Wie transportieren wir in Zukunft unsere Waren? Batterie-Laster, Brennstoffzelle oder emissionsfrei angetriebene Verbrenner: Der Glaubenskrieg hat längst begonnen

Wem gehört die Straße und die Stadt?

d'Lëtzebuerger Land du 20.01.2023

Die Jahre, ja die Jahrzehnte nach der Jahrhundertwende werden in die Geschichte der Mobilität als die Zeit der großen Transformation eingehen. Als der Abschied von bisher gekannten Formen der öffentlichen und individuellen Mobilität. Energiewende ist das Schlagwort, wenn es um unser aller Agilität, um Bewegungsfreiheit, aber auch um den Transport von Waren und Gütern geht. Der Verzicht auf einen fossilen Brennstoffmix aus Öl, Gas und Kohle ist unabdingbare Voraussetzung auf dem Weg zur Klimaneutralität. Die EU soll spätestens im Jahr 2050 klimaneutral wirtschaften. Das bedeutet, dass der Energiebedarf dann mit Strom aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden muss. Auch und vor allem jener, der benötigt wird, um die Wirtschaft am Laufen zu halten und der den Warentransport auf langen Wegen, aber auch auf der so genannten „letzten Meile“, sicherstellt.

Genügend E-Autos für den Individualverkehr auf die Straßen zu bringen, wird kaum das Problem sein. Die Transformation ist dort in vollem Gange. Das von der EU abgesegnete Gesetz, wonach ab 2035 keine neuen Diesel- und Benzinfahrzeuge mehr verkauft werden dürfen, hat die Produktion von Batteriefahrzeugen im PKW-Bereich erheblich beschleunigt. Eine viel größere Herausforderung ist es jedoch, den Nutzlastverkehr sowohl auf langen Strecken wie auch im urbanen Bereich unserer Dörfer und Städte klimafreundlicher zu gestalten. In Europa sind rund sechs Millionen Diesel-LKW unterwegs. Ihre Zeit ist über kurz oder lang abgelaufen. Sie müssen durch emissionsfreie Fahrzeuge ersetzt werden.

Die nur scheinbar so romantische Zeit vom „Kapitän der Landstraße“, der unablässig mit dem vielbesungenen 30-Tonner-Diesel unterwegs ist, muss und wird der Vergangenheit angehören. Der Diesel-LKW ist zum Aussterben verdammt. Die Kapazitäten für eine klimaneutrale Stromerzeugung durch Solaranlagen oder durch Windkraft werden seit Jahren ausgebaut. Den klimaschädlichen Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) auf ein Minimum zu senken, ist Ziel aller Anstrengungen.

Nutzfahrzeuge, also Autos, die in erster Linie für das Bewegen von kleinsten bis hin zu riesigen Vorratsprodukten konzipiert sind, werden nicht mehr von großvolumigen Verbrennungsmotoren angetrieben werden. Auch dann nicht, wenn sie von so genannten e-Fuels, also Kraftstoffen, die mit Hilfe erneuerbarer Energien synthetisch hergestellt werden, gespeist werden, um ihren Dienst oft über Hunderte von Kilometern zu versehen.

Der LKW der (nahen) Zukunft wird elektrisch angetrieben werden. Das ist ein unumstößliches Muss. Nicht also über das „Ob“, sondern über das „Wie“ tobt längst ein ideologischer Glaubenskrieg. Sollen die Waren mit batterieelektrisch angetriebenen LKW transportiert werden, oder mit Fahrzeugen, die mit Wasserstoff unterwegs sind und ihren Strom aus einer Brennstoffzelle beziehen? Die Meinungen der Experten gehen auseinander. Und damit auch die Vorschläge für die Umsetzung der Transformation in der Nutzfahrzeugindustrie. Wissenschaftler, deren Rat und Meinung als zielführend angesehen wird, propagieren Technologieoffenheit.

Martin Pokojski, CEO des Energie- und Umweltunternehmens Inecs, warnt als Mitautor einer Studie des Forschungszentrums Jülich davor, nur auf eine Technologie zu setzen. Zwar sei der Elektro-LKW aufgrund des höheren Wirkungsgrads des Batterieantriebs im Vergleich zur Wasserstoff-Brennstoffzelle am effizientesten. Denn Wasserstoff muss zunächst unter Einsatz von elektrischer Energie hergestellt und anschließend für den Weitertransport gekühlt und komprimiert werden. Erst dann kann er in der Fahrzeugbrennstoffzelle wieder in Strom umgewandelt werden.

Die offensichtlichen Nachteile gleiche der Transport mit Wasserstoff jedoch wieder aus. Denn bei den im Transport- und Speditionsgewerbe nötigen Reichweiten von rund 1 500 Kilometern pro Tankladung und angesichts der langen Ladezeiten von Batteriefahrzeugen habe der Brennstoffzellen-LKW deutliche Vorteile. Außerdem ließen sich die von Batterieherstellern prognostizierten Reichweiten für Batterie-LKW derzeit nicht belegen. Zudem würden Größe und Umfang des Batteriesatzes bei steigender Reichweite des Fahrzeugs dessen verfügbare Nutzlast erheblich schmälern.

Brennstoffzellen-LKW und Busse sind bereits im Einsatz. Hyundai und Toyota testen mittlerweile Fahrzeuge, die einen Gesamtkostenvergleich mit herkömmlichen Dieseltransportern („total cost of ownership“, TCO) nicht zu scheuen brauchen. Problem ist allerdings auch hier der Aufbau einer dringend nötigen Infrastruktur. Allein an den Autobahnen in Deutschland, dem wichtigsten Straßenfracht-Transitland der EU, müssten rund 70 LKW-taugliche Wasserstoff-Tankstellen entstehen, um bis 2030 bei den schweren Transportern, die Hunderte von Kilometern am Tag zurücklegen sollen, eine CO2-Einsparung um 30 Prozent zu erreichen.

Das ist das Ergebnis einer Studie, die der Verein Deutscher Ingenieure und der Verband der Elektrotechnik in Auftrag gegeben und mit Hilfe des Forschungszentrums Jülich erstellt haben. Die bereits bestehenden Tankstellen seien demnach für Lastwagen kaum geeignet. Den elektrischen Oberleitungs-LKW, die schon einmal ins Spiel gebracht wurden, sowie Fahrzeugen mit synthetischen Dieselkraftstoffen, den e-Fuels, geben die Forscher kaum eine Chance. Denn e-Fuels seien bereits in der Herstellung viel zu teuer.

Womit wir bei einem Kernproblem wären. Der Frage nämlich, wie private Speditionen die Umstellung finanzieren und auf Dauer betriebswirtschaftlich aufrechterhalten sollen. Für Speditionen ist bei der Frage nach Batterie oder Wasserstoff in erster Linie der Energiepreis entscheidend. Jeder LKW verschlingt im Laufe seines Lebens weit mehr Geld für das Tanken oder Laden als er bei der Anschaffung gekostet hat. Inzwischen gibt es Studien, nach denen grüner Wasserstoff etwa in nordafrikanischen Solar-Wind-Hybridkraftwerken für ein bis zwei Euro pro Kilogramm hergestellt und über eine Pipeline nach Mitteleuropa transportiert werden könnte. Damit wäre es allerdings nicht getan. Die Herstellungskosten würden sich durch Transport- und Umwandlungskosten sowie die Zapfanlage auf einen Endpreis von rund drei bis vier Euro pro Kilo verdoppeln.

Geht es bei der Diskussion um alternative Antriebe um den Wasserstoff, ist fast ausschließlich von der Brennstoffzelle die Rede. Vielfach unbeachtet bleibt, dass dieser Energieträger auch im Verbrennungsmotor eingesetzt werden kann. Weshalb als Alternative auch der Weg über die thermische Umsetzung des Wasserstoffs im Verbrennungsmotor führen kann, im so genannten Wasserstoffmotor. Also ein Verbrennungsmotor, der mit Wasserstoff als Kraftstoff betrieben wird.

Der Wasserstoffmotor besticht zwar durch eine hohe Reichweite, eine kurze Tankdauer und eine nahezu schadstofffreie Verbrennung. Allerdings sind derartige Motoren und die sich daraus ergebenden Antriebe so komplex, dass sie für die Motorenentwickler eine ganz besondere Herausforderung darstellen. Andererseits kommt, wer Technologieoffenheit propagiert, am Thema Wasserstoffmotor bei der kommerziellen Nutzung nicht vorbei.

Ein ganz spezielles Thema bei der Diskussion um emissionsfreien Warenverkehr ist die so genannte „letzte Meile.“ In der Transport- und Logistikbranche wird dieser etwas schwammige Begriff als der finale Teil eines Transportes bezeichnet. Dabei geht es um eine schnelle, sichere, preiswerte und natürlich möglichst emissionsfreie Nachsendung, etwa bis zum Supermarkt oder auch häufig bis an die Haustür des Kunden. In diesem Fall spielt das Batteriefahrzeug gegenüber der Brennstoffzelle seine natürlichen Vorteile, wie eine höhere Energie-Effizienz, aus.

Vorreiter in diesem Sektor ist ein schwedisches Start-Up mit Namen Volta Trucks, das demnächst mit der Produktion seiner batterieelektrischen LKW Volta Zero im österreichischen Steyr beginnen wird. Volta Trucks ist Kooperationen mit führenden Branchenpartnern wie etwa Siemens eingegangen. Versuchsfahrzeuge waren bereits in europäischen Großstädten wie London, Paris und Madrid unterwegs. Der 16 Tonnen schwere, 9,46 Meter lange und für unterschiedliche Aufbauten geeignete LKW bietet eine Nutzlast von 8,6 Tonnen und hat ein Volumen von 37,7 Kubikmetern.

Der ein wenig an ein Raumschiff erinnernde Laster fährt sich eher wie ein Bus. Der Fahrer nimmt mittig hinter der großen Frontscheibe Platz, ist auf einer Höhe mit Fußgängern und dem Individualverkehr. Kamerabasierte Rundumsicht sorgt für eine sichere Fahrt im „Großstadtdschungel“. Der Logistik-Dienstleister DB Schenker hat bereits 1 500 E-LKW bei Volta Trucks bestellt. Das ist der bislang bedeutendste Auftrag für große emissionsfreie LKW auf dem gesamten Kontinent. Das für die künftige urbane Logistik ausgerichtete Konzept ist in erster Linie darauf abgestimmt, die Umwelt in der Stadt so wenig wie möglich zu belasten. Ansatz des schwedischen Unternehmens ist eine möglichst wirkungsvolle Kombination aus abgasfreien Transportlösungen. Deshalb auch die Partnerschaften mit diversen Marktführern in diesem Segment.

Ein kombiniertes Anreizsystem, bestehend aus Mautbefreiung, Vergünstigungen bei Steuern und Abschreibungen sowie Kaufprämien für E-LKW soll den Weg der Nutzfahrzeug-Stromer auf die Fernstraßen und in die Städte beschleunigen. Das haben die Speditions- und Transportverbände DSLV und BGL bereits vor Jahren gefordert. Denn die Umstellung der LKW-Fuhrparks auf umweltfreundliche Alternativlösungen zum Dieselfahrzeug ist sowohl eine technische wie auch eine finanzielle Herausforderung. Eine hinreichende Verfügbarkeit serienreifer Fahrzeuge und eine dazu gehörende funktionierende Versorgungs-Infrastruktur sind Voraussetzung.

Egal, ob auf langen Strecken vom Nordkap bis nach Gibraltar oder um die Straßenecke bis zum „Tante-Emma-Laden“: Die Transformation der Mobilität in der Speditions- und Logistikbranche gestaltet sich weitaus schwieriger als beim privaten Stromer, der die individuellen Wege zum Arbeitsplatz, in der Freizeit, zum Verwandtenbesuch oder in den Urlaub möglichst nachhaltig regeln soll. Die Umsetzung der ehrgeizigen nationalen und europäischen Vorgaben und Ziele bis zum Jahr 2030 auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 bedürfen großer Anstrengungen. Sie kann nur mit einer konzertierten Aktion aller bereits vorhandenen und noch weiter zu entwickelnden Lösungen in Forschung und Produktion gelingen. Denn letztendlich geht es nicht darum, ob Batterie- oder Brennstoffzellen-LKW oder auch der möglichst emissionsfrei angetriebene Verbrennungsmotor die Oberhand behalten.

Ziel ist es, den Klimakiller CO2-Ausstoß zu bekämpfen und so weit wie möglich zu eliminieren. Eine Herkules-Aufgabe, die aber nicht nur in Europa gelöst werden kann. Denn die Treibhausgase und ihre auf Dauer zerstörerischen Auswirkungen halten sich weder an Kontinente noch an Meere oder Gebirgsketten.

Jürgen C. Braun
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