Pensionsfonds

Wunschkunde europäischer Rentner

d'Lëtzebuerger Land du 24.09.2009

August 2009. Die Nachricht, der Kompensationsfonds investiere verstärkt in Aktien, reißt die Luxemburger Öffentlichkeit aus dem Sommerschlaf. Verspielt der staatliche Fonds leichtfertig die Rentenreserven an den Weltbörsen? September 2009. „Der perfekte Fonds“, lautete der Titel einer Podiumsdiskussion der Alfi-Nicsa-Konferenz, einem Branchentreffen der Investmentfondsbranche. Erste Feststellung der Redner: Angesichts der Expertenvorhersage, 2050 werde das Verhältnis zwischen Rentnern und aktiven Arbeitnehmern in der EUnur noch 1:2 betragen, anstatt aktuell 1:4, werde die private Rentenfürsorge zum wich­tigsten Thema überhaupt avancieren. Denn, zweite Feststellung: Angesichts der in der EU drohenden oder bereits existierenden Defizite in den staatlichen Rentenkassen werde den Arbeitnehmer gar nichts anderes als die Selbstvorsorge übrig bleiben. Während die Luxemburger Politik also noch darüber streitet, ob die staatlichen Rentenreserven am Markt angelegt werden dürfen, überlegt sich die hiesige Fondsbranche, wie sie in Zukunft in die Bresche springen kann, welche die EU-Staaten in der Rentenvorsorge hinterlassen werden.

Überlegungen, die nicht nur aus Eigennutz angestellt werden. So wird es zumindest dargestellt. Die Branche sieht sich in der sozialen Verantwortung. Große Teile der europäischen Arbeitnehmerschaft würden zu wenig fürs Alter sparen und ihnen drohe deswegen später Altersarmut. Die herausragenden Probleme sind dabei nach Meinung der Expertenrunde das mangelndes Bewusstsein der Arbeitnehmerschaft über die drohende Lage sowie ein weit verbreiteter finanzieller Analphabetismus und schlichtes Desinteresse. Weder wissen die Leute, dass ihre staatlich ­garantierte Rente nicht ausreichen wird, um auch im fortgeschrittenen Alter den gewohn­ten Lebensstandard nicht völlig aufgeben zu müssen, noch verstehen sie die Produkte, die ihnen helfen könnten, diesem Elend zu entgehen.

Was also tun? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Der Bericht Ideal Fund von Caceis Investor services und PricewaterhouseCoopers schlägt vor, dass Arbeitnehmer künftig obligatorisch einen gewissen Prozentsatz ihres Lohns in die private Fürsorge stecken müssen, oder zumindest Minimalsparprogramme eingeführt werden müssten. Wessen Aufgabe allerdings ist es, dem wählenden Volk klarzumachen, dass es für sich selbst sorgen muss? Aufgabe der Regierung, lautet die Meinung einiger Vertreter. Aber auch Aufgabe der Branche meinen andere. „Allerdings sind Slogans vom drohenden Rentenverfall im Wahlkampf nicht unbedingt populär“, so die nüchterne Feststellung eines Experten, der mit Kritik in Richtung Politik nicht sparte: „Es muss dringend der fehlende politische Wille aufgebracht werden. Jemand muss den Leuten die Wahrheit sagen, nämlich, dass ihre Renten nicht sicher sind.“ 

„Andererseits kommen unsere Botschaften, also die der Finanzdienstleistungsbranche, bei den Leuten nicht an.Finanzwerbung ist einfach nicht sexy“, hält ein anderer dagegen. Wie man aus dieser Zwickmühle herausfinden soll, das wird eine der Aufgaben sein, der sich die Branche in Zukunft stellen muss. Denn stellen sich die Fondsfirmen an die Spitze von Sensibilisierungskampagnen über die Notwendigkeit von privater Fürsorge, setzen sie sich auch dem Vorwurf aus, Angst zu schüren, um die Nachfrage nach ihren Produkten anzuheizen. 

Doch diese Produkte müssen erst noch erfunden werden. „Man muss weg von Produkten für Kunden mit überschüssigem Kapital, hin zu Produkten für große Massen von Klein­sparer, die langfristig anlegen“, um ihren Notgroschen aufzupolieren, so sehen es die Autoren von Ideal Fund. Dementsprechend lange Lauffristen müssen die Produkte haben. Investitionshorizonte von mindestens 15 Jahren müssten ins Auge gefasst werden, alles andere sei sinnlos. Welche Vollmachten bräuchten die Fondsfirmen von den Anlegern, um ihr Geld vor Börsencrashs wie dem eben erlebten zu schützen? „Wenn im Verkaufsprospekt steht, dass es sich um einen Aktienfonds handelt, dürfen wir dennoch Titel verkaufen und zu Bargeld machen, um schwere Krisen zu überbrücken?“, fragte ein Podiumssprecher am Mittwoch in den Saal, wo eifrig genickt wurde. Auch das ein Problem, dessen Lösung noch aussteht. 

Einfacher müssten die Produkte zudem werden, damit die Investoren besser nachvollziehen könnten, was mit ihrem Geld gemacht wird. Da hapert es, ebenso wie bei der Verkaufsberatung, die bislang nicht immer von Personal durchgeführt werde, das dafür ausreichend geschult sei. Doch auch der bestausgebildete Berater dürfte seine Schwierigkeiten haben, jedem Kunden das passende Produkt anzubieten, wenn bisher aus der Angebotsoptik heraus gearbeitet wurde, nicht aus der, der Nachfrage, übt sich die Branche in Demut. „Das haben wir anzubieten!“, war demnach bisher die Devise anstatt: „Was braucht dieser Kunde?“ 

Einem Bericht der britischen Finanzaufsicht FSA zufolge sind ein Viertel der erwachsenen Briten kaum in der Lage einfachste Rechenaufgaben zu lösen. Solchen Kunden die Funktionsweisen und Vorzüge von diesem oder jenem Fondsprodukt zu erklären, scheint eine Sache der Unmöglichkeit. Deswegen forderten am Mittwoch einige Panelisten die Einführung oder konsequentere Umsetzung der Finanzerziehung als Schulfach. Dabei soll es nicht nur um Basiswissen à la „Wie eröffne ich ein Bankkonto“ oder „Was ist eine Kreditkarte“ gehen – sondern darum, den Leuten bereits im Backfischalter klar zu machen, dass sie ihre Finanzen planen müssen, wenn sie später nicht mit leeren Händen dastehen wollen, und dies tatsächlich zum Examensfach zu machen. Andere Diskussionsteilnehmer fanden solche Maßnahmen bedenklich, weil sie das Grundproblem des allgemeinen Desinteresses an Finanzen nur bedingt lösen könnten. „Wir sind nur eine Stimme von vielen, die dem Verbraucher sein Geld entlocken wollen. Und die Autowerbung ist meist aufregender. Über PS, Drehmoment und Spritverbrauch informieren sie sich dann auch, bevor sie ein neues Auto kaufen“, so die Feststellung. Schockkampagnen, stellen sich einige vor. Wie man sich das vorstellen soll? Sensibilisierung gegen Altersarmut nach Art der Antitabakwerbung? In diesem Loch werden sie mit 75 wohnen, wenn sie jetzt nichts unternehmen?

Denn, wie man den Verbraucher für den Drehmoment seiner Rentenfürsorge interessieren soll, weiß man noch nicht. Wie man aber sein Vertrauen gewinnen und behalten soll, darüber gibt es hingegen einige Ideen. Zum Beispiel über eine Harmonisierung der Kostenberechnung zwecks Steigerung der Transparenz, die einhellig gefordert wird. Zudem müssten bei Fondsprodukten, die im Hinblick auf die Sicherung einer Zusatzrente angeboten und gekauft werden, künftig Buchprüfer oder Finanzaufsicht nicht allein prüfen, ob die Bücher richtig und in Einklang mit dem Gesetz geführt werden. Die Auffsicht solle auch eine Art Leistungsprüfung durchführen. Demnach eine Art staatliche Fund Awards, ohne Trophäen und Sekt, dafür mit Transparenzbonus für die Anleger. 

Denn zumindest müssen die Fonds die Geldentwertung über den Anlagehoriziont ausgleichen, damit die Investoren kein Geld verlieren. Deswegen befürworten einige Kenner für diese Art von Produkt, dass Vertreter des Staates oder zumindest solche, die vom Staat eine spezielle Zulassung haben, in den Verwaltungsräten tagen. Das halten andere für übertrieben. Sie sind eher für eine garantierte Mindestrendite in Kombination mit den staatlichen performance checks. „Denn sollte ein wesentlicher Teil der Bevölkerung, nicht die erhoffte Rendite erhalten, dann werden Staaten und Steuerzahler einschreiten müssen, wenn man verhindern will, dass Millionen auf die Straße gehen“, so die Warnung eines Redners. Aussagen, die zum runden Geburtstag der Finanzkrise überraschen. Gierige, sozial unverantwortliche – wie sie seit einem Jahr gescholten werden – Finanzmarktakteure, die sich darüber Gedanken machen, wie sie der europäischen Arbeitnehmerschaft den Anspruch auf ein Mindesteinkommen im Ruhestand anbieten und garantieren können? Die darin ihre Zukunft sehen? Ein Versprechen, das kaum eine Regierung auszusprechen wagen würde oder sollte? Verkehrte Welt. 

Michèle Sinner
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