Forderungen der UEL zu den Wahlen

Kein Wahlrecht

d'Lëtzebuerger Land du 21.05.2009

Unmittelbar vor der Großkundgebung der Gewerkschaften am Samstag hatte die Union des entreprises luxembourgeoises am Freitag die Presse in den großzügigen Stahl- und Glasbau der Handelskammer auf dem Kirchberg eingeladen. Sie wollte ihren Rechenschaftsbericht für das vergangene Jahr vorstellen, aber vor allem noch einmal kurz vor den Wahlen und der Gewerkschaftsdemonstration an ihre wirtschaftspoliti­schen Hauptforderungen erinnern.

Als eine Art Einheitsgewerkschaft der Handelskammer, der Handwerkerkammer, der Banken- und der Versicherungsvereinigung, des Industriellen-, des Handels-, des Handwerker- und des Hotel- und Gaststättenverbands spricht die UEL zwar im Namen aller Privatbetriebe mit Ausnahme der Landwirtschaft. Aber was ist schon eine Pressekonferenz gegen Zehntausende in den Straßen? Auch in diesem Wahlkampf haben die Unternehmer Schwierigkeiten, sich Gehör zu verschaffen. UEL-Präsident Michel Wurth betonte am Freitag noch einmal, dass Betriebe kein Wahlrecht hätten.

Dabei sind die Betriebe mittels ihrer Berufskammern in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. Und selbstverständlich verfügen Unternehmer über andere Mittel, mit denen sie ihre Interessen durchzusetzen versuchen. Statt auf die Straße zu gehen, greifen sie zum Telefon. Aber anders als in der paritätisch zusammengesetzten Tripartite sind die Unternehmer in den Wahlkabinen hoffnungslos in der Minderheit. Die Lohnempfänger machen heute neun von zehn Wählern aus. Das war die größte Umwälzung, welche die Einführung des allgemeinen Wahlrechts im 20. Jahrhundert verur­sacht hatte. Denn im 19. Jahrhundert waren es nach dem Zensuswahlrecht gewählte Unterneh­mer und Großgrundbesitzer, die im Parlament den Ton angaben.

Hinzu kommt, dass in den Chefetagen der Betriebe der Ausländeranteil inzwischen vielleicht noch höher als in den Büros und Werkhallen ist. Deshalb verfügt aus den Unterneh­merkreisen vor allem der Mittelstand über das aktive Wahlrecht; er verfolgt aber nicht immer dieselben Interessen wie beispielsweise Banken und Industrien.

Beim passiven Wahlrecht sieht es noch schlechter aus. Bis auf eine Handvoll Geschäftsleute kandidieren am 7. Juni keine Unternehmer. Selbst die Versuche einiger Parteien, prominente Vertreter von Unterneh­merverbänden auf ihre Listen zu bekommen, blieben erfolglos. Die Leitung eines Betriebs ist offenbar zeitaufwändiger und lohnender als eine politische Laufbahn. Zuletzt hatten politische Gegner sogar wiederholt die Legitimität des letzten prominen­ten Unternehmers im Parlament, Claude Pescatore, in Frage gestellt. Seither hat aber auch der Bürgersinn in manchen Unternehmerkreisen abgenommen. Denn eine neoliberale Ideologie erklärte während Jahren die Privatwirtschaft zum Maß aller Dinge und strafte alles Staatliche nur mit Verachtung; Firmengründer wurden zu Helden der Neuzeit stilisiert und Politiker als opportunistisch oder gar korrupt verteufelt.

In der Vergangenheit nahm auch die eine oder andere Firma diskret an den Wahlen teil, indem sie versuchte, mit einer Wahlkampfspende zum Sieg einer Partei beizutragen, von der sie sich die beste Verteidigung ihrer Interessen gegen unternehmerkritische oder gar unternehmerfeindliche Parteien erwartete. Doch seit einem Jahr, seit dem Parteienfinanzierungsgesetz vom 21. Dezember 2007, sind alle Firmenspenden verboten.

Schließlich stärkt die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise nicht unbedingt die politische Position der Unternehmer. Vom Premierminister abwärts wird mit revanchistischem Unterton die Rückkehr der Politik gegenüber den Wirtschaftsinteressen gefeiert und mit den staatlichen Rettungsaktionen zugunsten von Fortis und Dexia gerechtfertigt. Die lebhaften Diskussionen um Bonus-Zahlungen und Goldene Fallschirme lassen die Unternehmer oft als unfähig und habgierig erscheinen, und die als willkürlich angesehene Schließung des Traditionsunternehmens Villeroy [&] Boch wird als Beweis für ihre soziale Rücksichtslosigkeit dargestellt.

Deshalb haben die Unternehmer, trotz der traditionellen Unterredun­gen von Berufsverbänden mit den Parteien vor den Wahlen, ihre liebe Mühe, ihre Interessen in die Wahlprogramme einfließen zu lassen. So übernahm keine Partei, nicht einmal die traditionell am unternehmerfreundlichsten eingestellte DP, die Forderungen der UEL, die Gehälter nur bis zur Höhe des anderthalben Mindestlohns an den Index anzupassen. Die einzigen, die sich immer wieder öffentlich auf die 109 UEL-Vorschläge zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und Förderung der Konjunk­tur berufen, sind die Gewerkschaf­ten – als abschreckendes Beispiel, wenn die Rede von der Rentenversicherung, der Arbeitslosenentschädigung oder dem Krankenurlaub geht.

UEL-Präsident Michel Wurth meinte am Freitag, dass die Tripartite-Beschlüsse von 2006 nicht weit genug gegangen seien, da die Luxemburger Wirtschaft seither an Wettbewerbsfähigkeit verloren habe. Doch zumindest vor den Wahlen wollen die meisten Parteien die Wettbewerbsfähigkeit höchsten mit Guichets uniques und kurzen Verwaltungswegen verbessern, die niemandem wehtun. So liegt die ökonomische Macht heute weitgehend in den Händen des internationalen Kapitals, die politische Macht aber in denjenigen einer nationalen Mittelschicht von Anwälten und Beamten. Deshalb hegen viele Unternehmer den Verdacht, dass es der CSV/LSAP-Koalition wichtiger ist, den Sozialstaat zu pflegen, als die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts zu fördern. Dem ehemaligen Parteifunktionär und heutigen Premierminister Jean-Claude Juncker wird sogar nachgesagt, als „Herzjesu-Marxist“ keinerlei Bezug zur Unternehmenswelt zu haben und die Banken nur als notwendiges Übel zu tolerieren. Seine Wahlversammlung mit der CSV-Jugend am heutigen Abend im Hollericher Café Marx heißt kokett: „Juncker meets Marx.“ 

Romain Hilgert
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