet, müssen wir uns schon jetzt einig werden. Gibt man bestimmten Sektoren einen Spielraum für Emissionen, müsste von dort her investiert werden, falls der Spielraum überschritten wird. Deshalb stellt sich die Frage einer Vorentscheidung, inwiefern etwa der Mittelstand belastet werden könnte oder die Privatverbraucher, oder ob der Tanktourismus eingeschränkt werden könnte, schon jetzt.

 

Peter Feist
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