Englische Konservative drohen mit EU-Austritt

Im Schmollwinkel

d'Lëtzebuerger Land du 01.02.2013

Liest man die Ausführungen des britischen Premierministers zu Europa wie einen deutschen Besinnungsaufsatz, so bekäme der Mann ein glattes Mangelhaft, so inkonsistent und voller Widersprüche ist seine Rede. Trotzdem scheint David Cameron den Nerv nicht nur der Mehrheit seiner konservativen Tories getroffen zu haben. Die niederländische Zeitung NRC Handelsblad schreibt zum Beispiel: „Die von Cameron analytisch stark und in scharfen Worten vorgebrachten Einwände gegen Europa sind schon lange kein urbritisches Gefühl mehr, sondern betreffen alle EU-Mitgliedstaaten.“ Wirtschaftspolitisch will Cameron eine größere Wettbewerbsfähigkeit erreichen und unterstellt in seiner Rede, dass die EU eher ein Hindernis als ein Förderer auf dem Weg dahin sei. Politisch geht es um nationale Souveränität und im Kleingedruckten darum, dass Großbritannien lieber die EU verlässt, als dass es zulasse, dass die Kommission, das EU-Parlament und der Ministerrat gemeinsam dem Finanzplatz London ihre Regeln diktieren.

David Cameron wollte mit seiner Rede in die Fußstapfen Margaret Thatchers treten, die 1988 eine programmatische Rede zu Europa im Europakolleg Brügge gehalten hat. Der legendären britischen Premierministerin ging es um wirtschaftliche Liberalisierung in ganz Europa unter Beibehaltung der vollen nationalen Souveränität. Großbritannien gehörte zu den stärksten Unterstützern des Gemeinsamen Marktes, der ab 1993 die Europäischen Gemeinschaften von einer Zollunion mit angehängter integrierter Agrarwirtschaft in die EU verwandelte, die wir heute kennen. Thatcher war nicht bereit, den dafür notwendigen Preis zu bezahlen, weshalb sie von eigenen, pro-europäisch eingestellten, Ministern gestürzt wurde. Der Erfolg des Gemeinsamen Marktes beruht hauptsächlich auf der Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips für alle seine Gesetze. Seit dem Vertrag von Maastricht gilt dafür die qualifizierte Mehrheit. John Mayor unterschrieb diesen Vertrag. Und es war die alleinige Entscheidung seiner Tory-Regierung, dass die Bürger Großbritanniens 1992 nicht in einem Referendum über diesen Souveränitätsverzicht abstimmen konnten. François Mitterand ist damals das Wagnis eingegangen und hat die Abstimmung mit einem denkbar knappen Ergebnis gewonnen.

Auch Cameron stellt den Gemeinsamen Markt in den Mittelpunkt. Er will ihn in freier Absprache unter befreundeten Nationen vollenden, denn, da hat er recht, es gibt noch viel zu tun, weshalb auch Binnenmarkt-Kommissar Barnier diese Vollendung als einen wichtigen Baustein zur Überwindung der europäischen Krise sieht und hart daran arbeitet. Wenn nun der britische Premierminister den Europäern Glauben machen will, dass souveräne Nationen in fairen Absprachen diese Vollendung erreichen könnten unter der Beibehaltung eines britischen Vetorechts in Finanzmarkt- sowie Arbeits- und Sozialrechtsfragen, dann bindet er ihnen einen Bären auf. Margaret Thatcher hat in ihrer Rede 1988 auch und nicht zum ersten Mal eine grundlegende Reform des Agrarmarktes angemahnt. Der unterliegt heute wie damals dem Einstimmigkeitsprinzip. 25 Jahre später ist diese grundlegende Reform noch immer nicht erfolgt.

Camerons Rezepte für die Verbesserung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit bedeuten nur, dass Großbritannien machen kann, was es will und die anderen gefälligst den Mund halten sollen. Er erkennt, dass sich die Eurozone wesentlich stärker integrieren muss, will sie die Währung dauerhaft retten und bettelt darum, dass diese stärkere Integration nicht zu wirtschaftlichen Nachteilen für sein Land führen möge. Er ignoriert völlig, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit einen großen Teil der Strukturveränderungen ausmachen, die den Eurostaaten auferlegt werden, die Hilfe erhalten. Er ignoriert auch, dass es nationalstaatliche und nicht europäische Politik war, die diese Staaten in Schwierigkeiten gebracht hat. Es ist nicht die Kommission, die Cameron dazu zwingt, in diesem Jahr mehr als zehn Prozent des britischen Bruttosozialprodukts als Schulden aufzunehmen. Es war nicht die Kommission, die Großbritannien dazu gezwungen hat, dem Londoner Finanzplatz eine so große Rolle in der britischen Wirtschaft zuzugestehen, dass darüber ganze Landstriche vernachlässigt wurden, die heute nicht mehr wissen, wie sie morgen ihren Wohlstand sichern können. Es war nicht die nicht-existente europäische, sondern die mangelhafte britische Bankenaufsicht, die zum Pleitedesaster der britischen Banken beigetragen hat.

Cameron hat teilweise Recht mit seiner Bürokratiekritik an der EU. Diese Kritik wäre auch gegenüber jedem Mitgliedstaat wahrscheinlich nur allzu berechtigt. Das einzige mögliche Heilmittel dagegen ist die Vollendung der europäischen Demokratie gemeinsam mit der Vollendung des Binnenmarktes. Großbritannien hat sich immer noch nicht entschieden, ob es zu Europa gehört, geographisch und politisch. Je nachdem wie es passt, sieht es sich drinnen oder draußen. Es wird Zeit, dass sich das Land entscheidet. Das ist es nicht nur sich, das ist es allen EU-Europäern schuldig.

Christoph Nick
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