Validation des acquis de l’expérience

Erfahrungswerte

d'Lëtzebuerger Land du 25.03.2016

Schon der Name klingt kompliziert und schwerfällig, die Validation des acquis de l’expérience, kurz: VAE, nicht zu verwechseln mit den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die deutsche Übersetzung, Anrechnung von Berufserfahrungszeiten, klingt auch nicht viel eleganter. Auf Empfehlung des Europäischen Rates von Dezember 2012, sollten alle EU-Mitgliedstaaten bis 2018 eine Prozedur zur Anrechnung von Berufserfahrung etablieren. Mit der Reform der Berufsausbildung wurde die VAE auch hierzulande für die berufliche Weiterbildung möglich, von CCP, über DT bis zum Meisterbrief. Für die Uni war ein solches Verfahren schon 2003 im Unigesetz eingeschrieben.

Worum es geht: Wie der Name sagt, handelt es sich um ein Verfahren, das erlaubt, Berufserfahrungen, die jemand gesammelt hat, anzurechnen und zu zertifizieren. Angenommen, jemand arbeitet seit vielen Jahren im erzieherischen Bereich, ehrenamtlich und dann festangestellt, hat aber kein Diplom als Erzieherin und möchte das nachholen, dann kann er oder sie mit dem VAE-Angebot des Erziehungsministeriums seine Berufserfahrung anrechnen lassen. Vorbedingung, die erfüllt sein muss: Die Person muss mindestens drei Jahre oder 5 000 Stunden in dem Beruf gearbeitet haben.

Außerdem müssen allerlei Papiere zusammengesucht werden, die die Tätigkeit dokumentieren: neben den Schulzeugnissen sämtliche Arbeitszeugnisse von allen vorherigen Tätigkeiten, seien sie ehrenamtlich oder gegen Entgelt. Auch Zertifikate zu Kursen und Weiterbildungen, die man im Laufe seiner Erwerbstätigkeit besucht hat, sind beizufügen. Das alles kann, je nachdem welchen Überblick eine Person hat und wie gut er oder sie die eigene Laufbahn dokumentiert hat, Monate dauern. Leider wird man, um die Dokumente zusammenzustellen, in der Regel nicht freigestellt, Gänge zu den Behörden, ebenso wie das obligatorische Motivationsschreiben, müssen neben der Arbeit erledigt werden.

Das ist die erste Hürde. Für eine Bearbeitungsgebühr von 25 Euro prüft das Ministerium, ob der Bewerber VAE-berechtigt ist. Zwischen 2010 und 22.03.2016 wurden von 1 784 eingereichten Anfragen 1 394 als berechtigt eingestuft, aber nur 179 Kandidaturen führten schließlich zu einer Anrechnung, das sind etwas weniger als 13 Prozent. 262 wurden abgelehnt, 67 Anfragen werden noch bearbeitet, 285 Kandidaten bereiten sich auf die zweite Etappe, die gründlichere Prüfung, vor.

Diese Phase hat es wirklich in sich: Bevor eine sechsköpfige Jury (je zwei Arbeitgeber-, zwei Arbeitnehmer- und zwei Schulvertreter) über das Dossier entscheiden, müssen sämtliche Kompetenzen präzise aufgeschlüsselt werden. Man könnte meinen, das darf ja nicht so schwierig sein. Schließlich weiß jede selbst am besten, was sie gearbeitet und an Erfahrungen gesammelt hat. Doch die Verantwortlichen machen es einem nicht leicht: „Die Entscheidung über die Zulässigkeit Ihres Antrags erfolgt aufgrund der von Ihnen dargelegten Informationen zu Ihren bisherigen Erfahrungen“, lautet ein Monstersatz in der Anleitung des „Antrag(s) auf Grundsätzliche Anerkennung“. Mehr Nominalstil war nicht möglich.

Ein anderer: „Die mit Anleitungen versehenen Fragen des vorliegenden Antragsformulars sollen Ihnen ermöglichen, Ihren Wissensstand, Ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen, die mit den Anforderungen des beantragten Diploms in unmittelbarem und direktem Bezug stehen, auszuführen und ausführlich zu beschreiben.“ Da kommen selbst Muttersprachler ins Schwitzen, schlägt der Duden als Synonym für „unmittelbar“ doch „direkt“ vor, und was ist eigentlich der Unterschied zwischen Fähigkeiten und Kompetenzen? Es ist eine feine Ironie, dass in einem Antrag, in dem Tätigkeiten und Erfahrungen dargestellt werden sollen, so gut wie keine Verben vorkommen.

Die sperrige Sprache ist nur ein weiteres Hindernis auf dem langen Weg zum Zertifikat oder Diplom. Zum anderen müssen die Tätigkeiten so beschrieben werden, dass sie die jeweils geforderten Kompetenzen für die angestrebte Ausbildung abdecken. Das ist eine Wissenschaft für sich. Zwar bekommen Kandidaten, die sich beispielsweise für einen Abschluss als Schlossermeister bewerben, sämtliche Lernanforderungen frei Haus zugestellt. Doch muss man diese Kompetenzbegriffe geradezu entschlüsseln, um zu verstehen, was da konkret verlangt wird.

Immerhin: Das Ministerium stellt einen Tutor zur Seite, also einen Berater, der oder die dabei helfen soll, die gefragten Informationen zusammenzusuchen. In der Hälfte der Fälle wurde dieser angefragt. Wobei diese Sachverständigen, so berichten Personen, die durch das Verfahren gegangen sind, mal mehr und mal weniger hilfreich sind. Ermutigung wird offenbar nicht bei jedem groß geschrieben. Der Ausspruch „Bei mir hat es noch niemand geschafft“ soll mal gefallen sein. Eine raffinierte Form der Anti-Pädagogik, mit der versucht wird, einen „Jetzt-erst-recht“-Reflex beim Gegenüber auszulösen?

Angesichts solcher Hürden fragt man sich zwangsläufig, wie es Bewerbern ergehen mag, die mit der Schule nicht die besten Erfahrungen gemacht haben. Dabei ist die Validierungsprozedur gerade für sie gedacht. Ursprünglich soll sie Menschen, die nicht über formale Qualifikationen verfügen, helfen, Zugang zu einem (höheren) Schul- oder beruflichen Abschluss zu erlangen und damit ihre Aufstiegschancen verbessern. Das scheint aber mehr schlecht als recht zu gelingen – Unternehmen sagen schon länger, das Verfahren sei viel zu bürokratisch und schwerfällig.

Ines Kurschat
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