Kino

Bis dass der Film reißt

d'Lëtzebuerger Land du 20.01.2023

Damien Chazelle gilt gemeinhin als das neue Wunderkind Hollywoods. Internationale Aufmerksamkeit erlangte er mit seinem Erstlingswerk Whiplash (2014), einem eindringlichen Drama über den Perfektionsdrang in einer Künstler-Mentor-Beziehung, die endgültige Affirmation als großer Ausnahmekünstler des gegenwärtigen Hollywoodkinos kam aber mit LaLaLand (2017) – einer Revision des klassischen Hollywood-Musicals (ohne aber selbst wirklich eins zu sein) und einer großen nostalgischen Liebeserklärung an Hollywood. Mit Babylon scheint diese Filmverliebtheit nun aber ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Der Film wirkt über weite Strecken wie eine große Collage: Aus Fellinis 8 ½ (1962) nimmt er die autoreflexive Tiefe des Filmschaffens, die hier indes nur eine behauptete ist; aus The Artist (2012) die Nostalgie; aus Quentin Tarantinos Once Upon A Time in Hollywood (2019) nicht nur das Wundersam-Märchenhafte, sondern glatt zwei seiner Hauptdarsteller. Aus derlei bekannten Versatzstücken will Chazelle nun sein Mammutwerk als große Revision der Stummfilmzeit Hollywoods anlegen. Ausgehend von den 20-er Jahren erzählt Babylon vom Beginn des Tonfilms bis etwa zum Aufkommen des Technicolor-Verfahrens, das dem Schwarz-Weiß-Film ein Ende bereitete. Diese filmhistorischen Umbrüche der einstigen goldenen Ära des Stummfilms betrachtet Chazelle aus mehreren Blickwinkeln: Da gibt es die ambitionierte, entschlossene Nellie LaRoy (Margot Robbie), die zu einer großen Schauspielerin aufsteigen möchte. Nahezu spiegelverkehrt ergeht es dem alternden Schauspielstar Jack Conrad (Brad Pitt), seine Tage als großer Stummfilmstar sind gezählt. Der ehrgeizige Kellner Manny (Diego Calva) versucht unterdessen, im Filmgeschäft hinter der Kamera aufzusteigen, und der Musiker Sidney Palmer (Jovan Adepo) muss sich mit der Rassendiskriminierung auseinandersetzen.

Babylon – das Sündhafte der Filmstätte liegt auf der Hand, Chazelle beschwört die Exzesse, die moralischen Verfehlungen der Filmindustrie ohne ihnen einen echten Fokus zu geben. Der schwarze Trompetenspieler etwa ist begnadet, aber schwarz, weiter nichts. Die mysteriöse Anna Wong (Li Jun Li) ist homosexuell und mysteriös, weiter nichts. Ohne die klassische heterosexuelle Romanze kommt Chazelles Film ebenfalls nicht aus, und einen Elefanten gibt es auch noch. Sehr viel will Chazelle erzählen, verzettelt sich aber immer weiter, je mehr Ansprüchen er gerecht zu werden versucht. Das feministische Lager wird auch so manche Probleme mit diesem Film haben: Babylon kapitalisiert ganz unverhohlen auf dem Körper Margot Robbies, wie es schon The Wolf of Wall Street (2013) betrieb, freilich aber als Ausdruck einer ganz unverhohlen triebhaften männlichen Schaulust, die diesem Jordan Belfort innewohnte; ein Blick, zu dem große Distanz geboten war. Chazelle ist aber nicht Scorsese. Ohnehin scheint der Filmemacher sich nicht recht entscheiden zu können, ob diese Exzesse nun zu feiern sind oder ob doch eine kritische Ernsthaftigkeit in der Selbstbefragung der Filmindustrie geboten wäre – eine mangelnde Standfestigkeit, die Chazelle schlicht unter dem Deckmantel der Nostalgie zu kaschieren versucht.
Babylon

lebt indes ganz von seinem Rhythmus, einem Energieüberschuss, wo alles droht, sich in reinster Bewegung zu verlieren, ja aufzulösen – bis dass der Film reißt. Chazelles Stilrauschen wirkt besonders über seine entfesselte Kamera, die von einem ganz eklektischen Sammelsurium an musikalischen Eindrücken begleitet wird – ein musikalisches Ringen von Blechbläsern und Perkussionsinstrumenten, die sich nahezu gegenseitig zu überbieten versuchen, um ganz die Aufmerksamkeit unserer Ohren zu erlangen. Da, wo er den thematischen Punkt des Exzesses berührt, ihn in die Form überführt und seiner Formvernarrtheit freien Lauf lässt, da ist Babylon ganz bei sich, erreicht einen Reinzustand. Da, wo er seine Figuren fokussiert und ihnen so etwas wie emotionale Tiefe verleihen möchte, da liegen die Schwächen, zumal der fatalistische Abgrund, auf den seine Figuren zusteuern, bereits recht früh abzusehen ist – irgendwann ist die Ekstase vorbei, der Rauschzustand erschöpft, jede Bewegung zum Stillstand gekommen. Alles Rauschen, alles Laute täuscht denn auch nicht darüber hinweg, dass Babylon keine echte Aussagekraft erlangen kann; Chazelle fehlt es an Virtuosität, all dies zu einem stimmigen Werk zusammenzuführen.

Marc Trappendreher
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