Trotz drei Sparpaketen nahm das Staatsdefizit 2012 nicht ab. Nun wird der ungeliebte Fiskalpakt ratifiziert

Die Wahlen abwarten

d'Lëtzebuerger Land du 08.02.2013

Finanzminister Luc Frieden gab sich am Mittwoch zufrieden, als er Parlament und Presse vom vierteljährlichen Stand der Staatsfinanzen berichtete. Denn die Steuereinnahmen von 10 956,8 Millionen Euro lagen zum 31. Dezember „genau auf der Linie des Haushalts“, der 10 998,1 Millionen vorsah.

Schluss also mit den ewigen Vorwürfen, die Regierung unterschätze jedes Jahr die Staatseinnahmen und betreibe eine chaotische Sparpolitik. Auch wenn fast 200 Millionen Euro weniger Lohnsteuer eingenommen wurden als vorgesehen, unter anderem wegen des Wegfalls variabler Lohnbestandteile höherer Bankangestellten. Dafür brachte der Internethandel mit einem „historischen Rekordergebnis“ rund 100 Millionen Euro mehr ein als erwartet.

Die Ausgaben der Zentralverwaltung, das heißt des Staats einschließlich der Investitionsfonds und öffentlichen Einrichtungen, lagen zum Jahresende bei 12 497,2 Millionen Euro. Doch dürften sie laut Finanzminister erfahrungsgemäß noch um eine Milliarde Euro zunehmen, da ihre Konten erst Ende nächsten Monats abgeschlossen werden. So dass der Finanzminister mit einem Defizit zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden Euro rechnet. Der vom Parlament verabschiedete Haushaltsentwurf für 2012 sah ein Defizit der Zentralverwaltung von 1 143,2 Millionen Euro vor. Die im Spätherbst angestellten Vorhersagen gingen dagegen von einem Defizit von 1 648,1 Millionen Euro aus, so dass Haushaltsberichterstatter Lucien Lux (LSAP) vor einem „inakzeptablen Budgetdefizit von 1,6 Milliarden Euro“ gewarnt hatte. Mit möglicherweise bis zu 1,5 Milliarden Euro könnte der Fehlbetrag trotz der am 27. April, am 2. Oktober und am6. November beschlossenen Sparpaketen höher als in den Vorjahren ausfallen.

Aber Luc Frieden wollte am Mittwoch nicht viel Aufhebens um neue Sparmaßnahmen machen. Dabei hatte es in letzter Zeit geradezu nach einem Wettlauf der mutigsten Sparpolitiker ausgesehen: Frieden hatte während der Haushaltsdebatten Ende 2011 angekündigt, im Alleingang mit Fraktionen, Sozialpartnern und Jugendorganisationen über die Haushaltspolitik der kommenden Jahre zu diskutieren. Ein Jahr später hatten dann die Fraktionssprecher von CSV und LSAP, Marc Spautz und Lucien Lux, versprochen, mit Hilfe von thematischen Arbeitsgruppen ihrer Fraktio­nen die Haushaltspolitik bis in die nächste Legislaturperiode, bis 2016 selbst in die Hand zu nehmen, bis das aktualisierte Stabilitätsprogramm im Frühjahr nach Brüssel geschickt werden soll.

Doch diese Woche sprach Frieden bescheiden eher von punktuellen Anpassungen, die Premier Jean-Claude Juncker in seiner Erklärung zur Lage der Nation ankündigen wolle, als von einem neuen Sparpaket. Ob diese Anpassungen mit den Sozialpartnern abgesprochen werden sollen, wie der OGBL am Dienstag verlangt hatte, davon wusste der Finanzminister nichts. Auf jeden Fall wünschte er sich erneut keine weiteren Steuererhöhungen, nachdem ihn die Mehrheitsfraktionen in dieser Frage vor wenigen Monaten mit dem Segen des Premiers desavouiert hatten.

Der Erklärung zur Lage der Nation, die der Premier gleich nach den Osterferien, Anfang April, im Parlament vortragen will, kommt neuerdings eine besondere Bedeutung zu. Denn im Rahmen des Europäischen Semesters soll sie der Aktualisierung des nationalen Stabilitätsprogramms noch schnell eine parlamentarische Legitimation bescheren, bevor es Ende April an die Europäische Kommission geschickt wird.

Die weitere Haushaltssanierung ist sowieso bis nach den Wahen nächstes Jahr aufgeschoben, wenn dem liberalen CSV-Flügel vielleicht ein sparfreudigerer Koalitionspartner zur Seite steht, die Mehrwert­steuer erhöht wird und der Wirtschaftsaufschwung doch noch kommt. Dann brauchen das Parlament, die Fraktionssprecher und der Finanzminister auch kaum noch über ihre Kompetenzen zu streiten. Denn am 1. Januar trat der am 2. März 2012 in Brüssel von 25 Staaten unterzeichnete Fiskalpakt in Kraft. Er schreibt vor, dass die strukturelle Neuverschuldung nicht mehr als ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen darf, sowie automatische Korrektur- und Strafprozeduren. Der Europäischen Kommission werden neue Rechte eingeräumt, um sich an der Aufstellung nationaler Staatshaushalte zu beteiligen.

Der Fiskalpakt wurde bisher von Deutschland, Frankreich, Österreich, Zypern, Spanien, Estland, Finnland, Griechenland, Irland, Italien, Portugal, Slowakei, Slowenien und Schweden ratifiziert, sowie von vier Staaten, deren Landeswährung nicht der Euro ist, Dänemark, Lettland, Litauen und Rumänien. Der langjährige europäische Musterschüler Luxemburg hat sich dagegen mit der Ratifizierung geziert.

Das Gutachten des Staatsrats kam erst am21. De­zember, dem gleichen Tag, als Finnland als zwölfter Staat seine Ratifizierungsinstrumente einreichte und so den Weg zum Inkrafttreten des Pakts frei machte. Trotz der weitreichenden Bedeutung des Pakts für die Staatsfinanzen wurden die Berufskammern nicht einmal um ihre Meinung gefragt. Lediglich die Salariatskammer hatte sich selbst befasst und auf zweieinhalb Seiten den Pakt als undemokratischen Versuch, die europaweite Austeritätspolitik für ewig festzuschreiben, in Grund und Boden gestampft.

Übernächste Woche soll nun der Vorsitzende des parlamentarischen Finanz- und Haushaltsausschusses, Michel Wolter (CSV), dem Ausschuss seinen Bericht vorstellen und ihn noch in derselben Sitzung, also ohne längere Debatte, verabschieden lassen. Dann kann das Parlament den Fiskalpakt Ende des Monats oder im Laufe einer der März-Sitzungen endlich ratifizieren.

Dass die Institutionen sich alles andere als beeilten, um den Fiskalpakt zum Gesetz zu machen, erklärt sich wohl damit, dass sie ihn bestenfalls als nützlich für einige andere, hoch verschuldete Euro-Staaten empfinden, aber eher als Zumutung für Luxemburg, dessen Haushaltsdefizit und Staatsschuld noch immer zu den niedrigsten in der Europäischen Union gehören. Die anhaltend anämische Wirtschaftskonjunktur und die steigende Arbeitslosigkeit lassen zudem wachsende Zweifel am dem Pakt zugrunde liegenden Dogma der Maastrichter Stabilitätskriterien aufkommen.

Im Motivenbericht lässt die Regierung es deutlich an der europäischen Euphorie vergangener Zeiten missen. Sie bedauert vielmehr die juristische Qualität des Fiskalpakts sowie die Tatsache, dass er lediglich ein zwischenstaatliches Abkommen ist, und empfiehlt dem Parlament, ihn „dennoch“ zu ratifizieren, weil er die Staatsfinanzen stärke.

Für den Staatsrat tastet der im Pakt vorgesehene automatische Korrekturmechanismus zusammen mit den geplanten Kontrollinstanzen die Vorrechte des Parlaments und der Regierung in der Haushaltsprozedur an. Deshalb stellten sie einen Transfer von Hoheitsrechten dar, so dass der Pakt entsprechend Artikel 114 der Verfassung mit qualifizierter Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten oder 40 Stimmen verabschiedet werden muss. Dies dürfte allerdings keine Schwierigkeiten bereiten, da zumindest CSV, LSAP und DP für das Gesetz stimmen dürften und sie über 48 Stimmen verfügen. Allerdings macht der Verfassungsartikel auch eine zweite Lesung nach drei Monaten nötig, so dass der Pakt frühestens im Mai oder Juni in Kraft treten könnte. Das Referendumsgesetz von 2005 schließt möglicherweise aus, dass fünf Wahlberechtigte eine Unterschriftensammlung zur Organisation eines Referendums über den Fiskalpakt beantragen können, wie es in Artikel 114 der Verfassung ebenfalls vorgesehen ist.

Innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Fiskalpakts, also bis Ende dieses Jahres, müssen die Unterzeichnerstaaten eine „Schuldenbremse“ genannte Defizitbremse in die Verfassung oder eine ähnliche Gesetzgebung übernehmen. Hierzulande war die Koalition bemüht, die Bedeutung dieser von der deutschen Regierung erzwungenen Regelung herunterzuspielen. Deshalb war sie sich einig, die „Règle d’or“ nicht in die Verfassung zu schreiben, sondern lediglich durch ein Gesetz einzuführen. Allerdings soll es mit der in Artikel 114 der Verfassung vorgesehenen qualifizierten Mehrheit verabschiedet werden. Auch wenn die Meinungen auseinander gehen, ob dies wegen des feierlichen Charakters der Regelung ist oder weil sie Haushaltsrechte des Parlaments zugunsten eines internationalen Abkommens beschneidet.

Zudem sollte die Schuldenbremse in ein sehr technisches Gesetz zur Reform der Haushaltsprozedur gepackt werden, was ihren Glanz zusätzlich schmälern würde. Doch auf Nachfrage hin wusste Finanzminister Luc Frieden am Mittwoch nicht, wann er den Gesetzentwurf über die Reform der Haushaltsprozedur hinterlegen könne. Ungeahnte Schwierigkeiten seien aufgetaucht, weil sich natio­nale Prozedurfragen, wie sich Parlament, Regierung und andere Institutionen mit dem Staatshaushalt befassten, mit den nun von Fiskalpakt und Sixpack vorgeschriebenen Prozeduren vermischten. So dass die Regierung wieder die beiden Themenfelder trennen und sich erst einmal mit den europäischen Prozeduren befassen wolle. Damit die Schuldenbremse rechtzeitig vor dem Jahresende Gesetz werden kann.

Romain Hilgert
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